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Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744.

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Scolie unter die alten Lieder, welche man bey Tische sang. Nehmet
den Odos, saget er beym Athenäus,89 wie er von dem Glase redet, welches
die Trink-Lieder begleitet; aber fallet auf keine alte Lieder, weder auf den
Telamon, noch auf den Päan, noch auf den Harmodius. Theopom-
pus redet bey eben diesem Athenäus90 auch davon. Wir lagen ganz
sanft auf weichen Lagern, und trunken, und sungen dabey eins ums an-
dre das Lied vom Telamon.

Obgleich die Scolie Telamons Namen führte, so sang man doch
darinn nicht vom Telamon, sondern von seinem Sohne Ajax; und die
Scolie hatte also nur deswegen den Namen des Vaters, weil dieses
eines von den Anfangs-Wörtern, [fremdsprachliches Material - 2 Wörter fehlen], war, und auch zu
ihrem Namen gebraucht wurde. Diese Erklärung des Eustathius wi-
derspricht der Auslegung, die uns Erasmus giebt,91 daß die Redens-
Art, den Telamon singen, [fremdsprachliches Material - 2 Wörter fehlen], so viel heisse, als das Lied
vom Telamon singen, [fremdsprachliches Material - 3 Wörter fehlen], und daß man dieses, als
ein Sprüchwort, von einer betrübten und klagenden Rede gesagt habe,
weil nemlich Telamon seinen Sohn Ajax ohne Aufhören beweinet hätte.

Die Tyranney der Pisistratiden war der Jnhalt einer Scolie, die
einigen tapfern Atheniensern zu Ehren gemacht war, welche, zur Ver-
theidigung ihrer Freyheit, nach einem Orte im Attischen Gebiete, der
Lipsydrion hieß, hingeflohen waren, und denselben bevestiget hatten.
Herodotus schreibet,92 daß die Pisistratiden sie daselbst verfolgten, und
sie endlich nach einem blutigen Gefechte herausjagten. Der Tag von
Lipsydrion wurde zum Sprüchworte, saget Eustathius,93 und er setzet
noch hinzu, daß man zu Ehren dieser edelgesinnten Bürger eine Scolie
gesungen. Athenäus,94 Suidas95 und Eustathius96 haben sie uns
fast in einerley Worten hinterlassen.

Ach! ach! Lipsydrion,
Verräther deiner Freunde,
O was vor brave Helden
Sind durch dich umgekommen!
Vornehme, tapfre Krieger,
Und die durch ihre Thaten zeigten,
Von welchen Vätern sie entsprossen.

Dieses Lied führet uns natürlicher Weise auf die Scolie vom Har-
modius und Aristogiton, welche auch gegen die Söhne und Nachfolger
des Pisistratus, Hipparchus und Hippias, ihre Tapferkeit sehen liessen.
Hipparchus hatte die Schwester des Harmodius öffentlich beleidiget.
Harmodius und Aristogiton verbunden sich darauf gegen den Tyran-

nen,
89 Athen. l. XI. cap. 15.
90 Idem lib. I. cap. 19.
91 Erasm. chil. 3. cent. 4. adag. 10.
92 Herodot. lib. V.
93 Eustath. in 4 Iliad. p. 461. edit. Rom.
94 Athen. l. XV. cap. 15.
95 Suidas in [fremdsprachliches Material - 2 Wörter fehlen].
96 Eustath. l. cit.

Scolie unter die alten Lieder, welche man bey Tiſche ſang. Nehmet
den Odos, ſaget er beym Athenaͤus,89 wie er von dem Glaſe redet, welches
die Trink-Lieder begleitet; aber fallet auf keine alte Lieder, weder auf den
Telamon, noch auf den Paͤan, noch auf den Harmodius. Theopom-
pus redet bey eben dieſem Athenaͤus90 auch davon. Wir lagen ganz
ſanft auf weichen Lagern, und trunken, und ſungen dabey eins ums an-
dre das Lied vom Telamon.

Obgleich die Scolie Telamons Namen fuͤhrte, ſo ſang man doch
darinn nicht vom Telamon, ſondern von ſeinem Sohne Ajax; und die
Scolie hatte alſo nur deswegen den Namen des Vaters, weil dieſes
eines von den Anfangs-Woͤrtern, [fremdsprachliches Material – 2 Wörter fehlen], war, und auch zu
ihrem Namen gebraucht wurde. Dieſe Erklaͤrung des Euſtathius wi-
derſpricht der Auslegung, die uns Eraſmus giebt,91 daß die Redens-
Art, den Telamon ſingen, [fremdsprachliches Material – 2 Wörter fehlen], ſo viel heiſſe, als das Lied
vom Telamon ſingen, [fremdsprachliches Material – 3 Wörter fehlen], und daß man dieſes, als
ein Spruͤchwort, von einer betruͤbten und klagenden Rede geſagt habe,
weil nemlich Telamon ſeinen Sohn Ajax ohne Aufhoͤren beweinet haͤtte.

