Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298.

Bild:
<< vorherige Seite

Jahrhundert gelegen, ehe ein treffendes Wort über ihn gesagt
wurde; über Leibnitz ist vielleicht das erste treffende Wort noch
zu erwarten, über Kant ganz gewiß. Findet ein Buch so-
gleich bei seiner Erscheinung seinen kompetenten Richter, so
ist dies der treffende Beweis, dass dieses Buch eben so wohl
auch ungeschrieben hätte bleiben können."

Diese Worte sind von Johann Gottlieb Fichte, und wir
setzen sie als Motto vor unsere Rezension des Menzelschen
Werks, theils um anzudeuten, dass wir nichts weniger als
eine Rezension liefern, theils auch um den Vfr. zu trösten,
wenn über den eigentlichen Jnhalt seines Buches nichts Er-
gründendes gesagt wird, sondern nur dessen Verhältniss zu an-
deren Büchern der Art, dessen Aeusserlichkeiten und besonders
hervorstehende Gedankenspitzen besprochen werden.

Jndem wir nun zuförderst zu ermitteln suchen, mit wel-
chen vorhandenen Büchern der Art das vorliegende Werk ver-
gleichend zusammengestellt werden kann, kommen uns Fried-
rich Schlegels Vorlesungen über Literatur fast ausschliesslich
in Erinnerung. Auch dieses Buch hat nicht seinen kompeten-
ten Richter gefunden, und wie stark sich auch in der lezteren
Zeit, aus kleinlich protestantischen Gründen, manche abspre-
chende Stimmen gegen Friedrich Schlegel erhoben haben, so
war doch noch keiner im Stande, beurtheilend sich über den
grossen Beurtheiler zu erheben; und wenn wir auch einge-
stehen müssen, dass ihm an kritischem Scharfblick sein Bru-
der August Wilhelm und einige neuere Kritiker, z.B. Willi-
bald Alexis, Zimmermann, Varnhagen v. Ense und Jmmer-
mann, ziemlich überlegen sind, so haben uns diese bisher doch
nur Monographien geliefert, während Friedrich Schlegel gross-
artig das Ganze aller geistigen Bestrebungen erfasste, die Er-
scheinungen derselben gleichsam wieder zurückschuf in das ur-
sprüngliche Schöpfungs-Wort, woraus sie hervorgegangen,
so dass sein Buch einem schaffenden Geisterliede gleicht.

Jahrhundert gelegen, ehe ein treffendes Wort über ihn geſagt
wurde; über Leibnitz iſt vielleicht das erſte treffende Wort noch
zu erwarten, über Kant ganz gewiß. Findet ein Buch ſo-
gleich bei ſeiner Erſcheinung ſeinen kompetenten Richter, ſo
iſt dies der treffende Beweis, daſs dieſes Buch eben ſo wohl
auch ungeſchrieben hätte bleiben können.“

Dieſe Worte ſind von Johann Gottlieb Fichte, und wir
ſetzen ſie als Motto vor unſere Rezenſion des Menzelſchen
Werks, theils um anzudeuten, daſs wir nichts weniger als
eine Rezenſion liefern, theils auch um den Vfr. zu tröſten,
wenn über den eigentlichen Jnhalt ſeines Buches nichts Er-
gründendes geſagt wird, ſondern nur dessen Verhältniſs zu an-
deren Büchern der Art, dessen Aeuſserlichkeiten und beſonders
hervorſtehende Gedankenſpitzen beſprochen werden.

