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Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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peinlichen Kampf. Endlich seines Gastes gedenkend, faßte er sich und nahm wieder an seiner Seite Platz; aber sei es, daß er es für unnütz hielt, ihn über die Bedeutung des Vorganges täuschen zu wollen, oder daß er sich in diesem Augenblick unfähig fühlte, demselben irgend einen andern annehmbaren Sinn unterzuschieben, er erwähnte des Vorgefallenen mit keiner Silbe und begnügte sich, seinen Tischgenossen zu bitten, die angefangene Erzählung zu Ende zu bringen.

Meine Geschichte zu Ende bringen? sagte Herr Steidler, der ein stummer, aber nicht theilnahmsloser Zeuge der Ereignisse des Abends gewesen und mit Vergnügen die Gelegenheit ergriff, seinen Hauswirth auf irgend eine Weise zu zerstreuen,-- theuerster Freund, sie ist zu Ende; denn was noch zu berichten bleibt, ist kaum der Rede werth und läuft auf unbestimmte Gerüchte und Vermuthungen hinaus. Nur Das ist gewiß, daß die Marzipan-Lise mit unerhörtem Gepränge zur Erde bestattet wurde, daß es mit ihrem Testamente seine volle Richtigkeit hatte, und daß ihrem erbschleicherischen Miethsmanne, dem Registranten, wirklich nicht ein Heller aus ihrem Nachlasse zufiel, wodurch denn auch jede Möglichkeit seiner Verbindung mit der Lamprechter Nanni zu Wasser wurde.

Der junge Mann, der alle seine Anschläge vereitelt sah und wie gewöhnlich zum Schaden auch noch den Spott hatte, lief seit jenem Tage verstört und halb

peinlichen Kampf. Endlich seines Gastes gedenkend, faßte er sich und nahm wieder an seiner Seite Platz; aber sei es, daß er es für unnütz hielt, ihn über die Bedeutung des Vorganges täuschen zu wollen, oder daß er sich in diesem Augenblick unfähig fühlte, demselben irgend einen andern annehmbaren Sinn unterzuschieben, er erwähnte des Vorgefallenen mit keiner Silbe und begnügte sich, seinen Tischgenossen zu bitten, die angefangene Erzählung zu Ende zu bringen.

Meine Geschichte zu Ende bringen? sagte Herr Steidler, der ein stummer, aber nicht theilnahmsloser Zeuge der Ereignisse des Abends gewesen und mit Vergnügen die Gelegenheit ergriff, seinen Hauswirth auf irgend eine Weise zu zerstreuen,— theuerster Freund, sie ist zu Ende; denn was noch zu berichten bleibt, ist kaum der Rede werth und läuft auf unbestimmte Gerüchte und Vermuthungen hinaus. Nur Das ist gewiß, daß die Marzipan-Lise mit unerhörtem Gepränge zur Erde bestattet wurde, daß es mit ihrem Testamente seine volle Richtigkeit hatte, und daß ihrem erbschleicherischen Miethsmanne, dem Registranten, wirklich nicht ein Heller aus ihrem Nachlasse zufiel, wodurch denn auch jede Möglichkeit seiner Verbindung mit der Lamprechter Nanni zu Wasser wurde.

Der junge Mann, der alle seine Anschläge vereitelt sah und wie gewöhnlich zum Schaden auch noch den Spott hatte, lief seit jenem Tage verstört und halb

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[0041] peinlichen Kampf. Endlich seines Gastes gedenkend, faßte er sich und nahm wieder an seiner Seite Platz; aber sei es, daß er es für unnütz hielt, ihn über die Bedeutung des Vorganges täuschen zu wollen, oder daß er sich in diesem Augenblick unfähig fühlte, demselben irgend einen andern annehmbaren Sinn unterzuschieben, er erwähnte des Vorgefallenen mit keiner Silbe und begnügte sich, seinen Tischgenossen zu bitten, die angefangene Erzählung zu Ende zu bringen. Meine Geschichte zu Ende bringen? sagte Herr Steidler, der ein stummer, aber nicht theilnahmsloser Zeuge der Ereignisse des Abends gewesen und mit Vergnügen die Gelegenheit ergriff, seinen Hauswirth auf irgend eine Weise zu zerstreuen,— theuerster Freund, sie ist zu Ende; denn was noch zu berichten bleibt, ist kaum der Rede werth und läuft auf unbestimmte Gerüchte und Vermuthungen hinaus. Nur Das ist gewiß, daß die Marzipan-Lise mit unerhörtem Gepränge zur Erde bestattet wurde, daß es mit ihrem Testamente seine volle Richtigkeit hatte, und daß ihrem erbschleicherischen Miethsmanne, dem Registranten, wirklich nicht ein Heller aus ihrem Nachlasse zufiel, wodurch denn auch jede Möglichkeit seiner Verbindung mit der Lamprechter Nanni zu Wasser wurde. Der junge Mann, der alle seine Anschläge vereitelt sah und wie gewöhnlich zum Schaden auch noch den Spott hatte, lief seit jenem Tage verstört und halb

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:52:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:52:38Z)

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Zitationshilfe: Halm, Friedrich [d. i. Eligius Franz Joseph von Münch Bellinghausen]: Die Marzipan-Lise. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–70. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/halm_lise_1910/41>, abgerufen am 20.04.2024.