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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter,
Fußweg, Prosit, Adieu. Einige der Abgehenden
sind auch etwas angesoffen, und diese haben von
der schönen Aussicht einen doppelten Genuß, da
ein Betrunkener Alles doppelt sieht.

Nachdem ich mich etwas rekreirt, bestieg ich die
Thurmwarte, und fand daselbst einen kleinen Herrn
mit zwey Damen, einer jungen und einer ältlichen.
Die junge Dame war sehr schön. Eine herrliche
Gestalt, auf dem lockigen Haupte ein helmartiger,
schwarzer Atlashut, mit dessen weißen Federn die
Winde spielten, die schlanken Glieder von einem
schwarzseidenen Mantel so fest umschlossen, daß die
edlen Formen hervortraten, und das freie, große
Auge ruhig hinabschauend in die freie, große Welt.

Als ich noch ein Knabe war, dachte ich an
nichts als an Zauber- und Wundergeschichten, und
jede schöne Dame, die Straußfedern auf dem Kopfe
trug, hielt ich für eine Elfen-Königin, und jede
schöne Dame, bey der ich bemerkte, daß die Schleppe
ihres Kleides naß war, hielt ich für eine Wasser¬

gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter,
Fußweg, Proſit, Adieu. Einige der Abgehenden
ſind auch etwas angeſoffen, und dieſe haben von
der ſchoͤnen Ausſicht einen doppelten Genuß, da
ein Betrunkener Alles doppelt ſieht.

Nachdem ich mich etwas rekreirt, beſtieg ich die
Thurmwarte, und fand daſelbſt einen kleinen Herrn
mit zwey Damen, einer jungen und einer aͤltlichen.
Die junge Dame war ſehr ſchoͤn. Eine herrliche
Geſtalt, auf dem lockigen Haupte ein helmartiger,
ſchwarzer Atlashut, mit deſſen weißen Federn die
Winde ſpielten, die ſchlanken Glieder von einem
ſchwarzſeidenen Mantel ſo feſt umſchloſſen, daß die
edlen Formen hervortraten, und das freie, große
Auge ruhig hinabſchauend in die freie, große Welt.

Als ich noch ein Knabe war, dachte ich an
nichts als an Zauber- und Wundergeſchichten, und
jede ſchoͤne Dame, die Straußfedern auf dem Kopfe
trug, hielt ich fuͤr eine Elfen-Koͤnigin, und jede
ſchoͤne Dame, bey der ich bemerkte, daß die Schleppe
ihres Kleides naß war, hielt ich fuͤr eine Waſſer¬

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[203/0215] gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter, Fußweg, Proſit, Adieu. Einige der Abgehenden ſind auch etwas angeſoffen, und dieſe haben von der ſchoͤnen Ausſicht einen doppelten Genuß, da ein Betrunkener Alles doppelt ſieht. Nachdem ich mich etwas rekreirt, beſtieg ich die Thurmwarte, und fand daſelbſt einen kleinen Herrn mit zwey Damen, einer jungen und einer aͤltlichen. Die junge Dame war ſehr ſchoͤn. Eine herrliche Geſtalt, auf dem lockigen Haupte ein helmartiger, ſchwarzer Atlashut, mit deſſen weißen Federn die Winde ſpielten, die ſchlanken Glieder von einem ſchwarzſeidenen Mantel ſo feſt umſchloſſen, daß die edlen Formen hervortraten, und das freie, große Auge ruhig hinabſchauend in die freie, große Welt. Als ich noch ein Knabe war, dachte ich an nichts als an Zauber- und Wundergeſchichten, und jede ſchoͤne Dame, die Straußfedern auf dem Kopfe trug, hielt ich fuͤr eine Elfen-Koͤnigin, und jede ſchoͤne Dame, bey der ich bemerkte, daß die Schleppe ihres Kleides naß war, hielt ich fuͤr eine Waſſer¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/215>, abgerufen am 24.04.2024.