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Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844.

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Kette um den Hals sich übereilt, weil er an Nichts
dachte, als daran, daß der Kaufmann, der die Ju-
welen vermißt, sein Schwager ist, so würde sich's
finden, ob das Gesetzbuch ein Loch hat, und ob der
König, der wohl weiß, daß er seinen Unterthanen
ihre Treu' und ihren Gehorsam mit Gerechtigkeit be-
zahlen muß, und der dem Geringsten unter ihnen ge-
wiß am wenigsten etwas schuldig bleiben will, dies Loch
ungestopft ließe. Aber, das sind unnütze Reden! Der
Junge wird so wenig rein aus diesem Prozeß hervor-
gehen, wie Deine Mutter lebendig aus ihrer Gruft.
Von dem kommt mir nun und nimmer ein Trost,
darum vergiß Du nicht, was Du mir schuldig bist,
halte Du Deinen Schwur, damit ich den meinigen
nicht zu halten brauche!
(er geht, kehrt aber wieder um)
Ich komme heut Abend erst spät zu Hause, ich gehe
zu dem alten Holzhändler in's Gebirge. Das ist
der einzige Mann, der mir noch, wie sonst, in die
Augen sieht, weil er noch nicht von meiner Schande
weiß. Er ist taub, Keiner kann ihm was erzählen,
ohne sich heiser zu schreien, und auch dann hört er
Alles verkehrt, darum erfährt er Nichts.
(ab)
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Kette um den Hals ſich übereilt, weil er an Nichts
dachte, als daran, daß der Kaufmann, der die Ju-
welen vermißt, ſein Schwager iſt, ſo würde ſich’s
finden, ob das Geſetzbuch ein Loch hat, und ob der
König, der wohl weiß, daß er ſeinen Unterthanen
ihre Treu’ und ihren Gehorſam mit Gerechtigkeit be-
zahlen muß, und der dem Geringſten unter ihnen ge-
wiß am wenigſten etwas ſchuldig bleiben will, dies Loch
ungeſtopft ließe. Aber, das ſind unnütze Reden! Der
Junge wird ſo wenig rein aus dieſem Prozeß hervor-
gehen, wie Deine Mutter lebendig aus ihrer Gruft.
Von dem kommt mir nun und nimmer ein Troſt,
darum vergiß Du nicht, was Du mir ſchuldig biſt,
halte Du Deinen Schwur, damit ich den meinigen
nicht zu halten brauche!
(er geht, kehrt aber wieder um)
Ich komme heut Abend erſt ſpät zu Hauſe, ich gehe
zu dem alten Holzhändler in’s Gebirge. Das iſt
der einzige Mann, der mir noch, wie ſonſt, in die
Augen ſieht, weil er noch nicht von meiner Schande
weiß. Er iſt taub, Keiner kann ihm was erzählen,
ohne ſich heiſer zu ſchreien, und auch dann hört er
Alles verkehrt, darum erfährt er Nichts.
(ab)
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[67/0135] Kette um den Hals ſich übereilt, weil er an Nichts dachte, als daran, daß der Kaufmann, der die Ju- welen vermißt, ſein Schwager iſt, ſo würde ſich’s finden, ob das Geſetzbuch ein Loch hat, und ob der König, der wohl weiß, daß er ſeinen Unterthanen ihre Treu’ und ihren Gehorſam mit Gerechtigkeit be- zahlen muß, und der dem Geringſten unter ihnen ge- wiß am wenigſten etwas ſchuldig bleiben will, dies Loch ungeſtopft ließe. Aber, das ſind unnütze Reden! Der Junge wird ſo wenig rein aus dieſem Prozeß hervor- gehen, wie Deine Mutter lebendig aus ihrer Gruft. Von dem kommt mir nun und nimmer ein Troſt, darum vergiß Du nicht, was Du mir ſchuldig biſt, halte Du Deinen Schwur, damit ich den meinigen nicht zu halten brauche! (er geht, kehrt aber wieder um) Ich komme heut Abend erſt ſpät zu Hauſe, ich gehe zu dem alten Holzhändler in’s Gebirge. Das iſt der einzige Mann, der mir noch, wie ſonſt, in die Augen ſieht, weil er noch nicht von meiner Schande weiß. Er iſt taub, Keiner kann ihm was erzählen, ohne ſich heiſer zu ſchreien, und auch dann hört er Alles verkehrt, darum erfährt er Nichts. (ab) 5*

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Zitationshilfe: Hebbel, Friedrich: Maria Magdalene. Hamburg, 1844, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebbel_magdalene_1844/135>, abgerufen am 29.03.2024.