Die Tyranney der Piſiſtratiden war der Jnhalt einer Scolie, die
einigen tapfern Athenienſern zu Ehren gemacht war, welche, zur Ver-
theidigung ihrer Freyheit, nach einem Orte im Attiſchen Gebiete, der
Lipſydrion hieß, hingeflohen waren, und denſelben beveſtiget hatten.
Herodotus ſchreibet,92 daß die Piſiſtratiden ſie daſelbſt verfolgten, und
ſie endlich nach einem blutigen Gefechte herausjagten. Der Tag von
Lipſydrion wurde zum Spruͤchworte, ſaget Euſtathius,93 und er ſetzet
noch hinzu, daß man zu Ehren dieſer edelgeſinnten Buͤrger eine Scolie
geſungen. Athenaͤus,94 Suidas95 und Euſtathius96 haben ſie uns
faſt in einerley Worten hinterlaſſen.

Ach! ach! Lipſydrion,
Verraͤther deiner Freunde,
O was vor brave Helden
Sind durch dich umgekommen!
Vornehme, tapfre Krieger,
Und die durch ihre Thaten zeigten,
Von welchen Vaͤtern ſie entſproſſen.

Dieſes Lied fuͤhret uns natuͤrlicher Weiſe auf die Scolie vom Har-
modius und Ariſtogiton, welche auch gegen die Soͤhne und Nachfolger
des Piſiſtratus, Hipparchus und Hippias, ihre Tapferkeit ſehen lieſſen.
Hipparchus hatte die Schweſter des Harmodius oͤffentlich beleidiget.
Harmodius und Ariſtogiton verbunden ſich darauf gegen den Tyran-

nen,
89 Athen. l. XI. cap. 15.
90 Idem lib. I. cap. 19.
91 Eraſm. chil. 3. cent. 4. adag. 10.
92 Herodot. lib. V.
93 Euſtath. in 4 Iliad. p. 461. edit. Rom.
94 Athen. l. XV. cap. 15.
95 Suidas in [fremdsprachliches Material – 2 Wörter fehlen].
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[18/0028] Scolie unter die alten Lieder, welche man bey Tiſche ſang. Nehmet den Odos, ſaget er beym Athenaͤus, 89 wie er von dem Glaſe redet, welches die Trink-Lieder begleitet; aber fallet auf keine alte Lieder, weder auf den Telamon, noch auf den Paͤan, noch auf den Harmodius. Theopom- pus redet bey eben dieſem Athenaͤus 90 auch davon. Wir lagen ganz ſanft auf weichen Lagern, und trunken, und ſungen dabey eins ums an- dre das Lied vom Telamon. Obgleich die Scolie Telamons Namen fuͤhrte, ſo ſang man doch darinn nicht vom Telamon, ſondern von ſeinem Sohne Ajax; und die Scolie hatte alſo nur deswegen den Namen des Vaters, weil dieſes eines von den Anfangs-Woͤrtern, __, war, und auch zu ihrem Namen gebraucht wurde. Dieſe Erklaͤrung des Euſtathius wi- derſpricht der Auslegung, die uns Eraſmus giebt, 91 daß die Redens- Art, den Telamon ſingen, __, ſo viel heiſſe, als das Lied vom Telamon ſingen, ___, und daß man dieſes, als ein Spruͤchwort, von einer betruͤbten und klagenden Rede geſagt habe, weil nemlich Telamon ſeinen Sohn Ajax ohne Aufhoͤren beweinet haͤtte. Die Tyranney der Piſiſtratiden war der Jnhalt einer Scolie, die einigen tapfern Athenienſern zu Ehren gemacht war, welche, zur Ver- theidigung ihrer Freyheit, nach einem Orte im Attiſchen Gebiete, der Lipſydrion hieß, hingeflohen waren, und denſelben beveſtiget hatten. Herodotus ſchreibet, 92 daß die Piſiſtratiden ſie daſelbſt verfolgten, und ſie endlich nach einem blutigen Gefechte herausjagten. Der Tag von Lipſydrion wurde zum Spruͤchworte, ſaget Euſtathius, 93 und er ſetzet noch hinzu, daß man zu Ehren dieſer edelgeſinnten Buͤrger eine Scolie geſungen. Athenaͤus, 94 Suidas 95 und Euſtathius 96 haben ſie uns faſt in einerley Worten hinterlaſſen. Ach! ach! Lipſydrion, Verraͤther deiner Freunde, O was vor brave Helden Sind durch dich umgekommen! Vornehme, tapfre Krieger, Und die durch ihre Thaten zeigten, Von welchen Vaͤtern ſie entſproſſen. Dieſes Lied fuͤhret uns natuͤrlicher Weiſe auf die Scolie vom Har- modius und Ariſtogiton, welche auch gegen die Soͤhne und Nachfolger des Piſiſtratus, Hipparchus und Hippias, ihre Tapferkeit ſehen lieſſen. Hipparchus hatte die Schweſter des Harmodius oͤffentlich beleidiget. Harmodius und Ariſtogiton verbunden ſich darauf gegen den Tyran- nen, 89 Athen. l. XI. cap. 15. 90 Idem lib. I. cap. 19. 91 Eraſm. chil. 3. cent. 4. adag. 10. 92 Herodot. lib. V. 93 Euſtath. in 4 Iliad. p. 461. edit. Rom. 94 Athen. l. XV. cap. 15. 95 Suidas in __. 96 Euſtath. l. cit.

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Zitationshilfe: Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung02_1744/28>, abgerufen am 28.03.2024.