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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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Leibes absichtlich als eines Werkzeuges bediene, eine
kurze Andeutung gegeben; allein es scheint passend, am
gegenwärtigen Orte diesen wichtigen Gegenstand etwas
ausführlicher, zugleich von der psychologischen und von
der physiologischen Seite, zu beleuchten. Man wird näm-
lich nicht glauben, dass die allgemeinen Erörterungen
über die Verbindung der Seele mit dem Leibe schon
über das Absichtliche des Handelns Auskunft gegeben
hätten. Wir waren vorhin (im §. 153.) bloss mit dem
Causalverhältnisse zwischen den heterogenen Gliedern,
dem Wollen und der Bewegung, beschäfftigt; allein die
gegebene Erklärung vermittelt bloss den Zusammenhang
zwischen inneren Zuständen der Seele und äusseren des
Körpers. Sie lässt unbestimmt, was für innere Zustände
der Seele diejenigen seyn mögen, auf welche der Leib
sich bewegt. Sie passt eben so gut auf das Entstehen
der unwillkührlichen Röthe auf den Wangen bey dem
Gefühle der Schaam, als auf die Beugungen der Finger
beym Ergreifen eines äusseren Gegenstandes.

Zuerst nun bietet sich über die absichtlichen Bewe-
gungen die Bemerkung dar, dass bey denselben die Seele
keinesweges dasjenige unmittelbar bewirkt, was sie eigent-
lich will. Denn die Beugungen der Glieder hängen zu-
nächst ab von der Spannung gewisser Muskeln, diese
von dem Gebrauch gewisser Nerven -- aber die Seele
weiss nichts von Muskeln und von Nerven; sie ist be-
schäfftigt mit dem äussern Erfolge, den sie beabsichtigt.
Umgekehrt vollbringt dagegen die Seele wirklich das, was
sie nicht kennt, nicht denkt, nicht ahndet; sie setzt den
ihr unbekannten Mechanismus richtig in Bewegung; sie
fasst ihn an dem Ende an, wo er angefasst seyn will,
um seine Dienste leisten zu können. Und eine solche
unbewusste Wirksamkeit übt sie aus im genauesten Zu-
sammenhange mit der des bewussten Wollens oder Be-
gehrens.

Für sich allein betrachtet liegt nun darin, dass zwi-
schen dem Wollen, und dem daraus erfolgenden Zu-

Leibes absichtlich als eines Werkzeuges bediene, eine
kurze Andeutung gegeben; allein es scheint passend, am
gegenwärtigen Orte diesen wichtigen Gegenstand etwas
ausführlicher, zugleich von der psychologischen und von
der physiologischen Seite, zu beleuchten. Man wird näm-
lich nicht glauben, daſs die allgemeinen Erörterungen
über die Verbindung der Seele mit dem Leibe schon
über das Absichtliche des Handelns Auskunft gegeben
hätten. Wir waren vorhin (im §. 153.) bloſs mit dem
Causalverhältnisse zwischen den heterogenen Gliedern,
dem Wollen und der Bewegung, beschäfftigt; allein die
gegebene Erklärung vermittelt bloſs den Zusammenhang
zwischen inneren Zuständen der Seele und äuſseren des
Körpers. Sie läſst unbestimmt, was für innere Zustände
der Seele diejenigen seyn mögen, auf welche der Leib
sich bewegt. Sie paſst eben so gut auf das Entstehen
der unwillkührlichen Röthe auf den Wangen bey dem
Gefühle der Schaam, als auf die Beugungen der Finger
beym Ergreifen eines äuſseren Gegenstandes.

Zuerst nun bietet sich über die absichtlichen Bewe-
gungen die Bemerkung dar, daſs bey denselben die Seele
keinesweges dasjenige unmittelbar bewirkt, was sie eigent-
lich will. Denn die Beugungen der Glieder hängen zu-
nächst ab von der Spannung gewisser Muskeln, diese
von dem Gebrauch gewisser Nerven — aber die Seele
weiſs nichts von Muskeln und von Nerven; sie ist be-
schäfftigt mit dem äuſsern Erfolge, den sie beabsichtigt.
Umgekehrt vollbringt dagegen die Seele wirklich das, was
sie nicht kennt, nicht denkt, nicht ahndet; sie setzt den
ihr unbekannten Mechanismus richtig in Bewegung; sie
faſst ihn an dem Ende an, wo er angefaſst seyn will,
um seine Dienste leisten zu können. Und eine solche
unbewuſste Wirksamkeit übt sie aus im genauesten Zu-
sammenhange mit der des bewuſsten Wollens oder Be-
gehrens.

Für sich allein betrachtet liegt nun darin, daſs zwi-
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[463/0498] Leibes absichtlich als eines Werkzeuges bediene, eine kurze Andeutung gegeben; allein es scheint passend, am gegenwärtigen Orte diesen wichtigen Gegenstand etwas ausführlicher, zugleich von der psychologischen und von der physiologischen Seite, zu beleuchten. Man wird näm- lich nicht glauben, daſs die allgemeinen Erörterungen über die Verbindung der Seele mit dem Leibe schon über das Absichtliche des Handelns Auskunft gegeben hätten. Wir waren vorhin (im §. 153.) bloſs mit dem Causalverhältnisse zwischen den heterogenen Gliedern, dem Wollen und der Bewegung, beschäfftigt; allein die gegebene Erklärung vermittelt bloſs den Zusammenhang zwischen inneren Zuständen der Seele und äuſseren des Körpers. Sie läſst unbestimmt, was für innere Zustände der Seele diejenigen seyn mögen, auf welche der Leib sich bewegt. Sie paſst eben so gut auf das Entstehen der unwillkührlichen Röthe auf den Wangen bey dem Gefühle der Schaam, als auf die Beugungen der Finger beym Ergreifen eines äuſseren Gegenstandes. Zuerst nun bietet sich über die absichtlichen Bewe- gungen die Bemerkung dar, daſs bey denselben die Seele keinesweges dasjenige unmittelbar bewirkt, was sie eigent- lich will. Denn die Beugungen der Glieder hängen zu- nächst ab von der Spannung gewisser Muskeln, diese von dem Gebrauch gewisser Nerven — aber die Seele weiſs nichts von Muskeln und von Nerven; sie ist be- schäfftigt mit dem äuſsern Erfolge, den sie beabsichtigt. Umgekehrt vollbringt dagegen die Seele wirklich das, was sie nicht kennt, nicht denkt, nicht ahndet; sie setzt den ihr unbekannten Mechanismus richtig in Bewegung; sie faſst ihn an dem Ende an, wo er angefaſst seyn will, um seine Dienste leisten zu können. Und eine solche unbewuſste Wirksamkeit übt sie aus im genauesten Zu- sammenhange mit der des bewuſsten Wollens oder Be- gehrens. Für sich allein betrachtet liegt nun darin, daſs zwi- schen dem Wollen, und dem daraus erfolgenden Zu-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/498>, abgerufen am 25.04.2024.