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[Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 1. Riga u. a., 1767.

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Vorrede.
het, dem kein Parlament, keine Reichs-
stände, keine Landbothen, die heiligen
Hände binden, wenn er sie ausstreckt, über
Millionen Menschen neuen Segen zu ver-
breiten. Einem solchen Monarchen kann
man, nicht blos in der Sprache der Canz-
ley und der Chronologie, sondern auch
in der mehr philosophischen Sprache der
Geschichte, alles dasjenige zuschreiben,
was seinen Staat betroffen: die Geschichte
seines Staats ist in eigentlichem Ver-
stande seine eigne Lebensgeschichte; und
alles was während seiner Regierung vor-
gefallen, ist nicht bloß unter ihm, son-
dern auch von ihm geschehen.

Die ersten Staaten, in der Kindheit
der Welt und der menschlichen Vernunft,
hatten keine Geschichte: denn ihre Regen-
ten, deren einzige Pflicht und Sorge war,
ihre Brüder vor äußerem und innerem
Unfrieden zu schützen, das ist, ihr Feld-
herr und Richter zu seyn, thaten zu we-
nig für eine eigne Biographie. Allem
mit der Zeit entstunden andre Staaten,
und folglich auch andre Regenten. Die
Vereinigung vieler einzelner Kräfte
unter einem einzigen Willen, der sie
alle zu Einem Zwecke hin harmonisch

wirken
)( 3

Vorrede.
het, dem kein Parlament, keine Reichs-
ſtaͤnde, keine Landbothen, die heiligen
Haͤnde binden, wenn er ſie ausſtreckt, uͤber
Millionen Menſchen neuen Segen zu ver-
breiten. Einem ſolchen Monarchen kann
man, nicht blos in der Sprache der Canz-
ley und der Chronologie, ſondern auch
in der mehr philoſophiſchen Sprache der
Geſchichte, alles dasjenige zuſchreiben,
was ſeinen Staat betroffen: die Geſchichte
ſeines Staats iſt in eigentlichem Ver-
ſtande ſeine eigne Lebensgeſchichte; und
alles was waͤhrend ſeiner Regierung vor-
gefallen, iſt nicht bloß unter ihm, ſon-
dern auch von ihm geſchehen.

Die erſten Staaten, in der Kindheit
der Welt und der menſchlichen Vernunft,
hatten keine Geſchichte: denn ihre Regen-
ten, deren einzige Pflicht und Sorge war,
ihre Bruͤder vor aͤußerem und innerem
Unfrieden zu ſchuͤtzen, das iſt, ihr Feld-
herr und Richter zu ſeyn, thaten zu we-
nig fuͤr eine eigne Biographie. Allem
mit der Zeit entſtunden andre Staaten,
und folglich auch andre Regenten. Die
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[0013] Vorrede. het, dem kein Parlament, keine Reichs- ſtaͤnde, keine Landbothen, die heiligen Haͤnde binden, wenn er ſie ausſtreckt, uͤber Millionen Menſchen neuen Segen zu ver- breiten. Einem ſolchen Monarchen kann man, nicht blos in der Sprache der Canz- ley und der Chronologie, ſondern auch in der mehr philoſophiſchen Sprache der Geſchichte, alles dasjenige zuſchreiben, was ſeinen Staat betroffen: die Geſchichte ſeines Staats iſt in eigentlichem Ver- ſtande ſeine eigne Lebensgeſchichte; und alles was waͤhrend ſeiner Regierung vor- gefallen, iſt nicht bloß unter ihm, ſon- dern auch von ihm geſchehen. Die erſten Staaten, in der Kindheit der Welt und der menſchlichen Vernunft, hatten keine Geſchichte: denn ihre Regen- ten, deren einzige Pflicht und Sorge war, ihre Bruͤder vor aͤußerem und innerem Unfrieden zu ſchuͤtzen, das iſt, ihr Feld- herr und Richter zu ſeyn, thaten zu we- nig fuͤr eine eigne Biographie. Allem mit der Zeit entſtunden andre Staaten, und folglich auch andre Regenten. Die Vereinigung vieler einzelner Kraͤfte unter einem einzigen Willen, der ſie alle zu Einem Zwecke hin harmoniſch wirken )( 3

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Zitationshilfe: [Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 1. Riga u. a., 1767, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland01_1767/13>, abgerufen am 29.04.2024.