Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

Ehe wir weiter gehn, muss hier im Vorbeygehn an-
gemerkt werden, dass die angenommenen Umstände reich
an Veranlassungen zu sehr mancherley Gefühlen seyn
werden. Denn die ablaufenden Reihen mögen nun ein-
ander begünstigen, etwa nach §. 87., oder hindern: so
entstehen hieraus Gefühle der Lust und Unlust eben in
so fern, als dadurch noch andere Zustände der Vorstel-
lungen bestimmt werden ausser dem Steigen und Sinken
der letztern. (§. 104--106.) Ja diese Gefühle sind als
ästhetische Prädicate von Gegenständen zu betrach-
ten, wenn die mehrern, zugleich aufgeregten Reihen auf
bestimmte Weise aus der nothwendigen Auffassung der
Gegenstände hervorgehn. So ist das räumliche und
rhythmische Schöne ohne allen Zweifel hieher zu
rechnen, weil in demselben alles darauf ankommt, wie
mehrere, zugleich in Gang gesetzte, Reproductionen in
ihrem Ablaufen einander begegnen. (§. 114.)

Um aber unserem jetzigen Zielpuncte uns zu nähern,
setzen wir endlich, statt der blossen Reihen von Vorstel-
lungen oder Complexionen, ganze Massen, oder solche
Mengen von Vorstellungen, die zum Theil vollkommen,
zum Theil unvollkommen complicirt und verschmolzen
sind, und in denen viele Reihen, wie man will, mit ein-
ander verwebt und verwickelt seyn mögen. Aber hier
müssen wir zuerst die Möglichkeit nachweisen, dass in
einem menschlichen Geiste mehrere solche Massen vor-
handen seyn können, ohne sich so in einander zu ver-
weben, dass sie zusammen nur eine Masse ausmachen
würden. Denn dies ist ohne Zweifel der Zustand, wohin
sie, wegen der Einheit der Seele, sich fortdauernd neigen.

Man wird sich am leichtesten orientiren, wenn man
sich die Gedanken vergegenwärtigt, zu denen verschie-
dene Orte und Beschäfftigungen veranlassen. Z. B. die
Kirche, das Schauspielhaus, das Büreau, der Garten,
das Schachbrett, das Kartenspiel, u. d. gl. Man wird
nun sogleich wahrnehmen, dass jedem dieser Dinge eine
eigene Vorstellungsmasse entspricht, welche, wenn sie im

Ehe wir weiter gehn, muſs hier im Vorbeygehn an-
gemerkt werden, daſs die angenommenen Umstände reich
an Veranlassungen zu sehr mancherley Gefühlen seyn
werden. Denn die ablaufenden Reihen mögen nun ein-
ander begünstigen, etwa nach §. 87., oder hindern: so
entstehen hieraus Gefühle der Lust und Unlust eben in
so fern, als dadurch noch andere Zustände der Vorstel-
lungen bestimmt werden auſser dem Steigen und Sinken
der letztern. (§. 104—106.) Ja diese Gefühle sind als
ästhetische Prädicate von Gegenständen zu betrach-
ten, wenn die mehrern, zugleich aufgeregten Reihen auf
bestimmte Weise aus der nothwendigen Auffassung der
Gegenstände hervorgehn. So ist das räumliche und
rhythmische Schöne ohne allen Zweifel hieher zu
rechnen, weil in demselben alles darauf ankommt, wie
mehrere, zugleich in Gang gesetzte, Reproductionen in
ihrem Ablaufen einander begegnen. (§. 114.)

Um aber unserem jetzigen Zielpuncte uns zu nähern,
setzen wir endlich, statt der bloſsen Reihen von Vorstel-
lungen oder Complexionen, ganze Massen, oder solche
Mengen von Vorstellungen, die zum Theil vollkommen,
zum Theil unvollkommen complicirt und verschmolzen
sind, und in denen viele Reihen, wie man will, mit ein-
ander verwebt und verwickelt seyn mögen. Aber hier
müssen wir zuerst die Möglichkeit nachweisen, daſs in
einem menschlichen Geiste mehrere solche Massen vor-
handen seyn können, ohne sich so in einander zu ver-
weben, daſs sie zusammen nur eine Masse ausmachen
würden. Denn dies ist ohne Zweifel der Zustand, wohin
sie, wegen der Einheit der Seele, sich fortdauernd neigen.

Man wird sich am leichtesten orientiren, wenn man
sich die Gedanken vergegenwärtigt, zu denen verschie-
dene Orte und Beschäfftigungen veranlassen. Z. B. die
Kirche, das Schauspielhaus, das Büreau, der Garten,
das Schachbrett, das Kartenspiel, u. d. gl. Man wird
nun sogleich wahrnehmen, daſs jedem dieser Dinge eine
eigene Vorstellungsmasse entspricht, welche, wenn sie im