Jndem wir nun zuförderſt zu ermitteln ſuchen, mit wel-
chen vorhandenen Büchern der Art das vorliegende Werk ver-
gleichend zuſammengeſtellt werden kann, kommen uns Fried-
rich Schlegels Vorleſungen über Literatur faſt ausſchlieſslich
in Erinnerung. Auch dieſes Buch hat nicht ſeinen kompeten-
ten Richter gefunden, und wie ſtark ſich auch in der lezteren
Zeit, aus kleinlich proteſtantiſchen Gründen, manche abſpre-
chende Stimmen gegen Friedrich Schlegel erhoben haben, ſo
war doch noch keiner im Stande, beurtheilend ſich über den
groſsen Beurtheiler zu erheben; und wenn wir auch einge-
ſtehen müſſen, daſs ihm an kritischem Scharfblick ſein Bru-
der Auguſt Wilhelm und einige neuere Kritiker, z.B. Willi-
bald Alexis, Zimmermann, Varnhagen v. Enſe und Jmmer-
mann, ziemlich überlegen ſind, ſo haben uns dieſe bisher doch
nur Monographien geliefert, während Friedrich Schlegel groſs-
artig das Ganze aller geiſtigen Beſtrebungen erfaſste, die Er-
ſcheinungen derſelben gleichſam wieder zurückſchuf in das ur-
ſprüngliche Schöpfungs-Wort, woraus ſie hervorgegangen,
ſo daſs ſein Buch einem ſchaffenden Geiſterliede gleicht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0003" n="285"/>
Jahrhundert gelegen, ehe ein treffendes Wort über ihn ge&#x017F;agt<lb/>
wurde; über Leibnitz i&#x017F;t vielleicht das er&#x017F;te treffende Wort noch<lb/>
zu erwarten, über Kant ganz gewiß. Findet ein Buch &#x017F;o-<lb/>
gleich bei &#x017F;einer Er&#x017F;cheinung &#x017F;einen kompetenten Richter, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t dies der treffende Beweis, da&#x017F;s die&#x017F;es Buch eben &#x017F;o wohl<lb/>
auch unge&#x017F;chrieben hätte bleiben können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Worte &#x017F;ind von Johann Gottlieb Fichte, und wir<lb/>
&#x017F;etzen &#x017F;ie als Motto vor un&#x017F;ere Rezen&#x017F;ion des Menzel&#x017F;chen<lb/>
Werks, theils um anzudeuten, da&#x017F;s wir nichts weniger als<lb/>
eine Rezen&#x017F;ion liefern, theils auch um den Vfr. zu trö&#x017F;ten,<lb/>
wenn über den eigentlichen Jnhalt &#x017F;eines Buches nichts Er-<lb/>
gründendes ge&#x017F;agt wird, &#x017F;ondern nur dessen Verhältni&#x017F;s zu an-<lb/>
deren Büchern der Art, dessen Aeu&#x017F;serlichkeiten und be&#x017F;onders<lb/>
hervor&#x017F;tehende Gedanken&#x017F;pitzen be&#x017F;prochen werden.</p><lb/>
        <p>Jndem wir nun zuförder&#x017F;t zu ermitteln &#x017F;uchen, mit wel-<lb/>
chen vorhandenen Büchern der Art das vorliegende Werk ver-<lb/>
gleichend zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt werden kann, kommen uns Fried-<lb/>
rich Schlegels Vorle&#x017F;ungen über Literatur fa&#x017F;t aus&#x017F;chlie&#x017F;slich<lb/>
in Erinnerung. Auch die&#x017F;es Buch hat nicht &#x017F;einen kompeten-<lb/>
ten Richter gefunden, und wie &#x017F;tark &#x017F;ich auch in der lezteren<lb/>
Zeit, aus kleinlich prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Gründen, manche ab&#x017F;pre-<lb/>
chende Stimmen gegen Friedrich Schlegel erhoben haben, &#x017F;o<lb/>
war doch noch keiner im Stande, beurtheilend &#x017F;ich über den<lb/>
gro&#x017F;sen Beurtheiler zu erheben; und wenn wir auch einge-<lb/>
&#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;en, da&#x017F;s ihm an kritischem Scharfblick &#x017F;ein Bru-<lb/>
der Augu&#x017F;t Wilhelm und einige neuere Kritiker, z.B. Willi-<lb/>
bald Alexis, Zimmermann, Varnhagen v. En&#x017F;e und Jmmer-<lb/>
mann, ziemlich überlegen &#x017F;ind, &#x017F;o haben uns die&#x017F;e bisher doch<lb/>
nur Monographien geliefert, während Friedrich Schlegel gro&#x017F;s-<lb/>
artig das Ganze aller gei&#x017F;tigen Be&#x017F;trebungen erfa&#x017F;ste, die Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen der&#x017F;elben gleich&#x017F;am wieder zurück&#x017F;chuf in das ur-<lb/>
&#x017F;prüngliche Schöpfungs-Wort, woraus &#x017F;ie hervorgegangen,<lb/>
&#x017F;o da&#x017F;s &#x017F;ein Buch einem &#x017F;chaffenden Gei&#x017F;terliede gleicht.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0003] Jahrhundert gelegen, ehe ein treffendes Wort über ihn geſagt wurde; über Leibnitz iſt vielleicht das erſte treffende Wort noch zu erwarten, über Kant ganz gewiß. Findet ein Buch ſo- gleich bei ſeiner Erſcheinung ſeinen kompetenten Richter, ſo iſt dies der treffende Beweis, daſs dieſes Buch eben ſo wohl auch ungeſchrieben hätte bleiben können.“ Dieſe Worte ſind von Johann Gottlieb Fichte, und wir ſetzen ſie als Motto vor unſere Rezenſion des Menzelſchen Werks, theils um anzudeuten, daſs wir nichts weniger als eine Rezenſion liefern, theils auch um den Vfr. zu tröſten, wenn über den eigentlichen Jnhalt ſeines Buches nichts Er- gründendes geſagt wird, ſondern nur dessen Verhältniſs zu an- deren Büchern der Art, dessen Aeuſserlichkeiten und beſonders hervorſtehende Gedankenſpitzen beſprochen werden. Jndem wir nun zuförderſt zu ermitteln ſuchen, mit wel- chen vorhandenen Büchern der Art das vorliegende Werk ver- gleichend zuſammengeſtellt werden kann, kommen uns Fried- rich Schlegels Vorleſungen über Literatur faſt ausſchlieſslich in Erinnerung. Auch dieſes Buch hat nicht ſeinen kompeten- ten Richter gefunden, und wie ſtark ſich auch in der lezteren Zeit, aus kleinlich proteſtantiſchen Gründen, manche abſpre- chende Stimmen gegen Friedrich Schlegel erhoben haben, ſo war doch noch keiner im Stande, beurtheilend ſich über den groſsen Beurtheiler zu erheben; und wenn wir auch einge- ſtehen müſſen, daſs ihm an kritischem Scharfblick ſein Bru- der Auguſt Wilhelm und einige neuere Kritiker, z.B. Willi- bald Alexis, Zimmermann, Varnhagen v. Enſe und Jmmer- mann, ziemlich überlegen ſind, ſo haben uns dieſe bisher doch nur Monographien geliefert, während Friedrich Schlegel groſs- artig das Ganze aller geiſtigen Beſtrebungen erfaſste, die Er- ſcheinungen derſelben gleichſam wieder zurückſchuf in das ur- ſprüngliche Schöpfungs-Wort, woraus ſie hervorgegangen, ſo daſs ſein Buch einem ſchaffenden Geiſterliede gleicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Rudolf Brandmeyer: Herausgeber
Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-25T12:22:51Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Magdalena Schulze, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828/3
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: [Rezension:] Die deutsche Literatur von Wolfgang Menzel. 2 Theile. Stuttgart, bei Gebrüder Frankh. 1828. In: Neue allgemeine politische Annalen, Band 27, Heft 3 (1828), S. 284–298, hier S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_rezension_1828/3>, abgerufen am 25.04.2024.