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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065-1075).
großen Sachsenaufstand von 1073, dessen Seele bald Otto von
Nordheim wurde.

Auf der Harzburg völlig überrascht und nur mit genauer Not
von da entflohen, geriet Heinrich durch den Abfall auch der
Thüringer und die Hilfsverweigerung der Fürsten, von denen die
weltlichen durch die ganze Richtung seiner Politik, die geistlichen
auch durch gesteigerte finanzielle Anforderungen des Reiches und
Wiederaufnahme der einträglichen Simonie verstimmt waren, in eine
äußerst mißliche Lage und sah sich gezwungen, den Rebellen einst-
weilen entgegenzukommen. Eine ähnliche Anklage, wie er sie selbst
gegen Otto von Nordheim ausgenutzt hatte, bedrohte jetzt das
königliche Ansehen, -- offenbar eine Intrigue seiner Gegner, um
die süddeutschen Herzöge, auf die er Mordanschläge gerichtet haben
sollte, ihm noch gründlicher zu entfremden. Aus diesem Tiefstande
seiner Macht hob ihn, als er sich zum Rhein wandte, zuerst die
Anhänglichkeit der Wormser Bürgerschaft wieder empor, die ihren
königsfeindlichen Bischof verjagte und Heinrich jetzt mit Jubel in
ihre Mauern aufnahm. Hier und kurz darauf in Köln, also in den
kulturell und namentlich im Handelsverkehr am weitesten fortge-
schrittenen Gebieten des Mittel- und Niederrheins, zeigen sich so-
mit die ersten Spuren des Emanzipationskampfes der jungen städ-
tischen Bürgerschaft gegen die Herrschaft der Bischöfe, Spuren, wie
sie in Italien schon über ein halbes Jahrhundert weiter zurück-
reichen. Man darf die politische Bedeutung dieser noch keines-
wegs allgemeineren Volksbewegung nicht überschätzen; nur in
Worms wurde sie für die Reichsgewalt nutzbar, während in Köln
Erzbischof Anno den Aufstand grausam erstickte. Es lagen in ihr
noch weniger Gegenwartswerte, als Zukunftsmöglichkeiten: das freund-
liche Verhältnis zwischen Königtum und Bürgertum, wie es nun
ein charakteristischer Zug von Heinrichs Regierung wurde, konnte
vielleicht für die deutsche Monarchie dereinst von ähnlicher Wich-
tigkeit werden, wie für die französischen Capetinger. Schon jetzt
aber mußte die unerwartete Hilfe dieser revolutionären Kräfte den
Mut Heinrichs beleben und auf den deutschen Episkopat einen
Druck im Sinne der Annäherung an den König ausüben. Der im
Wahnsinn erfolgende Tod seines Anklägers mußte weiterhin als ein
Gottesurteil zugunsten Heinrichs erscheinen. So war der Friede von
Gerstungen (a. d. Werra), den die geistlichen Fürsten vermittelten
(1074), nicht schlechthin eine Niederlage des Königs, wie ihn
etwa Giesebrecht aufgefaßt hat, sondern ein Kompromiß, das den
Besitzstand der Krone in Sachsen nicht schmälerte, aber den Re-
bellen Straflosigkeit, Wahrung ihres Rechts und Schleifung der
neuen Burgen zusicherte.

§ 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075).
großen Sachsenaufstand von 1073, dessen Seele bald Otto von
Nordheim wurde.

