Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Beyspiele haben denn auch die Urtheilskraft und der
Verstand sich manches ähnliche müssen gefallen lassen.
Jene, die ihr Wesen in der Bejahung und Verneinung
hatte, bekam noch das Geschäfft, Schönes und Hässli-
ches zu erkennen; welches in der That mit dem gram-
matischen Geschäffte, Sätze und Perioden zu bilden, un-
gefähr so viel Aehnlichkeit hat, als das Gewissen mit
dem Syllogismus. Der Verstand aber musste neben den
übrigen Begriffen, ihren Gegensätzen und Unterordnun-
gen, noch Kategorien aufnehmen, und in diese, man
weiss nicht, nach welcher Regel, das Mannigfaltige der
räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungen vertheilen.

So ist das Fachwerk beschaffen, welches man als
Regulativ für die wichtigsten Untersuchungen ausstellte,
und lange Jahre hindurch, in der Meinung, hierin die
Erkenntniss der geistigen Natur, wie sie sey und wirke,
zu besitzen; -- ehrfürchtig anwendete!

Weit entfernt, dass die Logik sich dafür verbürge,
hat vielmehr sie selbst, wenigstens in der Darstellung,
darunter leiden müssen. Wo ist die Logik der neuern
Zeit, die nicht mit psychologisch seyn sollenden Erzäh-
lungen von dem Verstande und der Vernunft anhübe?
Gleichwohl ist dieser Fehler gerade so arg, als wenn eine
Sittenlehre mit einer Naturgeschichte der menschlichen
Neigungen, Triebe, und Schwachheiten beginnt.

Beyde, Logik und Ethik, haben Vorschrif-
ten
aufzustellen
, nach welchen sich, hier das Denken,
dort das Handeln richten soll, obgleich es sich eins wie
das andere, aus psychologischen Gründen gar oft in der
Wirklichkeit nicht darnach richtet, und nicht darnach
richten kann. Die Schärfe dieses Gegensatzes zwischen
dem Sollen und dem Können ist die schneidendste, die
es giebt; unsre Moralisten aber eben so wenig als unsre
Logiker sind bis heute dahin gekommen, sie gehörig zu
begreifen. Jene stumpfen sie ab durch die transscenden-
tale Freyheit, welche vorgeblicherweise alles kann, was
sie will; und diese verderben sie, indem sie meinen, die

Beyspiele haben denn auch die Urtheilskraft und der
Verstand sich manches ähnliche müssen gefallen lassen.
Jene, die ihr Wesen in der Bejahung und Verneinung
hatte, bekam noch das Geschäfft, Schönes und Häſsli-
ches zu erkennen; welches in der That mit dem gram-
matischen Geschäffte, Sätze und Perioden zu bilden, un-
gefähr so viel Aehnlichkeit hat, als das Gewissen mit
dem Syllogismus. Der Verstand aber muſste neben den
übrigen Begriffen, ihren Gegensätzen und Unterordnun-
gen, noch Kategorien aufnehmen, und in diese, man
weiſs nicht, nach welcher Regel, das Mannigfaltige der
räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungen vertheilen.

So ist das Fachwerk beschaffen, welches man als
Regulativ für die wichtigsten Untersuchungen auſstellte,
und lange Jahre hindurch, in der Meinung, hierin die
Erkenntniſs der geistigen Natur, wie sie sey und wirke,
zu besitzen; — ehrfürchtig anwendete!

Weit entfernt, daſs die Logik sich dafür verbürge,
hat vielmehr sie selbst, wenigstens in der Darstellung,
darunter leiden müssen. Wo ist die Logik der neuern
Zeit, die nicht mit psychologisch seyn sollenden Erzäh-
lungen von dem Verstande und der Vernunft anhübe?
Gleichwohl ist dieser Fehler gerade so arg, als wenn eine
Sittenlehre mit einer Naturgeschichte der menschlichen
Neigungen, Triebe, und Schwachheiten beginnt.

