Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

ist aber in jedem einzelnen Momente nur dieser Ei-
nen Bestimmtheit
als des Wahren sich bewusst, und
dann wieder der entgegengesetzten. Es wittert wohl
ihre Unwesenheit; sie gegen die drohende Gefahr zu
retten, geht es zur Sophisterey über, das was es
selbst so eben als das Nichtwahre behauptete, itzt
als das Wahre zu behaupten. Wozu diesen Ver-
stand eigentlich die Natur dieser unwahren Wesen
treiben will, die Gedanken von jener Allgemeinheit
und Einzelnheit, vom Auch und Eins, von jener We-
sentlichkeit
, die mit einer Unwesentlichkeit nothwendig
verknüpft ist, und von einem Unwesentlichen, das
doch nothwendig ist, -- die Gedanken von diesen Un-
wesen zusammen zu bringen und sie dadurch aufzu-
heben, dagegen sträubt er sich durch die Stützen des
Insofern und der verschiedenen Rücksichten, oder da-
durch, den einen Gedanken auf sich zu nehmen, um
den andern getrennt, und als den wahren zu erhalten.
Aber die Natur dieser Abstractionen bringt sie an und
für sich zusammen, der gesunde Verstand ist der
Raub derselben, die ihn in ihrem wirbelnden Kreise
umhertreiben. Indem er ihnen die Wahrheit dadurch
geben will, dass er bald die Unwahrheit derselben auf
sich nimmt, bald aber auch die Täuschung einen Schein
der unzuverlässigen Dinge nennt und das Wesentliche
von einem ihnen nothwendigen, und doch unwesent-
lich seyn sollenden abtrennt, und jenes als ihre Wahr-
heit gegen dieses festhält, erhält er ihnen nicht ihre
Wahrheit, sich aber gibt er die Unwahrheit.


ist aber in jedem einzelnen Momente nur dieser Ei-
nen Bestimmtheit
als des Wahren sich bewuſst, und
dann wieder der entgegengesetzten. Es wittert wohl
ihre Unwesenheit; sie gegen die drohende Gefahr zu
retten, geht es zur Sophisterey über, das was es
selbst so eben als das Nichtwahre behauptete, itzt
als das Wahre zu behaupten. Wozu diesen Ver-
stand eigentlich die Natur dieser unwahren Wesen
treiben will, die Gedanken von jener Allgemeinheit
und Einzelnheit, vom Auch und Eins, von jener We-
sentlichkeit
, die mit einer Unwesentlichkeit nothwendig
verknüpft ist, und von einem Unwesentlichen, das
doch nothwendig ist, — die Gedanken von diesen Un-
wesen zusammen zu bringen und sie dadurch aufzu-
heben, dagegen sträubt er sich durch die Stützen des
Insofern und der verschiedenen Rücksichten, oder da-
durch, den einen Gedanken auf sich zu nehmen, um
den andern getrennt, und als den wahren zu erhalten.
