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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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gere Kinder, nämlich Ministerialen und Briefadel.
Die Geschichte lehrt dies ausführlicher.

11) Bey weitem einfacher ist der dritte Fall. Hat
sich der Sitz der Macht nicht verändert durch die Erobe-
rung: so wird zwar der fortdauernd zu besorgende Wi-
derstand die Spannung der Macht um etwas vermehren;
doch bey weitem weniger als im vorigen Falle, wo Freunde
und Feinde vermischt wohnten. Der Machthaber wird
dadurch nur mehr Herrscher als zuvor, denn der Vor-
theil der Eroberung ist für ihn. Es versteht sich, dass
von so verwickelten Verhältnissen, wie wir heute kennen,
nicht die Rede ist; sonst müsste überlegt werden, ob
nicht manchmal die wachsende Spannung bedeutender
sey als der Vortheil?

12) Die allgemeinste Wirkung des Krieges ist die,
dass er grosse Staaten bildet. Denn nur durch seine
heftigen Bewegungen kommen die Kräfte, welche in ent-
fernten Gegenden erzeugt wurden, in Berührung. Allein
obgleich nach der Hemmung allemal Verschmelzung der
Reste folgt, so reicht doch dieser Begriff nicht zu, um
die Verbindung weit getrennter Provinzen zu bezeichnen,
die in spätern Zeiten darum noch zu Einem Staate ge-
hören, weil einst der Krieg sie zusammengedrückt hat.
Vielmehr passt hier, wo keine gegenseitige Hemmung
statt findet, der Begriff der Complication (§. 57. u. s. f.)
die jedoch theils mit der wachsenden Entfernung im um-
gekehrten Verhältnisse steht, theils durch sehr viele andre
Umstände veränderlich ist. In Zeiten, wo es für ein
Wagestück galt, funfzig Meilen weit zu reisen, *) konnte
die Kraft der Complication kaum vergleichbar seyn mit
der in unsern Tagen, wo nicht bloss Chausseen und Ei-

*) Vergl. Herrn v. Rotteck's Allgemeine Geschichte, Bd. 5.,
S. 491. 492. "In einigen Ländern waren die Fremden völlig rechtlos.
Fremd aber war der Genosse desselben Staates; kam er nur aus
einer andern Provinz. Als unter den schwachen Karolingern die Kü-
stenbewohner Frankreichs, von den wilden Normännern gedrängt,
schaarenweise ins innere Land flohen, machte man sie da zu Sklaven!" --

gere Kinder, nämlich Ministerialen und Briefadel.
Die Geschichte lehrt dies ausführlicher.

11) Bey weitem einfacher ist der dritte Fall. Hat
sich der Sitz der Macht nicht verändert durch die Erobe-
rung: so wird zwar der fortdauernd zu besorgende Wi-
derstand die Spannung der Macht um etwas vermehren;
doch bey weitem weniger als im vorigen Falle, wo Freunde
und Feinde vermischt wohnten. Der Machthaber wird
dadurch nur mehr Herrscher als zuvor, denn der Vor-
theil der Eroberung ist für ihn. Es versteht sich, daſs
von so verwickelten Verhältnissen, wie wir heute kennen,
nicht die Rede ist; sonst müſste überlegt werden, ob
nicht manchmal die wachsende Spannung bedeutender
sey als der Vortheil?

12) Die allgemeinste Wirkung des Krieges ist die,
daſs er groſse Staaten bildet. Denn nur durch seine
heftigen Bewegungen kommen die Kräfte, welche in ent-
fernten Gegenden erzeugt wurden, in Berührung. Allein
obgleich nach der Hemmung allemal Verschmelzung der
Reste folgt, so reicht doch dieser Begriff nicht zu, um
die Verbindung weit getrennter Provinzen zu bezeichnen,
die in spätern Zeiten darum noch zu Einem Staate ge-
hören, weil einst der Krieg sie zusammengedrückt hat.
Vielmehr paſst hier, wo keine gegenseitige Hemmung
statt findet, der Begriff der Complication (§. 57. u. s. f.)
die jedoch theils mit der wachsenden Entfernung im um-
gekehrten Verhältnisse steht, theils durch sehr viele andre
Umstände veränderlich ist. In Zeiten, wo es für ein
Wagestück galt, funfzig Meilen weit zu reisen, *) konnte
die Kraft der Complication kaum vergleichbar seyn mit
der in unsern Tagen, wo nicht bloſs Chausseen und Ei-

*) Vergl. Herrn v. Rotteck’s Allgemeine Geschichte, Bd. 5.,
S. 491. 492. »In einigen Ländern waren die Fremden völlig rechtlos.
Fremd aber war der Genosse desselben Staates; kam er nur aus
einer andern Provinz. Als unter den schwachen Karolingern die Kü-
stenbewohner Frankreichs, von den wilden Normännern gedrängt,
schaarenweise ins innere Land flohen, machte man sie da zu Sklaven!« —
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[25/0060] gere Kinder, nämlich Ministerialen und Briefadel. Die Geschichte lehrt dies ausführlicher. 11) Bey weitem einfacher ist der dritte Fall. Hat sich der Sitz der Macht nicht verändert durch die Erobe- rung: so wird zwar der fortdauernd zu besorgende Wi- derstand die Spannung der Macht um etwas vermehren; doch bey weitem weniger als im vorigen Falle, wo Freunde und Feinde vermischt wohnten. Der Machthaber wird dadurch nur mehr Herrscher als zuvor, denn der Vor- theil der Eroberung ist für ihn. Es versteht sich, daſs von so verwickelten Verhältnissen, wie wir heute kennen, nicht die Rede ist; sonst müſste überlegt werden, ob nicht manchmal die wachsende Spannung bedeutender sey als der Vortheil? 12) Die allgemeinste Wirkung des Krieges ist die, daſs er groſse Staaten bildet. Denn nur durch seine heftigen Bewegungen kommen die Kräfte, welche in ent- fernten Gegenden erzeugt wurden, in Berührung. Allein obgleich nach der Hemmung allemal Verschmelzung der Reste folgt, so reicht doch dieser Begriff nicht zu, um die Verbindung weit getrennter Provinzen zu bezeichnen, die in spätern Zeiten darum noch zu Einem Staate ge- hören, weil einst der Krieg sie zusammengedrückt hat. Vielmehr paſst hier, wo keine gegenseitige Hemmung statt findet, der Begriff der Complication (§. 57. u. s. f.) die jedoch theils mit der wachsenden Entfernung im um- gekehrten Verhältnisse steht, theils durch sehr viele andre Umstände veränderlich ist. In Zeiten, wo es für ein Wagestück galt, funfzig Meilen weit zu reisen, *) konnte die Kraft der Complication kaum vergleichbar seyn mit der in unsern Tagen, wo nicht bloſs Chausseen und Ei- *) Vergl. Herrn v. Rotteck’s Allgemeine Geschichte, Bd. 5., S. 491. 492. »In einigen Ländern waren die Fremden völlig rechtlos. Fremd aber war der Genosse desselben Staates; kam er nur aus einer andern Provinz. Als unter den schwachen Karolingern die Kü- stenbewohner Frankreichs, von den wilden Normännern gedrängt, schaarenweise ins innere Land flohen, machte man sie da zu Sklaven!« —

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/60>, abgerufen am 18.04.2024.