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Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909.

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I. Die Zeit der Salier.
ständige Persönlichkeiten mit eigenen Zielen verachtete er; alle ent-
gegenstehenden Rechte der Staaten brachen sich an der "Gerecht-
same des heiligen Petrus". Der Widerstand der Welt hätte ihn
nie belehrt oder bekehrt, machte ihn vielmehr nur einsam und
mißtrauisch. Begreiflich genug, daß sich für diese leidenschaftliche,
idealistische Kampfnatur die moralischen Maßstäbe verschoben: der
Gegner war der Verworfene, Mittel, welche die höchste Idee förderten,
erschienen unwillkürlich als billigenswert, auch wenn wir sie heute
anders beurteilen. Die hastige Gier, mit der Gregor nach Rechts-
titeln für die Herrschaftsansprüche der Kirche griff, verrückte absicht-
lich oder unabsichtlich die natürlichen Zusammenhänge und führte zu
erstaunlichen Entstellungen der Wahrheit1); nur wird man die Gemüts-
verfassung mittelalterlicher Geistlicher, die so oft zur Erhöhung ihrer
Kirche selbst zu Fälschungen griffen, stets auch zum Verständnis
Gregors berücksichtigen müssen.

Das kirchenpolitische System, das er entwickelte, war in seinen
einzelnen Gedanken durchaus nicht neu, lebte er doch selbst in der
Vorstellung, nur das alte Recht zu erneuern; aber indem er an
Augustin, an Pseudoisidor und Papst Nikolaus I. anknüpfte, steigerte
er doch allenthalben die Ansprüche durch zuspitzende Formulierung
und den geschlossenen Bau des Ganzen. Hätte Gregor dies System
nur theoretisch entwickelt, so würde ihm eine Stelle unter den
Förderern des Kirchenrechts, aber nicht unter den weltgeschicht-
lichen Größen zukommen. Dazu war nötig, daß er wenigstens
einen Teil seiner Gedanken in die Tat umsetzte und für den Rest
eine Propaganda von solcher Wucht und Nachhaltigkeit machte,
daß sie niemals wieder vergessen werden konnten. Das war nun
wirklich das Werk seines Lebens. Wenn Hauck ihm staatsmännische
Größe abspricht, weil ihm das Gefühl für das Mögliche gefehlt
habe, so wollte Gregor allerdings mehr sein, als ein mit den ge-
gebenen Möglichkeiten rechnender Staatsmann, vielmehr ein großer
Reformator, ein Umgestalter der Welt. Daß ein so umfassendes
Ideal nicht sogleich, daß es in vollem Umfange überhaupt niemals
verwirklicht werden konnte, kann wohl gegen die Realpolitik, aber

1) Zwei besonders lehrreiche Fälle derart hat Scheffer-Boichorst (Ges.
Schriften I, 107 ff.) in das klarste Licht gerückt: das behauptete Eigentums-
recht der römischen Kirche an Sachsen, weil dort unter Karl d. Gr. zwei
Kirchen dem h. Petrus geweiht waren, und die Inanspruchnahme eines Zinses
von ganz Frankreich wegen einer angeblichen Stiftung Karls für eine fränkische
Schule in Rom! In welcher Welt der Träume und Fiktionen Gregor lebte,
und wie gewaltsam oft die Umbildung des kanonischen Rechtes durch ihn
und seine Anhänger erfolgte, läßt sich bei aller Vorsicht gegen die feindselige
Tendenz doch auch den Ausführungen Döllingers (Das Papsttum, neubearb. v.
Friedrich, 1892, S. 40 ff.) entnehmen.

I. Die Zeit der Salier.
ständige Persönlichkeiten mit eigenen Zielen verachtete er; alle ent-
gegenstehenden Rechte der Staaten brachen sich an der „Gerecht-
same des heiligen Petrus“. Der Widerstand der Welt hätte ihn
nie belehrt oder bekehrt, machte ihn vielmehr nur einsam und
mißtrauisch. Begreiflich genug, daß sich für diese leidenschaftliche,
idealistische Kampfnatur die moralischen Maßstäbe verschoben: der
Gegner war der Verworfene, Mittel, welche die höchste Idee förderten,
erschienen unwillkürlich als billigenswert, auch wenn wir sie heute
anders beurteilen. Die hastige Gier, mit der Gregor nach Rechts-
titeln für die Herrschaftsansprüche der Kirche griff, verrückte absicht-
lich oder unabsichtlich die natürlichen Zusammenhänge und führte zu
erstaunlichen Entstellungen der Wahrheit1); nur wird man die Gemüts-
verfassung mittelalterlicher Geistlicher, die so oft zur Erhöhung ihrer
Kirche selbst zu Fälschungen griffen, stets auch zum Verständnis
Gregors berücksichtigen müssen.