Beyde, Logik und Ethik, haben Vorschrif-
ten
aufzustellen
, nach welchen sich, hier das Denken,
dort das Handeln richten soll, obgleich es sich eins wie
das andere, aus psychologischen Gründen gar oft in der
Wirklichkeit nicht darnach richtet, und nicht darnach
richten kann. Die Schärfe dieses Gegensatzes zwischen
dem Sollen und dem Können ist die schneidendste, die
es giebt; unsre Moralisten aber eben so wenig als unsre
Logiker sind bis heute dahin gekommen, sie gehörig zu
begreifen. Jene stumpfen sie ab durch die transscenden-
tale Freyheit, welche vorgeblicherweise alles kann, was
sie will; und diese verderben sie, indem sie meinen, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0208" n="173"/>
Beyspiele haben denn auch die Urtheilskraft und der<lb/>
Verstand sich manches ähnliche müssen gefallen lassen.<lb/>
Jene, die ihr Wesen in der Bejahung und Verneinung<lb/>
hatte, bekam noch das Geschäfft, Schönes und Hä&#x017F;sli-<lb/>
ches zu erkennen; welches in der That mit dem gram-<lb/>
matischen Geschäffte, Sätze und Perioden zu bilden, un-<lb/>
gefähr so viel Aehnlichkeit hat, als das Gewissen mit<lb/>
dem Syllogismus. Der Verstand aber mu&#x017F;ste neben den<lb/>
übrigen Begriffen, ihren Gegensätzen und Unterordnun-<lb/>
gen, noch Kategorien aufnehmen, und in diese, man<lb/>
wei&#x017F;s nicht, nach welcher Regel, das Mannigfaltige der<lb/>
räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungen vertheilen.</p><lb/>
              <p>So ist das Fachwerk beschaffen, welches man als<lb/>
Regulativ für die wichtigsten Untersuchungen au&#x017F;stellte,<lb/>
und lange Jahre hindurch, in der Meinung, hierin die<lb/>
Erkenntni&#x017F;s der geistigen Natur, wie sie sey und wirke,<lb/>
zu besitzen; &#x2014; ehrfürchtig anwendete!</p><lb/>
              <p>Weit entfernt, da&#x017F;s die Logik sich dafür verbürge,<lb/>
hat vielmehr sie selbst, wenigstens in der Darstellung,<lb/>
darunter leiden müssen. Wo ist die Logik der neuern<lb/>
Zeit, die nicht mit psychologisch seyn sollenden Erzäh-<lb/>
lungen von dem Verstande und der Vernunft anhübe?<lb/>
Gleichwohl ist dieser Fehler gerade so arg, als wenn eine<lb/>
Sittenlehre mit einer Naturgeschichte der menschlichen<lb/>
Neigungen, Triebe, und Schwachheiten beginnt.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Beyde, Logik und Ethik, haben <hi rendition="#i">Vorschrif-<lb/>
ten</hi> aufzustellen</hi>, nach welchen sich, hier das Denken,<lb/>
dort das Handeln richten <hi rendition="#g">soll</hi>, obgleich es sich eins wie<lb/>
das andere, aus psychologischen Gründen gar oft in der<lb/>
Wirklichkeit nicht darnach richtet, und nicht darnach<lb/>
richten <hi rendition="#g">kann</hi>. Die Schärfe dieses Gegensatzes zwischen<lb/>
dem Sollen und dem Können ist die schneidendste, die<lb/>
es giebt; unsre Moralisten aber eben so wenig als unsre<lb/>
Logiker sind bis heute dahin gekommen, sie gehörig zu<lb/>
begreifen. Jene stumpfen sie ab durch die transscenden-<lb/>
tale Freyheit, welche vorgeblicherweise alles kann, was<lb/>
sie will; und diese verderben sie, indem sie meinen, die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0208] Beyspiele haben denn auch die Urtheilskraft und der Verstand sich manches ähnliche müssen gefallen lassen. Jene, die ihr Wesen in der Bejahung und Verneinung hatte, bekam noch das Geschäfft, Schönes und Häſsli- ches zu erkennen; welches in der That mit dem gram- matischen Geschäffte, Sätze und Perioden zu bilden, un- gefähr so viel Aehnlichkeit hat, als das Gewissen mit dem Syllogismus. Der Verstand aber muſste neben den übrigen Begriffen, ihren Gegensätzen und Unterordnun- gen, noch Kategorien aufnehmen, und in diese, man weiſs nicht, nach welcher Regel, das Mannigfaltige der räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungen vertheilen. So ist das Fachwerk beschaffen, welches man als Regulativ für die wichtigsten Untersuchungen auſstellte, und lange Jahre hindurch, in der Meinung, hierin die Erkenntniſs der geistigen Natur, wie sie sey und wirke, zu besitzen; — ehrfürchtig anwendete! Weit entfernt, daſs die Logik sich dafür verbürge, hat vielmehr sie selbst, wenigstens in der Darstellung, darunter leiden müssen. Wo ist die Logik der neuern Zeit, die nicht mit psychologisch seyn sollenden Erzäh- lungen von dem Verstande und der Vernunft anhübe? Gleichwohl ist dieser Fehler gerade so arg, als wenn eine Sittenlehre mit einer Naturgeschichte der menschlichen Neigungen, Triebe, und Schwachheiten beginnt. Beyde, Logik und Ethik, haben Vorschrif- ten aufzustellen, nach welchen sich, hier das Denken, dort das Handeln richten soll, obgleich es sich eins wie das andere, aus psychologischen Gründen gar oft in der Wirklichkeit nicht darnach richtet, und nicht darnach richten kann. Die Schärfe dieses Gegensatzes zwischen dem Sollen und dem Können ist die schneidendste, die es giebt; unsre Moralisten aber eben so wenig als unsre Logiker sind bis heute dahin gekommen, sie gehörig zu begreifen. Jene stumpfen sie ab durch die transscenden- tale Freyheit, welche vorgeblicherweise alles kann, was sie will; und diese verderben sie, indem sie meinen, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/208
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/208>, abgerufen am 25.04.2024.