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0248" n="213"/>
              <p>Ehe wir weiter gehn, mu&#x017F;s hier im Vorbeygehn an-<lb/>
gemerkt werden, da&#x017F;s die angenommenen Umstände reich<lb/>
an Veranlassungen zu sehr mancherley <hi rendition="#g">Gefühlen</hi> seyn<lb/>
werden. Denn die ablaufenden Reihen mögen nun ein-<lb/>
ander begünstigen, etwa nach §. 87., oder hindern: so<lb/>
entstehen hieraus Gefühle der Lust und Unlust eben in<lb/>
so fern, als dadurch noch andere Zustände der Vorstel-<lb/>
lungen bestimmt werden au&#x017F;ser dem Steigen und Sinken<lb/>
der letztern. (§. 104&#x2014;106.) Ja diese Gefühle sind als<lb/><hi rendition="#g">ästhetische Prädicate</hi> von Gegenständen zu betrach-<lb/>
ten, wenn die mehrern, zugleich aufgeregten Reihen auf<lb/>
bestimmte Weise aus der nothwendigen Auffassung der<lb/>
Gegenstände hervorgehn. So ist das <hi rendition="#g">räumliche</hi> und<lb/><hi rendition="#g">rhythmische Schöne</hi> ohne allen Zweifel hieher zu<lb/>
rechnen, weil in demselben alles darauf ankommt, wie<lb/>
mehrere, zugleich in Gang gesetzte, Reproductionen in<lb/>
ihrem Ablaufen einander begegnen. (§. 114.)</p><lb/>
              <p>Um aber unserem jetzigen Zielpuncte uns zu nähern,<lb/>
setzen wir endlich, statt der blo&#x017F;sen Reihen von Vorstel-<lb/>
lungen oder Complexionen, ganze <hi rendition="#g">Massen</hi>, oder solche<lb/>
Mengen von Vorstellungen, die zum Theil vollkommen,<lb/>
zum Theil unvollkommen complicirt und verschmolzen<lb/>
sind, und in denen viele Reihen, wie man will, mit ein-<lb/>
ander verwebt und verwickelt seyn mögen. Aber hier<lb/>
müssen wir zuerst die Möglichkeit nachweisen, da&#x017F;s in<lb/>
einem menschlichen Geiste mehrere solche Massen vor-<lb/>
handen seyn können, ohne sich so in einander zu ver-<lb/>
weben, da&#x017F;s sie zusammen nur <hi rendition="#g">eine</hi> Masse ausmachen<lb/>
würden. Denn dies ist ohne Zweifel der Zustand, wohin<lb/>
sie, wegen der Einheit der Seele, sich fortdauernd neigen.</p><lb/>
              <p>Man wird sich am leichtesten orientiren, wenn man<lb/>
sich die Gedanken vergegenwärtigt, zu denen verschie-<lb/>
dene Orte und Beschäfftigungen veranlassen. Z. B. die<lb/>
Kirche, das Schauspielhaus, das Büreau, der Garten,<lb/>
das Schachbrett, das Kartenspiel, u. d. gl. Man wird<lb/>
nun sogleich wahrnehmen, da&#x017F;s jedem dieser Dinge eine<lb/>
eigene Vorstellungsmasse entspricht, welche, wenn sie im<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0248] Ehe wir weiter gehn, muſs hier im Vorbeygehn an- gemerkt werden, daſs die angenommenen Umstände reich an Veranlassungen zu sehr mancherley Gefühlen seyn werden. Denn die ablaufenden Reihen mögen nun ein- ander begünstigen, etwa nach §. 87., oder hindern: so entstehen hieraus Gefühle der Lust und Unlust eben in so fern, als dadurch noch andere Zustände der Vorstel- lungen bestimmt werden auſser dem Steigen und Sinken der letztern. (§. 104—106.) Ja diese Gefühle sind als ästhetische Prädicate von Gegenständen zu betrach- ten, wenn die mehrern, zugleich aufgeregten Reihen auf bestimmte Weise aus der nothwendigen Auffassung der Gegenstände hervorgehn. So ist das räumliche und rhythmische Schöne ohne allen Zweifel hieher zu rechnen, weil in demselben alles darauf ankommt, wie mehrere, zugleich in Gang gesetzte, Reproductionen in ihrem Ablaufen einander begegnen. (§. 114.) Um aber unserem jetzigen Zielpuncte uns zu nähern, setzen wir endlich, statt der bloſsen Reihen von Vorstel- lungen oder Complexionen, ganze Massen, oder solche Mengen von Vorstellungen, die zum Theil vollkommen, zum Theil unvollkommen complicirt und verschmolzen sind, und in denen viele Reihen, wie man will, mit ein- ander verwebt und verwickelt seyn mögen. Aber hier müssen wir zuerst die Möglichkeit nachweisen, daſs in einem menschlichen Geiste mehrere solche Massen vor- handen seyn können, ohne sich so in einander zu ver- weben, daſs sie zusammen nur eine Masse ausmachen würden. Denn dies ist ohne Zweifel der Zustand, wohin sie, wegen der Einheit der Seele, sich fortdauernd neigen. Man wird sich am leichtesten orientiren, wenn man sich die Gedanken vergegenwärtigt, zu denen verschie- dene Orte und Beschäfftigungen veranlassen. Z. B. die Kirche, das Schauspielhaus, das Büreau, der Garten, das Schachbrett, das Kartenspiel, u. d. gl. Man wird nun sogleich wahrnehmen, daſs jedem dieser Dinge eine eigene Vorstellungsmasse entspricht, welche, wenn sie im

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/248
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/248>, abgerufen am 29.03.2024.