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Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744.

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Zuflucht suchen müssen. Weil also Pittacus aus der Erfindung und
dem Nutzen der Mühlen viel machte, so hat dieses ohne Zweifel zu dem
Liede, welches Plutarch anführet, Gelegenheit gegeben. Er nimmt es
aber doch in einem ganz anderen Verstande. Er legt es nemlich dem
Thales in den Mund, und meynet, er wolle darinn dem Pittacus auf
eine scherzhafte Weise sein starkes Essen vorwerfen; denn dieses muß man,
seiner Erklärung nach, durch das Wort, mahlen, verstehen.

Von dem Liede der Lein-Weber. Dieses hieß Elinos, wie es Epi-
charmus, den Athenäus30 anführet, in seinen Atalanten nennet.

Von dem Liede der Wollen-Arbeiter. Athenäus31 nennet es Ju-
los. Und dieses ist auch eben der Name, welchen schon Eratostthenes
in einem dem Mercur zu Ehren verfertigten Hymnus demjenigen Liede
gegeben hatte, welches die Mädgen unterdessen sungen, daß sie mit Zu-
bereitung der Wolle beschäftiget waren.

Von dem Liede der Säug-Ammen. Es scheinet, als wenn man
davon zwo verschiedene Arten hatte. Die eine sungen sie, indem sie
die Kinder säugten; und die andere, wenn sie dieselben einzuschläfern
suchten. Chrysippus redete von der ersten, wenn er, nach Quintilians32
Berichte, den Säug-Ammen ein besonderes Lied zuschreibet, welches sie
unter der Zeit zu singen pflegten, daß die Kinder an ihrer Brust lagen.
Von der zwoten Art haben andere Schriftsteller geredet. Athenäus33
sagt, daß die Lieder der Säug-Ammen Catabaucalises hiessen. Das
Wort, wovon dieser Name herkömmt, bedeutet, wie es Hesychius erklä-
ret, so viel, als die Rinder mit einem Liede einschläfern. Eben dieser
Hesychius nennet sie Nunnios. Sonst hiessen sie auch noch Epasmata
(Zauber-Lieder)

Casaubon34 hält drey Verse des Theocrits35 für ein Lied von dieser
Art, womit Alcmene bey ihm ihre beiden Kinder, den Hercules und Jphi-
clus, die erst zehn Monate alt waren, in den Schlaf singen will.

Schlafe süß, geliebtes Paar,
Schlaft, geliebte Herzen,
Frey von Unruh und Gefahr,
Frey von Sorg und Schmerzen.
Liebe Kinder, gute Nacht!
Schlafet, liebe Brüder,
Schlafet glücklich ein, erwacht
Morgen glücklich wieder.
So
30 Athen. lib. XIV. cap. 3.
31 Ibidem.
32 Quintil. Inst. lib. I. cap. 10.
33 Athen. lib. XIV. cap. 3. Leopard.
cap. 5. 7. emendat.
34 Causaub. ad Theophr. Charact.
35 Theocrit. Idyll. 24.

Zuflucht ſuchen muͤſſen. Weil alſo Pittacus aus der Erfindung und
dem Nutzen der Muͤhlen viel machte, ſo hat dieſes ohne Zweifel zu dem
Liede, welches Plutarch anfuͤhret, Gelegenheit gegeben. Er nimmt es
aber doch in einem ganz anderen Verſtande. Er legt es nemlich dem
Thales in den Mund, und meynet, er wolle darinn dem Pittacus auf
eine ſcherzhafte Weiſe ſein ſtarkes Eſſen vorwerfen; denn dieſes muß man,
ſeiner Erklaͤrung nach, durch das Wort, mahlen, verſtehen.

Von dem Liede der Lein-Weber. Dieſes hieß Elinos, wie es Epi-
charmus, den Athenaͤus30 anfuͤhret, in ſeinen Atalanten nennet.

Von dem Liede der Wollen-Arbeiter. Athenaͤus31 nennet es Ju-
los. Und dieſes iſt auch eben der Name, welchen ſchon Eratoſtthenes
in einem dem Mercur zu Ehren verfertigten Hymnus demjenigen Liede
gegeben hatte, welches die Maͤdgen unterdeſſen ſungen, daß ſie mit Zu-
bereitung der Wolle beſchaͤftiget waren.