Das kirchenpolitische System, das er entwickelte, war in seinen
einzelnen Gedanken durchaus nicht neu, lebte er doch selbst in der
Vorstellung, nur das alte Recht zu erneuern; aber indem er an
Augustin, an Pseudoisidor und Papst Nikolaus I. anknüpfte, steigerte
er doch allenthalben die Ansprüche durch zuspitzende Formulierung
und den geschlossenen Bau des Ganzen. Hätte Gregor dies System
nur theoretisch entwickelt, so würde ihm eine Stelle unter den
Förderern des Kirchenrechts, aber nicht unter den weltgeschicht-
lichen Größen zukommen. Dazu war nötig, daß er wenigstens
einen Teil seiner Gedanken in die Tat umsetzte und für den Rest
eine Propaganda von solcher Wucht und Nachhaltigkeit machte,
daß sie niemals wieder vergessen werden konnten. Das war nun
wirklich das Werk seines Lebens. Wenn Hauck ihm staatsmännische
Größe abspricht, weil ihm das Gefühl für das Mögliche gefehlt
habe, so wollte Gregor allerdings mehr sein, als ein mit den ge-
gebenen Möglichkeiten rechnender Staatsmann, vielmehr ein großer
Reformator, ein Umgestalter der Welt. Daß ein so umfassendes
Ideal nicht sogleich, daß es in vollem Umfange überhaupt niemals
verwirklicht werden konnte, kann wohl gegen die Realpolitik, aber

1) Zwei besonders lehrreiche Fälle derart hat Scheffer-Boichorst (Ges.
Schriften I, 107 ff.) in das klarste Licht gerückt: das behauptete Eigentums-
recht der römischen Kirche an Sachsen, weil dort unter Karl d. Gr. zwei
Kirchen dem h. Petrus geweiht waren, und die Inanspruchnahme eines Zinses
von ganz Frankreich wegen einer angeblichen Stiftung Karls für eine fränkische
Schule in Rom! In welcher Welt der Träume und Fiktionen Gregor lebte,
und wie gewaltsam oft die Umbildung des kanonischen Rechtes durch ihn
und seine Anhänger erfolgte, läßt sich bei aller Vorsicht gegen die feindselige
Tendenz doch auch den Ausführungen Döllingers (Das Papsttum, neubearb. v.
Friedrich, 1892, S. 40 ff.) entnehmen.
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[44/0052] I. Die Zeit der Salier. ständige Persönlichkeiten mit eigenen Zielen verachtete er; alle ent- gegenstehenden Rechte der Staaten brachen sich an der „Gerecht- same des heiligen Petrus“. Der Widerstand der Welt hätte ihn nie belehrt oder bekehrt, machte ihn vielmehr nur einsam und mißtrauisch. Begreiflich genug, daß sich für diese leidenschaftliche, idealistische Kampfnatur die moralischen Maßstäbe verschoben: der Gegner war der Verworfene, Mittel, welche die höchste Idee förderten, erschienen unwillkürlich als billigenswert, auch wenn wir sie heute anders beurteilen. Die hastige Gier, mit der Gregor nach Rechts- titeln für die Herrschaftsansprüche der Kirche griff, verrückte absicht- lich oder unabsichtlich die natürlichen Zusammenhänge und führte zu erstaunlichen Entstellungen der Wahrheit 1); nur wird man die Gemüts- verfassung mittelalterlicher Geistlicher, die so oft zur Erhöhung ihrer Kirche selbst zu Fälschungen griffen, stets auch zum Verständnis Gregors berücksichtigen müssen. Das kirchenpolitische System, das er entwickelte, war in seinen einzelnen Gedanken durchaus nicht neu, lebte er doch selbst in der Vorstellung, nur das alte Recht zu erneuern; aber indem er an Augustin, an Pseudoisidor und Papst Nikolaus I. anknüpfte, steigerte er doch allenthalben die Ansprüche durch zuspitzende Formulierung und den geschlossenen Bau des Ganzen. Hätte Gregor dies System nur theoretisch entwickelt, so würde ihm eine Stelle unter den Förderern des Kirchenrechts, aber nicht unter den weltgeschicht- lichen Größen zukommen. Dazu war nötig, daß er wenigstens einen Teil seiner Gedanken in die Tat umsetzte und für den Rest eine Propaganda von solcher Wucht und Nachhaltigkeit machte, daß sie niemals wieder vergessen werden konnten. Das war nun wirklich das Werk seines Lebens. Wenn Hauck ihm staatsmännische Größe abspricht, weil ihm das Gefühl für das Mögliche gefehlt habe, so wollte Gregor allerdings mehr sein, als ein mit den ge- gebenen Möglichkeiten rechnender Staatsmann, vielmehr ein großer Reformator, ein Umgestalter der Welt. Daß ein so umfassendes Ideal nicht sogleich, daß es in vollem Umfange überhaupt niemals verwirklicht werden konnte, kann wohl gegen die Realpolitik, aber 1) Zwei besonders lehrreiche Fälle derart hat Scheffer-Boichorst (Ges. Schriften I, 107 ff.) in das klarste Licht gerückt: das behauptete Eigentums- recht der römischen Kirche an Sachsen, weil dort unter Karl d. Gr. zwei Kirchen dem h. Petrus geweiht waren, und die Inanspruchnahme eines Zinses von ganz Frankreich wegen einer angeblichen Stiftung Karls für eine fränkische Schule in Rom! In welcher Welt der Träume und Fiktionen Gregor lebte, und wie gewaltsam oft die Umbildung des kanonischen Rechtes durch ihn und seine Anhänger erfolgte, läßt sich bei aller Vorsicht gegen die feindselige Tendenz doch auch den Ausführungen Döllingers (Das Papsttum, neubearb. v. Friedrich, 1892, S. 40 ff.) entnehmen.

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Zitationshilfe: Hampe, Karl: Deutsche Kaisergeschichte in der Zeit der Salier und Staufer. Leipzig, 1909, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hampe_kaisergeschichte_1909/52>, abgerufen am 28.03.2024.