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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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seine prästabilirte Harmonie an die Stelle setzte. Das
wahre Causalverhältniss bedarf keiner Fenster in den Mo-
naden, durch die eine fremde Kraft, ihrer eignen Sub-
stanz entlaufend, hineinsteige; denn die Selbsterhaltungen
nehmen nichts fremdartiges in sich auf, sie sind gänzlich
bestimmt durch das sich selbst erhaltende Wesen, wenn
schon über die Frage, welche unter unzählig vielen mög-
lichen Selbsterhaltungen jedesmal sich ereignen solle, ent-
schieden wird durch die störenden Wesen. Daher ist
nun auch das wahre Causalverhältniss zwischen Seele
und Leib im geringsten nicht schwieriger als das zwischen
irgend welchen anderen Wesen.

Die weniger tief forschenden, welche an den Causa-
litäten der Physik und Chemie gar nichts Anstössiges
finden, und ohne alle Metaphysik am besten darüber
wegzukommen meinen, -- diese pflegen die Verbindung
zwischen Leib und Seele besonders deshalb anzustaunen,
weil hier die Ursache und das Bewirkte so äusserst hete-
rogen seyen. Wie ein Körper den andern bewege, wie
ein paar Stoffe chemisch verwandt seyen, das, meinen
sie, lasse sich, wenn auch nicht gerade begreifen, doch
recht füglich auf das Zeugniss der Erfahrung hin anneh-
men; wenn aber aus dem Bilde auf der Netzhaut eine
Gesichtsvorstellung in der Seele wird, oder wenn aus dem
Wollen eine Contraction der Muskeln entsteht, -- dann
ergreift selbst die zum Nachdenken trägeren Köpfe eine
Art von heilsamen Schauder; der freylich bald wieder
durch die heillosen Maximen von Resignation auf ein
wahres Wissen, diese Sünden wider den heiligen Geist
im Gebiete der Speculation, sich stillen und unterdrük-
ken lässt.

Wir wollen zuerst von dem Falle reden, da das
Wollen der Seele Bewegungen im Körper hervorbringt,
jedoch hier bloss noch in physiologischer Hinsicht, und
ganz im Allgemeinen, denn vom Psychologischen in die-
sem Puncte können wir erst weiterhin sprechen. Es ist
nun in dem angenommenen Falle deutlich und unzwei-

seine prästabilirte Harmonie an die Stelle setzte. Das
wahre Causalverhältniſs bedarf keiner Fenster in den Mo-
naden, durch die eine fremde Kraft, ihrer eignen Sub-
stanz entlaufend, hineinsteige; denn die Selbsterhaltungen
nehmen nichts fremdartiges in sich auf, sie sind gänzlich
bestimmt durch das sich selbst erhaltende Wesen, wenn
schon über die Frage, welche unter unzählig vielen mög-
lichen Selbsterhaltungen jedesmal sich ereignen solle, ent-
schieden wird durch die störenden Wesen. Daher ist
nun auch das wahre Causalverhältniſs zwischen Seele
und Leib im geringsten nicht schwieriger als das zwischen
irgend welchen anderen Wesen.

Die weniger tief forschenden, welche an den Causa-
litäten der Physik und Chemie gar nichts Anstöſsiges
finden, und ohne alle Metaphysik am besten darüber
wegzukommen meinen, — diese pflegen die Verbindung
zwischen Leib und Seele besonders deshalb anzustaunen,
weil hier die Ursache und das Bewirkte so äuſserst hete-
rogen seyen. Wie ein Körper den andern bewege, wie
ein paar Stoffe chemisch verwandt seyen, das, meinen
sie, lasse sich, wenn auch nicht gerade begreifen, doch
recht füglich auf das Zeugniſs der Erfahrung hin anneh-
men; wenn aber aus dem Bilde auf der Netzhaut eine
Gesichtsvorstellung in der Seele wird, oder wenn aus dem
Wollen eine Contraction der Muskeln entsteht, — dann
ergreift selbst die zum Nachdenken trägeren Köpfe eine
Art von heilsamen Schauder; der freylich bald wieder
durch die heillosen Maximen von Resignation auf ein
wahres Wissen, diese Sünden wider den heiligen Geist
im Gebiete der Speculation, sich stillen und unterdrük-
ken läſst.

Wir wollen zuerst von dem Falle reden, da das
Wollen der Seele Bewegungen im Körper hervorbringt,
jedoch hier bloſs noch in physiologischer Hinsicht, und
ganz im Allgemeinen, denn vom Psychologischen in die-
sem Puncte können wir erst weiterhin sprechen. Es ist
nun in dem angenommenen Falle deutlich und unzwei-

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[457/0492] seine prästabilirte Harmonie an die Stelle setzte. Das wahre Causalverhältniſs bedarf keiner Fenster in den Mo- naden, durch die eine fremde Kraft, ihrer eignen Sub- stanz entlaufend, hineinsteige; denn die Selbsterhaltungen nehmen nichts fremdartiges in sich auf, sie sind gänzlich bestimmt durch das sich selbst erhaltende Wesen, wenn schon über die Frage, welche unter unzählig vielen mög- lichen Selbsterhaltungen jedesmal sich ereignen solle, ent- schieden wird durch die störenden Wesen. Daher ist nun auch das wahre Causalverhältniſs zwischen Seele und Leib im geringsten nicht schwieriger als das zwischen irgend welchen anderen Wesen. Die weniger tief forschenden, welche an den Causa- litäten der Physik und Chemie gar nichts Anstöſsiges finden, und ohne alle Metaphysik am besten darüber wegzukommen meinen, — diese pflegen die Verbindung zwischen Leib und Seele besonders deshalb anzustaunen, weil hier die Ursache und das Bewirkte so äuſserst hete- rogen seyen. Wie ein Körper den andern bewege, wie ein paar Stoffe chemisch verwandt seyen, das, meinen sie, lasse sich, wenn auch nicht gerade begreifen, doch recht füglich auf das Zeugniſs der Erfahrung hin anneh- men; wenn aber aus dem Bilde auf der Netzhaut eine Gesichtsvorstellung in der Seele wird, oder wenn aus dem Wollen eine Contraction der Muskeln entsteht, — dann ergreift selbst die zum Nachdenken trägeren Köpfe eine Art von heilsamen Schauder; der freylich bald wieder durch die heillosen Maximen von Resignation auf ein wahres Wissen, diese Sünden wider den heiligen Geist im Gebiete der Speculation, sich stillen und unterdrük- ken läſst. Wir wollen zuerst von dem Falle reden, da das Wollen der Seele Bewegungen im Körper hervorbringt, jedoch hier bloſs noch in physiologischer Hinsicht, und ganz im Allgemeinen, denn vom Psychologischen in die- sem Puncte können wir erst weiterhin sprechen. Es ist nun in dem angenommenen Falle deutlich und unzwei-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/492>, abgerufen am 20.04.2024.