Von dem Liede der Saͤug-Ammen. Es ſcheinet, als wenn man
davon zwo verſchiedene Arten hatte. Die eine ſungen ſie, indem ſie
die Kinder ſaͤugten; und die andere, wenn ſie dieſelben einzuſchlaͤfern
ſuchten. Chryſippus redete von der erſten, wenn er, nach Quintilians32
Berichte, den Saͤug-Ammen ein beſonderes Lied zuſchreibet, welches ſie
unter der Zeit zu ſingen pflegten, daß die Kinder an ihrer Bruſt lagen.
Von der zwoten Art haben andere Schriftſteller geredet. Athenaͤus33
ſagt, daß die Lieder der Saͤug-Ammen Catabaucaliſes hieſſen. Das
Wort, wovon dieſer Name herkoͤmmt, bedeutet, wie es Heſychius erklaͤ-
ret, ſo viel, als die Rinder mit einem Liede einſchlaͤfern. Eben dieſer
Heſychius nennet ſie Nunnios. Sonſt hieſſen ſie auch noch Epaſmata
(Zauber-Lieder)

Caſaubon34 haͤlt drey Verſe des Theocrits35 fuͤr ein Lied von dieſer
Art, womit Alcmene bey ihm ihre beiden Kinder, den Hercules und Jphi-
clus, die erſt zehn Monate alt waren, in den Schlaf ſingen will.

Schlafe ſuͤß, geliebtes Paar,
Schlaft, geliebte Herzen,
Frey von Unruh und Gefahr,
Frey von Sorg und Schmerzen.
Liebe Kinder, gute Nacht!
Schlafet, liebe Bruͤder,
Schlafet gluͤcklich ein, erwacht
Morgen gluͤcklich wieder.
So
30 Athen. lib. XIV. cap. 3.
31 Ibidem.
32 Quintil. Inſt. lib. I. cap. 10.
33 Athen. lib. XIV. cap. 3. Leopard.
cap. 5. 7. emendat.
34 Cauſaub. ad Theophr. Charact.
35 Theocrit. Idyll. 24.
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[34/0044] Zuflucht ſuchen muͤſſen. Weil alſo Pittacus aus der Erfindung und dem Nutzen der Muͤhlen viel machte, ſo hat dieſes ohne Zweifel zu dem Liede, welches Plutarch anfuͤhret, Gelegenheit gegeben. Er nimmt es aber doch in einem ganz anderen Verſtande. Er legt es nemlich dem Thales in den Mund, und meynet, er wolle darinn dem Pittacus auf eine ſcherzhafte Weiſe ſein ſtarkes Eſſen vorwerfen; denn dieſes muß man, ſeiner Erklaͤrung nach, durch das Wort, mahlen, verſtehen. Von dem Liede der Lein-Weber. Dieſes hieß Elinos, wie es Epi- charmus, den Athenaͤus 30 anfuͤhret, in ſeinen Atalanten nennet. Von dem Liede der Wollen-Arbeiter. Athenaͤus 31 nennet es Ju- los. Und dieſes iſt auch eben der Name, welchen ſchon Eratoſtthenes in einem dem Mercur zu Ehren verfertigten Hymnus demjenigen Liede gegeben hatte, welches die Maͤdgen unterdeſſen ſungen, daß ſie mit Zu- bereitung der Wolle beſchaͤftiget waren. Von dem Liede der Saͤug-Ammen. Es ſcheinet, als wenn man davon zwo verſchiedene Arten hatte. Die eine ſungen ſie, indem ſie die Kinder ſaͤugten; und die andere, wenn ſie dieſelben einzuſchlaͤfern ſuchten. Chryſippus redete von der erſten, wenn er, nach Quintilians 32 Berichte, den Saͤug-Ammen ein beſonderes Lied zuſchreibet, welches ſie unter der Zeit zu ſingen pflegten, daß die Kinder an ihrer Bruſt lagen. Von der zwoten Art haben andere Schriftſteller geredet. Athenaͤus 33 ſagt, daß die Lieder der Saͤug-Ammen Catabaucaliſes hieſſen. Das Wort, wovon dieſer Name herkoͤmmt, bedeutet, wie es Heſychius erklaͤ- ret, ſo viel, als die Rinder mit einem Liede einſchlaͤfern. Eben dieſer Heſychius nennet ſie Nunnios. Sonſt hieſſen ſie auch noch Epaſmata (Zauber-Lieder) Caſaubon 34 haͤlt drey Verſe des Theocrits 35 fuͤr ein Lied von dieſer Art, womit Alcmene bey ihm ihre beiden Kinder, den Hercules und Jphi- clus, die erſt zehn Monate alt waren, in den Schlaf ſingen will. Schlafe ſuͤß, geliebtes Paar, Schlaft, geliebte Herzen, Frey von Unruh und Gefahr, Frey von Sorg und Schmerzen. Liebe Kinder, gute Nacht! Schlafet, liebe Bruͤder, Schlafet gluͤcklich ein, erwacht Morgen gluͤcklich wieder. So 30 Athen. lib. XIV. cap. 3. 31 Ibidem. 32 Quintil. Inſt. lib. I. cap. 10. 33 Athen. lib. XIV. cap. 3. Leopard. cap. 5. 7. emendat. 34 Cauſaub. ad Theophr. Charact. 35 Theocrit. Idyll. 24.

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Zitationshilfe: Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung02_1744/44>, abgerufen am 23.04.2024.