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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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menschlichen Geistes zu erkennen als Ausbildung der
Sprache. Denn die Bedeutung der Wörter genauer
bestimmen, oder zunächst nur genauer unterscheiden, und
die Wörter mit Sorgfalt wählen: Dies heisst nichts an-
ders, als den Inhalt der Begriffe strenger begränzen.

Während der ersten Rohheit müssen sich die Wör-
ter bequemen, alles zu bezeichnen, was durch irgend eine
entfernte Aehnlichkeit diejenigen Vorstellungen, mit de-
nen sie zuerst verknüpft wurden, ins Bewusstseyn hervor-
ruft. Wer aber von zweyen Wörtern, die ihm zur Be-
nennung eines vorliegenden Gegenstandes sich zugleich
darbieten, das eine wählt und das andre verwirft: was
geht in dessen Seele vor? Er urtheilt, das unpassende
Wort führe ein Merkmal mit sich, das dem Gegenstande
nicht zukomme. Dadurch wird dem Worte, welches
verworfen ist, ein Merkmal beygelegt; und zugleich wird
eben dies Merkmal dem vorgezogenen Worte abge-
sprochen. Dergleichen Urtheile mögen in den meisten
Fällen sehr dunkel gedacht werden, dennoch erhalten
dadurch die Begriffe ihre Gränzen, und den künftigen
logischen Erörterungen, die das nämliche klar ausspre-
chen, wird vorgearbeitet.

Die Wörter sind hier diejenigen Einheiten, welchen
die Merkmale beygelegt werden. Es mag also die Zer-
setzung der Complexionen noch so vollständig von Stat-
ten gehn: nicht leicht wird hier die Verlegenheit gefühlt,
welche sich da zeigt, wo die Complexionen reale Ein-
heiten, Substanzen, vorstellen sollen. Denn die Wörter
bilden in allen jenen Urtheilen die Subjecte; und wenn
ja bemerkt wird, dass doch, genau genommen, die Wör-
ter nur Laute seyen, denen jene Merkmale nicht kön-
nen zugeschrieben werden, so bietet sich fürs Erste die,
meist für genügend geltende, Berichtigung dar, die Wör-
ter seyen Zeichen unsrer Vorstellungen, unserer Be-
griffe, und diesen gebe jedes der gefälleten Urtheile eine
nähere Bestimmung.

Auf dem Wege dieser Ausbildung entsteht allmäh-

menschlichen Geistes zu erkennen als Ausbildung der
Sprache. Denn die Bedeutung der Wörter genauer
bestimmen, oder zunächst nur genauer unterscheiden, und
die Wörter mit Sorgfalt wählen: Dies heiſst nichts an-
ders, als den Inhalt der Begriffe strenger begränzen.

Während der ersten Rohheit müssen sich die Wör-
ter bequemen, alles zu bezeichnen, was durch irgend eine
entfernte Aehnlichkeit diejenigen Vorstellungen, mit de-
nen sie zuerst verknüpft wurden, ins Bewuſstseyn hervor-
ruft. Wer aber von zweyen Wörtern, die ihm zur Be-
nennung eines vorliegenden Gegenstandes sich zugleich
darbieten, das eine wählt und das andre verwirft: was
geht in dessen Seele vor? Er urtheilt, das unpassende
Wort führe ein Merkmal mit sich, das dem Gegenstande
nicht zukomme. Dadurch wird dem Worte, welches
verworfen ist, ein Merkmal beygelegt; und zugleich wird
eben dies Merkmal dem vorgezogenen Worte abge-
sprochen. Dergleichen Urtheile mögen in den meisten
Fällen sehr dunkel gedacht werden, dennoch erhalten
dadurch die Begriffe ihre Gränzen, und den künftigen
logischen Erörterungen, die das nämliche klar ausspre-
chen, wird vorgearbeitet.

Die Wörter sind hier diejenigen Einheiten, welchen
die Merkmale beygelegt werden. Es mag also die Zer-
setzung der Complexionen noch so vollständig von Stat-
ten gehn: nicht leicht wird hier die Verlegenheit gefühlt,
welche sich da zeigt, wo die Complexionen reale Ein-
heiten, Substanzen, vorstellen sollen. Denn die Wörter
bilden in allen jenen Urtheilen die Subjecte; und wenn
ja bemerkt wird, daſs doch, genau genommen, die Wör-
ter nur Laute seyen, denen jene Merkmale nicht kön-
nen zugeschrieben werden, so bietet sich fürs Erste die,
meist für genügend geltende, Berichtigung dar, die Wör-
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griffe, und diesen gebe jedes der gefälleten Urtheile eine
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[365/0400] menschlichen Geistes zu erkennen als Ausbildung der Sprache. Denn die Bedeutung der Wörter genauer bestimmen, oder zunächst nur genauer unterscheiden, und die Wörter mit Sorgfalt wählen: Dies heiſst nichts an- ders, als den Inhalt der Begriffe strenger begränzen. Während der ersten Rohheit müssen sich die Wör- ter bequemen, alles zu bezeichnen, was durch irgend eine entfernte Aehnlichkeit diejenigen Vorstellungen, mit de- nen sie zuerst verknüpft wurden, ins Bewuſstseyn hervor- ruft. Wer aber von zweyen Wörtern, die ihm zur Be- nennung eines vorliegenden Gegenstandes sich zugleich darbieten, das eine wählt und das andre verwirft: was geht in dessen Seele vor? Er urtheilt, das unpassende Wort führe ein Merkmal mit sich, das dem Gegenstande nicht zukomme. Dadurch wird dem Worte, welches verworfen ist, ein Merkmal beygelegt; und zugleich wird eben dies Merkmal dem vorgezogenen Worte abge- sprochen. Dergleichen Urtheile mögen in den meisten Fällen sehr dunkel gedacht werden, dennoch erhalten dadurch die Begriffe ihre Gränzen, und den künftigen logischen Erörterungen, die das nämliche klar ausspre- chen, wird vorgearbeitet. Die Wörter sind hier diejenigen Einheiten, welchen die Merkmale beygelegt werden. Es mag also die Zer- setzung der Complexionen noch so vollständig von Stat- ten gehn: nicht leicht wird hier die Verlegenheit gefühlt, welche sich da zeigt, wo die Complexionen reale Ein- heiten, Substanzen, vorstellen sollen. Denn die Wörter bilden in allen jenen Urtheilen die Subjecte; und wenn ja bemerkt wird, daſs doch, genau genommen, die Wör- ter nur Laute seyen, denen jene Merkmale nicht kön- nen zugeschrieben werden, so bietet sich fürs Erste die, meist für genügend geltende, Berichtigung dar, die Wör- ter seyen Zeichen unsrer Vorstellungen, unserer Be- griffe, und diesen gebe jedes der gefälleten Urtheile eine nähere Bestimmung. Auf dem Wege dieser Ausbildung entsteht allmäh-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/400>, abgerufen am 23.04.2024.