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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gänzlich aus §. 77. u. s. f. erkennen lassen. Nicht min-
der verräth sich beym Zorne der Anwachs entbundener
Vorstellungsmassen, bey der Furcht das Drängen ver-
haltener Vorstellungen gegen die wenigen noch im Be-
wusstseyn vorhandenen. Es zeigt sich ferner eben in den
angegebenen Merkmalen das Aehnliche des Zorns und
der Begeisterung, so wie das Unterscheidende der Furcht
von der Behutsamkeit.

Allein um die Affecten näher kennen zu lernen,
müssten wir ohne Zweifel die Qualität der verschiedenen
Gefühle in Betracht ziehn, durch welche sich die Affecten
unterscheiden.

Dieses erinnert an die oben erwähnte, den Psycholo-
gen gewöhnliche Ansicht, die Affecten seyen gesteigerte
Gefühle. Verhält es sich also, alsdann muss es so viele
Affecten geben als Gefühle, und das Maass der Gefühle
muss zugleich das Maass der Affecten seyn.

Oben ist bemerkt worden, dass die Gefühle in ge-
wissen Arten und Weisen, wie unsre Vorstellungen sich
im Bewusstseyn befinden, ihren Sitz haben; indem an-
dere hemmende und emportreibende Kräfte darauf ein-
wirken. Hiebey kommt es nicht darauf an, wie viele
Vorstellungen im Bewusstseyn vorhanden seyen; auch
nicht darauf, ob diejenigen Vorstellungen, welche die
Einwirkung erleiden, sich gerade in einem mehr oder
minder gehemmten Zustande befinden, welcher Unter-
schied sich vielmehr auf das Vorstellen als auf das Füh-
len bezieht; sondern darauf, wie stark das Drängen der
mit einander und wider einander wirkenden Kräfte aus-
falle. Mit Beyseitsetzung mancher nähern Bestimmun-
gen, die hier noch nicht eingesehen werden können, lässt
sich das Wesentlichste durch folgendes Gleichniss er-
läutern: man denke sich einen Hebel, und die Bedingun-
gen seines Gleichgewichts. Gesetzt, dies Gleichgewicht
wäre verletzt: so neigte sich derselbe nach der einen
oder andern Seite; damit vergleiche man das Steigen und
Sinken der Vorstellungen also die objectiven Bestimmun-

gänzlich aus §. 77. u. s. f. erkennen lassen. Nicht min-
der verräth sich beym Zorne der Anwachs entbundener
Vorstellungsmassen, bey der Furcht das Drängen ver-
haltener Vorstellungen gegen die wenigen noch im Be-
wuſstseyn vorhandenen. Es zeigt sich ferner eben in den
angegebenen Merkmalen das Aehnliche des Zorns und
der Begeisterung, so wie das Unterscheidende der Furcht
von der Behutsamkeit.

Allein um die Affecten näher kennen zu lernen,
müſsten wir ohne Zweifel die Qualität der verschiedenen
Gefühle in Betracht ziehn, durch welche sich die Affecten
unterscheiden.

Dieses erinnert an die oben erwähnte, den Psycholo-
gen gewöhnliche Ansicht, die Affecten seyen gesteigerte
Gefühle. Verhält es sich also, alsdann muſs es so viele
Affecten geben als Gefühle, und das Maaſs der Gefühle
muſs zugleich das Maaſs der Affecten seyn.

Oben ist bemerkt worden, daſs die Gefühle in ge-
wissen Arten und Weisen, wie unsre Vorstellungen sich
im Bewuſstseyn befinden, ihren Sitz haben; indem an-
dere hemmende und emportreibende Kräfte darauf ein-
wirken. Hiebey kommt es nicht darauf an, wie viele
Vorstellungen im Bewuſstseyn vorhanden seyen; auch
nicht darauf, ob diejenigen Vorstellungen, welche die
Einwirkung erleiden, sich gerade in einem mehr oder
minder gehemmten Zustande befinden, welcher Unter-
schied sich vielmehr auf das Vorstellen als auf das Füh-
len bezieht; sondern darauf, wie stark das Drängen der
mit einander und wider einander wirkenden Kräfte aus-
falle. Mit Beyseitsetzung mancher nähern Bestimmun-
gen, die hier noch nicht eingesehen werden können, läſst
sich das Wesentlichste durch folgendes Gleichniſs er-
läutern: man denke sich einen Hebel, und die Bedingun-
gen seines Gleichgewichts. Gesetzt, dies Gleichgewicht
wäre verletzt: so neigte sich derselbe nach der einen
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Sinken der Vorstellungen also die objectiven Bestimmun-

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[102/0137] gänzlich aus §. 77. u. s. f. erkennen lassen. Nicht min- der verräth sich beym Zorne der Anwachs entbundener Vorstellungsmassen, bey der Furcht das Drängen ver- haltener Vorstellungen gegen die wenigen noch im Be- wuſstseyn vorhandenen. Es zeigt sich ferner eben in den angegebenen Merkmalen das Aehnliche des Zorns und der Begeisterung, so wie das Unterscheidende der Furcht von der Behutsamkeit. Allein um die Affecten näher kennen zu lernen, müſsten wir ohne Zweifel die Qualität der verschiedenen Gefühle in Betracht ziehn, durch welche sich die Affecten unterscheiden. Dieses erinnert an die oben erwähnte, den Psycholo- gen gewöhnliche Ansicht, die Affecten seyen gesteigerte Gefühle. Verhält es sich also, alsdann muſs es so viele Affecten geben als Gefühle, und das Maaſs der Gefühle muſs zugleich das Maaſs der Affecten seyn. Oben ist bemerkt worden, daſs die Gefühle in ge- wissen Arten und Weisen, wie unsre Vorstellungen sich im Bewuſstseyn befinden, ihren Sitz haben; indem an- dere hemmende und emportreibende Kräfte darauf ein- wirken. Hiebey kommt es nicht darauf an, wie viele Vorstellungen im Bewuſstseyn vorhanden seyen; auch nicht darauf, ob diejenigen Vorstellungen, welche die Einwirkung erleiden, sich gerade in einem mehr oder minder gehemmten Zustande befinden, welcher Unter- schied sich vielmehr auf das Vorstellen als auf das Füh- len bezieht; sondern darauf, wie stark das Drängen der mit einander und wider einander wirkenden Kräfte aus- falle. Mit Beyseitsetzung mancher nähern Bestimmun- gen, die hier noch nicht eingesehen werden können, läſst sich das Wesentlichste durch folgendes Gleichniſs er- läutern: man denke sich einen Hebel, und die Bedingun- gen seines Gleichgewichts. Gesetzt, dies Gleichgewicht wäre verletzt: so neigte sich derselbe nach der einen oder andern Seite; damit vergleiche man das Steigen und Sinken der Vorstellungen also die objectiven Bestimmun-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/137>, abgerufen am 19.04.2024.