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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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durch den äussern Sinn wahrgenommen, was für eine
Veränderung sich zugetragen habe; nämlich jene Bewe-
gung wird theils die Gestalt des Gliedes, in welchem sie
vorging, modificirt, theils irgend welche andre Folgen in
der Umgebung, oder überhaupt in der Sinnensphäre ge-
habt haben. So z. B. zieht ein kleines Kind Anfangs Fin-
ger und Arme unwillkührlich zusammen; während es nun
vermöge der Nerven des Arms hievon ein Gefühl erhält,
sieht es zugleich die neue Gestalt seines Arms; und wenn
die Finger irgend einen Körper hatten umklammern kön-
nen, so sieht es auch diesen jetzo dem Zuge der Hand
nachfolgen; und es findet ihn nahe vor sich in der dem-
nächst wieder geöffneten Hand. -- In einer spätern
Zeit erhebt sich ein Begehren nach der beobachteten
Veränderung. Damit reproducirt sich das zuvor mit die-
ser Beobachtung complicirte Gefühl. Nun ist das letztere
eine solche Selbsterhaltung der Seele, welcher in Ner-
ven und Muskeln alle die innern und äusseren Zustände
entsprechen, vermittelst deren die beabsichtigte Verände-
rung in der Sinnensphäre kann hervorgebracht werden.
Das Begehrte erfolgt also wirklich; und der Erfolg
wird wahrgenommen. Hiedurch verstärkt sich sogleich
die vorige Complexion; die einmal gelungene Handlung
erleichtert die nächstfolgende, und so fort.

Einige Bemerkungen werden diese Erklärung zugleich
bestätigen und weiter ausführen. -- Einer gewissen
Energie des Handelns entspricht ohne Zweifel ein gewis-
ses Quantum jenes vermittelnden Gefühls, von welchem
zunächst die Bestimmung der Nerven und Muskeln ab-
hängt. Aber ein und das nämliche Quantum des Ge-
fühls, wie jeder Vorstellung, kann auf doppelte Weise
im Bewusstseyn vorhanden seyn; entweder so, dass eine
an sich so schwache Vorstellung sich dem ungehemmten
Zustande mehr nähere, oder dass eine stärkere Vorstel-
lung in einem mehr gehemmten Zustande sich befinde.
(Man erinnere sich hier der ersten Grundbegriffe der
Statik des Geistes.) Nun nimmt jenes vermittelnde Ge-

II. G g

durch den äuſsern Sinn wahrgenommen, was für eine
Veränderung sich zugetragen habe; nämlich jene Bewe-
gung wird theils die Gestalt des Gliedes, in welchem sie
vorging, modificirt, theils irgend welche andre Folgen in
der Umgebung, oder überhaupt in der Sinnensphäre ge-
habt haben. So z. B. zieht ein kleines Kind Anfangs Fin-
ger und Arme unwillkührlich zusammen; während es nun
vermöge der Nerven des Arms hievon ein Gefühl erhält,
sieht es zugleich die neue Gestalt seines Arms; und wenn
die Finger irgend einen Körper hatten umklammern kön-
nen, so sieht es auch diesen jetzo dem Zuge der Hand
nachfolgen; und es findet ihn nahe vor sich in der dem-
nächst wieder geöffneten Hand. — In einer spätern
Zeit erhebt sich ein Begehren nach der beobachteten
Veränderung. Damit reproducirt sich das zuvor mit die-
ser Beobachtung complicirte Gefühl. Nun ist das letztere
eine solche Selbsterhaltung der Seele, welcher in Ner-
ven und Muskeln alle die innern und äuſseren Zustände
entsprechen, vermittelst deren die beabsichtigte Verände-
rung in der Sinnensphäre kann hervorgebracht werden.
Das Begehrte erfolgt also wirklich; und der Erfolg
wird wahrgenommen. Hiedurch verstärkt sich sogleich
die vorige Complexion; die einmal gelungene Handlung
erleichtert die nächstfolgende, und so fort.

Einige Bemerkungen werden diese Erklärung zugleich
bestätigen und weiter ausführen. — Einer gewissen
Energie des Handelns entspricht ohne Zweifel ein gewis-
ses Quantum jenes vermittelnden Gefühls, von welchem
zunächst die Bestimmung der Nerven und Muskeln ab-
hängt. Aber ein und das nämliche Quantum des Ge-
fühls, wie jeder Vorstellung, kann auf doppelte Weise
im Bewuſstseyn vorhanden seyn; entweder so, daſs eine
an sich so schwache Vorstellung sich dem ungehemmten
Zustande mehr nähere, oder daſs eine stärkere Vorstel-
lung in einem mehr gehemmten Zustande sich befinde.
(Man erinnere sich hier der ersten Grundbegriffe der
Statik des Geistes.) Nun nimmt jenes vermittelnde Ge-

II. G g
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[465/0500] durch den äuſsern Sinn wahrgenommen, was für eine Veränderung sich zugetragen habe; nämlich jene Bewe- gung wird theils die Gestalt des Gliedes, in welchem sie vorging, modificirt, theils irgend welche andre Folgen in der Umgebung, oder überhaupt in der Sinnensphäre ge- habt haben. So z. B. zieht ein kleines Kind Anfangs Fin- ger und Arme unwillkührlich zusammen; während es nun vermöge der Nerven des Arms hievon ein Gefühl erhält, sieht es zugleich die neue Gestalt seines Arms; und wenn die Finger irgend einen Körper hatten umklammern kön- nen, so sieht es auch diesen jetzo dem Zuge der Hand nachfolgen; und es findet ihn nahe vor sich in der dem- nächst wieder geöffneten Hand. — In einer spätern Zeit erhebt sich ein Begehren nach der beobachteten Veränderung. Damit reproducirt sich das zuvor mit die- ser Beobachtung complicirte Gefühl. Nun ist das letztere eine solche Selbsterhaltung der Seele, welcher in Ner- ven und Muskeln alle die innern und äuſseren Zustände entsprechen, vermittelst deren die beabsichtigte Verände- rung in der Sinnensphäre kann hervorgebracht werden. Das Begehrte erfolgt also wirklich; und der Erfolg wird wahrgenommen. Hiedurch verstärkt sich sogleich die vorige Complexion; die einmal gelungene Handlung erleichtert die nächstfolgende, und so fort. Einige Bemerkungen werden diese Erklärung zugleich bestätigen und weiter ausführen. — Einer gewissen Energie des Handelns entspricht ohne Zweifel ein gewis- ses Quantum jenes vermittelnden Gefühls, von welchem zunächst die Bestimmung der Nerven und Muskeln ab- hängt. Aber ein und das nämliche Quantum des Ge- fühls, wie jeder Vorstellung, kann auf doppelte Weise im Bewuſstseyn vorhanden seyn; entweder so, daſs eine an sich so schwache Vorstellung sich dem ungehemmten Zustande mehr nähere, oder daſs eine stärkere Vorstel- lung in einem mehr gehemmten Zustande sich befinde. (Man erinnere sich hier der ersten Grundbegriffe der Statik des Geistes.) Nun nimmt jenes vermittelnde Ge- II. G g

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/500>, abgerufen am 25.04.2024.