Auf der Harzburg völlig überrascht und nur mit genauer Not
von da entflohen, geriet Heinrich durch den Abfall auch der
Thüringer und die Hilfsverweigerung der Fürsten, von denen die
weltlichen durch die ganze Richtung seiner Politik, die geistlichen
auch durch gesteigerte finanzielle Anforderungen des Reiches und
Wiederaufnahme der einträglichen Simonie verstimmt waren, in eine
äußerst mißliche Lage und sah sich gezwungen, den Rebellen einst-
weilen entgegenzukommen. Eine ähnliche Anklage, wie er sie selbst
gegen Otto von Nordheim ausgenutzt hatte, bedrohte jetzt das
königliche Ansehen, — offenbar eine Intrigue seiner Gegner, um
die süddeutschen Herzöge, auf die er Mordanschläge gerichtet haben
sollte, ihm noch gründlicher zu entfremden. Aus diesem Tiefstande
seiner Macht hob ihn, als er sich zum Rhein wandte, zuerst die
Anhänglichkeit der Wormser Bürgerschaft wieder empor, die ihren
königsfeindlichen Bischof verjagte und Heinrich jetzt mit Jubel in
ihre Mauern aufnahm. Hier und kurz darauf in Köln, also in den
kulturell und namentlich im Handelsverkehr am weitesten fortge-
schrittenen Gebieten des Mittel- und Niederrheins, zeigen sich so-
mit die ersten Spuren des Emanzipationskampfes der jungen städ-
tischen Bürgerschaft gegen die Herrschaft der Bischöfe, Spuren, wie
sie in Italien schon über ein halbes Jahrhundert weiter zurück-
reichen. Man darf die politische Bedeutung dieser noch keines-
wegs allgemeineren Volksbewegung nicht überschätzen; nur in
Worms wurde sie für die Reichsgewalt nutzbar, während in Köln
Erzbischof Anno den Aufstand grausam erstickte. Es lagen in ihr
noch weniger Gegenwartswerte, als Zukunftsmöglichkeiten: das freund-
liche Verhältnis zwischen Königtum und Bürgertum, wie es nun
ein charakteristischer Zug von Heinrichs Regierung wurde, konnte
vielleicht für die deutsche Monarchie dereinst von ähnlicher Wich-
tigkeit werden, wie für die französischen Capetinger. Schon jetzt
aber mußte die unerwartete Hilfe dieser revolutionären Kräfte den
Mut Heinrichs beleben und auf den deutschen Episkopat einen
Druck im Sinne der Annäherung an den König ausüben. Der im
Wahnsinn erfolgende Tod seines Anklägers mußte weiterhin als ein
Gottesurteil zugunsten Heinrichs erscheinen. So war der Friede von
Gerstungen (a. d. Werra), den die geistlichen Fürsten vermittelten
(1074), nicht schlechthin eine Niederlage des Königs, wie ihn
etwa Giesebrecht aufgefaßt hat, sondern ein Kompromiß, das den
Besitzstand der Krone in Sachsen nicht schmälerte, aber den Re-
bellen Straflosigkeit, Wahrung ihres Rechts und Schleifung der
neuen Burgen zusicherte.

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[41/0049] § 4. Die Anfänge Heinrichs IV. und Gregors VII. (1065‒1075). großen Sachsenaufstand von 1073, dessen Seele bald Otto von Nordheim wurde. Auf der Harzburg völlig überrascht und nur mit genauer Not von da entflohen, geriet Heinrich durch den Abfall auch der Thüringer und die Hilfsverweigerung der Fürsten, von denen die weltlichen durch die ganze Richtung seiner Politik, die geistlichen auch durch gesteigerte finanzielle Anforderungen des Reiches und Wiederaufnahme der einträglichen Simonie verstimmt waren, in eine äußerst mißliche Lage und sah sich gezwungen, den Rebellen einst- weilen entgegenzukommen. Eine ähnliche Anklage, wie er sie selbst gegen Otto von Nordheim ausgenutzt hatte, bedrohte jetzt das königliche Ansehen, — offenbar eine Intrigue seiner Gegner, um die süddeutschen Herzöge, auf die er Mordanschläge gerichtet haben sollte, ihm noch gründlicher zu entfremden. Aus diesem Tiefstande seiner Macht hob ihn, als er sich zum Rhein wandte, zuerst die Anhänglichkeit der Wormser Bürgerschaft wieder empor, die ihren königsfeindlichen Bischof verjagte und Heinrich jetzt mit Jubel in ihre Mauern aufnahm. Hier und kurz darauf in Köln, also in den kulturell und namentlich im Handelsverkehr am weitesten fortge- schrittenen Gebieten des Mittel- und Niederrheins, zeigen sich so- mit die ersten Spuren des Emanzipationskampfes der jungen städ- tischen Bürgerschaft gegen die Herrschaft der Bischöfe, Spuren, wie sie in Italien schon über ein halbes Jahrhundert weiter zurück- reichen. Man darf die politische Bedeutung dieser noch keines- wegs allgemeineren Volksbewegung nicht überschätzen; nur in Worms wurde sie für die Reichsgewalt nutzbar, während in Köln Erzbischof Anno den Aufstand grausam erstickte. Es lagen in ihr noch weniger Gegenwartswerte, als Zukunftsmöglichkeiten: das freund- liche Verhältnis zwischen Königtum und Bürgertum, wie es nun ein charakteristischer Zug von Heinrichs Regierung wurde, konnte vielleicht für die deutsche Monarchie dereinst von ähnlicher Wich- tigkeit werden, wie für die französischen Capetinger. Schon jetzt aber mußte die unerwartete Hilfe dieser revolutionären Kräfte den Mut Heinrichs beleben und auf den deutschen Episkopat einen Druck im Sinne der Annäherung an den König ausüben. Der im Wahnsinn erfolgende Tod seines Anklägers mußte weiterhin als ein Gottesurteil zugunsten Heinrichs erscheinen. So war der Friede von Gerstungen (a. d. Werra), den die geistlichen Fürsten vermittelten (1074), nicht schlechthin eine Niederlage des Königs, wie ihn etwa Giesebrecht aufgefaßt hat, sondern ein Kompromiß, das den Besitzstand der Krone in Sachsen nicht schmälerte, aber den Re- bellen Straflosigkeit, Wahrung ihres Rechts und Schleifung der neuen Burgen zusicherte.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/49>, abgerufen am 16.04.2024.