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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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nenkäufer eingekommen. Hierauf aber fiel ich gleich
über die Türkey her, und durchlas das lange Con¬
stantinopel, um nur zu sehen, ob nicht wieder
ein Großvezier mit der seidenen Schnur beehrt
worden.

Dieses letztere gab mir immer den meisten
Stoff zum Nachdenken. Daß ein Despot seinen
Diener ohne Umstände erdrosseln läßt, fand ich
ganz natürlich. Sah ich doch einst in der Me¬
nagerie, wie der König der Thiere so sehr in maje¬
stätischen Zorn gerieth, daß er gewiß manchen
unschuldigen Zuschauer zerrissen hätte, wäre er
nicht in einer sichern Constitution, die aus eisernen
Stangen verfertigt war, eingesperrt gewesen. Aber
was mich Wunder nahm, war immer der Um¬
stand, daß nach der Erdrosselung des alten Herrn
Großveziers sich immer wieder Jemand fand, der
Lust hatte, Großvezier zu werden.

Jetzt, wo ich etwas älter geworden bin, und
mich mehr mit den Engländern als mit ihren

nenkaͤufer eingekommen. Hierauf aber fiel ich gleich
uͤber die Tuͤrkey her, und durchlas das lange Con¬
ſtantinopel, um nur zu ſehen, ob nicht wieder
ein Großvezier mit der ſeidenen Schnur beehrt
worden.

Dieſes letztere gab mir immer den meiſten
Stoff zum Nachdenken. Daß ein Despot ſeinen
Diener ohne Umſtaͤnde erdroſſeln laͤßt, fand ich
ganz natuͤrlich. Sah ich doch einſt in der Me¬
nagerie, wie der Koͤnig der Thiere ſo ſehr in maje¬
ſtaͤtiſchen Zorn gerieth, daß er gewiß manchen
unſchuldigen Zuſchauer zerriſſen haͤtte, waͤre er
nicht in einer ſichern Conſtitution, die aus eiſernen
Stangen verfertigt war, eingeſperrt geweſen. Aber
was mich Wunder nahm, war immer der Um¬
ſtand, daß nach der Erdroſſelung des alten Herrn
Großveziers ſich immer wieder Jemand fand, der
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Jetzt, wo ich etwas aͤlter geworden bin, und
mich mehr mit den Englaͤndern als mit ihren

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[216/0230] nenkaͤufer eingekommen. Hierauf aber fiel ich gleich uͤber die Tuͤrkey her, und durchlas das lange Con¬ ſtantinopel, um nur zu ſehen, ob nicht wieder ein Großvezier mit der ſeidenen Schnur beehrt worden. Dieſes letztere gab mir immer den meiſten Stoff zum Nachdenken. Daß ein Despot ſeinen Diener ohne Umſtaͤnde erdroſſeln laͤßt, fand ich ganz natuͤrlich. Sah ich doch einſt in der Me¬ nagerie, wie der Koͤnig der Thiere ſo ſehr in maje¬ ſtaͤtiſchen Zorn gerieth, daß er gewiß manchen unſchuldigen Zuſchauer zerriſſen haͤtte, waͤre er nicht in einer ſichern Conſtitution, die aus eiſernen Stangen verfertigt war, eingeſperrt geweſen. Aber was mich Wunder nahm, war immer der Um¬ ſtand, daß nach der Erdroſſelung des alten Herrn Großveziers ſich immer wieder Jemand fand, der Luſt hatte, Großvezier zu werden. Jetzt, wo ich etwas aͤlter geworden bin, und mich mehr mit den Englaͤndern als mit ihren

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/230>, abgerufen am 16.04.2024.