Aber die Natur dieser Abstractionen bringt sie an und
für sich zusammen, der gesunde Verstand ist der
Raub derselben, die ihn in ihrem wirbelnden Kreise
umhertreiben. Indem er ihnen die Wahrheit dadurch
geben will, daſs er bald die Unwahrheit derselben auf
sich nimmt, bald aber auch die Täuschung einen Schein
der unzuverlässigen Dinge nennt und das Wesentliche
von einem ihnen nothwendigen, und doch unwesent-
lich seyn sollenden abtrennt, und jenes als ihre Wahr-
heit gegen dieses festhält, erhält er ihnen nicht ihre
Wahrheit, sich aber gibt er die Unwahrheit.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0167" n="58"/>
ist aber in jedem einzelnen Momente nur dieser <hi rendition="#i">Ei-<lb/>
nen Bestimmtheit</hi> als des Wahren sich bewu&#x017F;st, und<lb/>
dann wieder der entgegengesetzten. Es wittert wohl<lb/>
ihre Unwesenheit; sie gegen die drohende Gefahr zu<lb/>
retten, geht es zur Sophisterey über, das was es<lb/>
selbst so eben als das Nichtwahre behauptete, itzt<lb/>
als das Wahre zu behaupten. Wozu diesen Ver-<lb/>
stand eigentlich die Natur dieser unwahren Wesen<lb/>
treiben will, die Gedanken von jener <hi rendition="#i">Allgemeinheit</hi><lb/>
und <hi rendition="#i">Einzelnheit</hi>, vom <hi rendition="#i">Auch</hi> und <hi rendition="#i">Eins</hi>, von jener <hi rendition="#i">We-<lb/>
sentlichkeit</hi>, die mit einer <hi rendition="#i">Unwesentlichkeit nothwendig</hi><lb/>
verknüpft ist, und von einem <hi rendition="#i">Unwesentlichen</hi>, das<lb/>
doch nothwendig ist, &#x2014; die <hi rendition="#i">Gedanken</hi> von diesen Un-<lb/>
wesen <hi rendition="#i">zusammen zu bringen</hi> und sie dadurch aufzu-<lb/>
heben, dagegen sträubt er sich durch die Stützen des<lb/><hi rendition="#i">Insofern</hi> und der verschiedenen <hi rendition="#i">Rücksichten</hi>, oder da-<lb/>
durch, den einen Gedanken auf sich zu nehmen, um<lb/>
den andern getrennt, und als den wahren zu erhalten.<lb/>
Aber die Natur dieser Abstractionen bringt sie an und<lb/>
für sich zusammen, der gesunde Verstand ist der<lb/>
Raub derselben, die ihn in ihrem wirbelnden Kreise<lb/>
umhertreiben. Indem er ihnen die Wahrheit dadurch<lb/>
geben will, da&#x017F;s er bald die Unwahrheit derselben auf<lb/>
sich nimmt, bald aber auch die Täuschung einen Schein<lb/>
der unzuverlässigen Dinge nennt und das Wesentliche<lb/>
von einem ihnen nothwendigen, und doch unwesent-<lb/>
lich seyn sollenden abtrennt, und jenes als ihre Wahr-<lb/>
heit gegen dieses festhält, erhält er ihnen nicht ihre<lb/>
Wahrheit, sich aber gibt er die Unwahrheit.</p>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0167] ist aber in jedem einzelnen Momente nur dieser Ei- nen Bestimmtheit als des Wahren sich bewuſst, und dann wieder der entgegengesetzten. Es wittert wohl ihre Unwesenheit; sie gegen die drohende Gefahr zu retten, geht es zur Sophisterey über, das was es selbst so eben als das Nichtwahre behauptete, itzt als das Wahre zu behaupten. Wozu diesen Ver- stand eigentlich die Natur dieser unwahren Wesen treiben will, die Gedanken von jener Allgemeinheit und Einzelnheit, vom Auch und Eins, von jener We- sentlichkeit, die mit einer Unwesentlichkeit nothwendig verknüpft ist, und von einem Unwesentlichen, das doch nothwendig ist, — die Gedanken von diesen Un- wesen zusammen zu bringen und sie dadurch aufzu- heben, dagegen sträubt er sich durch die Stützen des Insofern und der verschiedenen Rücksichten, oder da- durch, den einen Gedanken auf sich zu nehmen, um den andern getrennt, und als den wahren zu erhalten. Aber die Natur dieser Abstractionen bringt sie an und für sich zusammen, der gesunde Verstand ist der Raub derselben, die ihn in ihrem wirbelnden Kreise umhertreiben. Indem er ihnen die Wahrheit dadurch geben will, daſs er bald die Unwahrheit derselben auf sich nimmt, bald aber auch die Täuschung einen Schein der unzuverlässigen Dinge nennt und das Wesentliche von einem ihnen nothwendigen, und doch unwesent- lich seyn sollenden abtrennt, und jenes als ihre Wahr- heit gegen dieses festhält, erhält er ihnen nicht ihre Wahrheit, sich aber gibt er die Unwahrheit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/167
Zitationshilfe: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: System der Wissenschaft. Erster Theil: Die Phänomenologie des Geistes. Bamberg u. a., 1807, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_phaenomenologie_1807/167>, abgerufen am 19.04.2024.