Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

der Galiläer des Projektmachers, Julians,
ein Zimmermann wurde, um der Gott sei-
nes Volks zu seyn, dieser Scythe begieng ei-
ne Schwachheit, deren Andenken ihn allein
verewigen könnte. Er lief auf den Marmor
zu, both grosmüthig dem Stein die Hälfte
seines weiten Reichs an, wenn er ihn lehren
wollte, die andere Hälfte zu regieren. Sollte
unsere Historie Mythologie werden; so wird
diese Umarmung eines leblosen Lehrers, der
ohne Eigennutz Wunder der Erfüllung ge-
than, in ein Mährchen verwandelt seyn, das
den Reliquien von Pygmalions Leben ähn-
lich sehen wird. Ein Schöpfer seines Vol-
kes
in der Sprache unsers Witzes wird nach
einer undenklichen Zeit eben so poetisch ver-
standen werden müssen, als ein Bildhauer
seines Weibes.

Es giebt in dem Tempel der Gelehrsam-
keit würklich einen Götzen, der unter seinem

Bilde

der Galilaͤer des Projektmachers, Julians,
ein Zimmermann wurde, um der Gott ſei-
nes Volks zu ſeyn, dieſer Scythe begieng ei-
ne Schwachheit, deren Andenken ihn allein
verewigen koͤnnte. Er lief auf den Marmor
zu, both grosmuͤthig dem Stein die Haͤlfte
ſeines weiten Reichs an, wenn er ihn lehren
wollte, die andere Haͤlfte zu regieren. Sollte
unſere Hiſtorie Mythologie werden; ſo wird
dieſe Umarmung eines lebloſen Lehrers, der
ohne Eigennutz Wunder der Erfuͤllung ge-
than, in ein Maͤhrchen verwandelt ſeyn, das
den Reliquien von Pygmalions Leben aͤhn-
lich ſehen wird. Ein Schoͤpfer ſeines Vol-
kes
in der Sprache unſers Witzes wird nach
einer undenklichen Zeit eben ſo poetiſch ver-
ſtanden werden muͤſſen, als ein Bildhauer
ſeines Weibes.

Es giebt in dem Tempel der Gelehrſam-
keit wuͤrklich einen Goͤtzen, der unter ſeinem

Bilde
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0022" n="18"/>
der Galila&#x0364;er des Projektmachers, Julians,<lb/>
ein <hi rendition="#fr">Zimmermann</hi> wurde, um der Gott &#x017F;ei-<lb/>
nes Volks zu &#x017F;eyn, die&#x017F;er Scythe begieng ei-<lb/>
ne Schwachheit, deren Andenken ihn allein<lb/>
verewigen ko&#x0364;nnte. Er lief auf den Marmor<lb/>
zu, both grosmu&#x0364;thig dem Stein die Ha&#x0364;lfte<lb/>
&#x017F;eines weiten Reichs an, wenn er ihn lehren<lb/>
wollte, die andere Ha&#x0364;lfte zu regieren. Sollte<lb/>
un&#x017F;ere Hi&#x017F;torie Mythologie werden; &#x017F;o wird<lb/>
die&#x017F;e Umarmung eines leblo&#x017F;en Lehrers, der<lb/>
ohne Eigennutz Wunder der Erfu&#x0364;llung ge-<lb/>
than, in ein Ma&#x0364;hrchen verwandelt &#x017F;eyn, das<lb/>
den Reliquien von Pygmalions Leben a&#x0364;hn-<lb/>
lich &#x017F;ehen wird. Ein <hi rendition="#fr">Scho&#x0364;pfer &#x017F;eines Vol-<lb/>
kes</hi> in der Sprache un&#x017F;ers Witzes wird nach<lb/>
einer undenklichen Zeit eben &#x017F;o poeti&#x017F;ch ver-<lb/>
&#x017F;tanden werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, als ein <hi rendition="#fr">Bildhauer<lb/>
&#x017F;eines Weibes.</hi></p><lb/>
            <p>Es giebt in dem Tempel der Gelehr&#x017F;am-<lb/>
keit wu&#x0364;rklich einen Go&#x0364;tzen, der unter &#x017F;einem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Bilde</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0022] der Galilaͤer des Projektmachers, Julians, ein Zimmermann wurde, um der Gott ſei- nes Volks zu ſeyn, dieſer Scythe begieng ei- ne Schwachheit, deren Andenken ihn allein verewigen koͤnnte. Er lief auf den Marmor zu, both grosmuͤthig dem Stein die Haͤlfte ſeines weiten Reichs an, wenn er ihn lehren wollte, die andere Haͤlfte zu regieren. Sollte unſere Hiſtorie Mythologie werden; ſo wird dieſe Umarmung eines lebloſen Lehrers, der ohne Eigennutz Wunder der Erfuͤllung ge- than, in ein Maͤhrchen verwandelt ſeyn, das den Reliquien von Pygmalions Leben aͤhn- lich ſehen wird. Ein Schoͤpfer ſeines Vol- kes in der Sprache unſers Witzes wird nach einer undenklichen Zeit eben ſo poetiſch ver- ſtanden werden muͤſſen, als ein Bildhauer ſeines Weibes. Es giebt in dem Tempel der Gelehrſam- keit wuͤrklich einen Goͤtzen, der unter ſeinem Bilde

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/22
Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/22>, abgerufen am 23.04.2024.