Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

und so oft dies geschieht, beschleunigt sich die Bewe-
gung für jede der übrigen plötzlich. Im Ganzen aber
wird die Bewegung stets langsamer, und nä-
hert sich ins Unendliche einer Gränze, die nie-
mals vollkommen erreicht wird
*). -- Es wird
nicht nöthig seyn, historische Belege anzuführen. So
viele Modificationen auch das Gesagte durch hinzukom-
mende Umstände leidet, so bin ich doch überzeugt, dass
man es ohne Mühe in der Geschichte wieder erken-
nen wird.

Anders verhält es sich, wofern das System der Kräfte
nicht das Nämliche bleibt. Kommt zu denen, die schon
nahe im Gleichgewichte waren, eine neue: so sicht man
die Regel der nunmehr entstehenden Bewegung in dem
Capitel von den mechanischen Schwellen. (§. 77.
bis 80.) Die älteren Kräfte scheinen Anfangs grossen
Verlust zu erleiden, allein sie gerathen in stärkere Span-
nung; dadurch erheben sie sich wieder; und oftmals kön-
nen sie, nachdem sie schon völlig unterdrückt zu seyn
schienen (auf der mechanischen Schwelle waren) sich voll-
kommen wieder zu ihrem alten Stande erheben, mit wirk-
licher Unterdrückung der neu hinzugekommenen Kraft.
Es mag der Mühe werth seyn, ein paar leichte Corolla-
rien hier beyzufügen.

1) Man täuscht sich leicht, wenn man politische
Kräfte schätzen will, die sich mit andern entgegengesetz-
ten schon ins Gleichgewicht gesetzt hatten. Sie sind
dann allemal weit stärker als sie scheinen. Man sieht
nämlich nur ihre Reste nach der Hemmung; gleichsam
den über der Oberfläche des Wassers hervorragenden,
nicht aber den eingetauchten Theil; und doch richtet sich
ihre Wirksamkeit nach ihrer ganzen Stärke, die sogar noch

*) Ich setze Leser voraus, die Mathematik genug verstehn, um
sich hier nicht an den Worten zu stossen; und die wenigstens die
Reihe [Formel 1] , [Formel 2] , [Formel 3] , ... in infinit. zu summiren wissen.

und so oft dies geschieht, beschleunigt sich die Bewe-
gung für jede der übrigen plötzlich. Im Ganzen aber
wird die Bewegung stets langsamer, und nä-
hert sich ins Unendliche einer Gränze, die nie-
mals vollkommen erreicht wird
*). — Es wird
nicht nöthig seyn, historische Belege anzuführen. So
viele Modificationen auch das Gesagte durch hinzukom-
mende Umstände leidet, so bin ich doch überzeugt, daſs
man es ohne Mühe in der Geschichte wieder erken-
nen wird.

Anders verhält es sich, wofern das System der Kräfte
nicht das Nämliche bleibt. Kommt zu denen, die schon
nahe im Gleichgewichte waren, eine neue: so sicht man
die Regel der nunmehr entstehenden Bewegung in dem
Capitel von den mechanischen Schwellen. (§. 77.
bis 80.) Die älteren Kräfte scheinen Anfangs groſsen
Verlust zu erleiden, allein sie gerathen in stärkere Span-
nung; dadurch erheben sie sich wieder; und oftmals kön-
nen sie, nachdem sie schon völlig unterdrückt zu seyn
schienen (auf der mechanischen Schwelle waren) sich voll-
kommen wieder zu ihrem alten Stande erheben, mit wirk-
licher Unterdrückung der neu hinzugekommenen Kraft.
Es mag der Mühe werth seyn, ein paar leichte Corolla-
rien hier beyzufügen.

1) Man täuscht sich leicht, wenn man politische
Kräfte schätzen will, die sich mit andern entgegengesetz-
ten schon ins Gleichgewicht gesetzt hatten. Sie sind
dann allemal weit stärker als sie scheinen. Man sieht
nämlich nur ihre Reste nach der Hemmung; gleichsam
den über der Oberfläche des Wassers hervorragenden,
nicht aber den eingetauchten Theil; und doch richtet sich
ihre Wirksamkeit nach ihrer ganzen Stärke, die sogar noch

*) Ich setze Leser voraus, die Mathematik genug verstehn, um
sich hier nicht an den Worten zu stoſsen; und die wenigstens die
Reihe [Formel 1] , [Formel 2] , [Formel 3] , … in infinit. zu summiren wissen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="27"/>
und so oft dies geschieht, beschleunigt sich die Bewe-<lb/>
gung für jede der übrigen plötzlich. <hi rendition="#g">Im Ganzen aber<lb/>
wird die Bewegung stets langsamer, und nä-<lb/>
hert sich ins Unendliche einer Gränze, die nie-<lb/>
mals vollkommen erreicht wird</hi> <note place="foot" n="*)">Ich setze Leser voraus, die Mathematik genug verstehn, um<lb/>
sich hier nicht an den Worten zu sto&#x017F;sen; und die wenigstens die<lb/>
Reihe <formula/>, <formula/>, <formula/>, &#x2026; <hi rendition="#i">in infinit</hi>. zu summiren wissen.</note>. &#x2014; Es wird<lb/>
nicht nöthig seyn, historische Belege anzuführen. So<lb/>
viele Modificationen auch das Gesagte durch hinzukom-<lb/>
mende Umstände leidet, so bin ich doch überzeugt, da&#x017F;s<lb/>
man es ohne Mühe in der Geschichte wieder erken-<lb/>
nen wird.</p><lb/>
          <p>Anders verhält es sich, wofern das System der Kräfte<lb/>
nicht das Nämliche bleibt. Kommt zu denen, die schon<lb/>
nahe im Gleichgewichte waren, eine neue: so sicht man<lb/>
die Regel der nunmehr entstehenden Bewegung in dem<lb/>
Capitel von den <hi rendition="#g">mechanischen Schwellen</hi>. (§. 77.<lb/>
bis 80.) Die älteren Kräfte scheinen Anfangs gro&#x017F;sen<lb/>
Verlust zu erleiden, allein sie gerathen in stärkere Span-<lb/>
nung; dadurch erheben sie sich wieder; und oftmals kön-<lb/>
nen sie, nachdem sie schon völlig unterdrückt zu seyn<lb/>
schienen (auf der mechanischen Schwelle waren) sich voll-<lb/>
kommen wieder zu ihrem alten Stande erheben, mit wirk-<lb/>
licher Unterdrückung der neu hinzugekommenen Kraft.<lb/>
Es mag der Mühe werth seyn, ein paar leichte Corolla-<lb/>
rien hier beyzufügen.</p><lb/>
          <p>1) Man täuscht sich leicht, wenn man politische<lb/>
Kräfte schätzen will, die sich mit andern entgegengesetz-<lb/>
ten schon ins Gleichgewicht gesetzt hatten. Sie sind<lb/>
dann allemal weit stärker als sie scheinen. Man sieht<lb/>
nämlich nur ihre Reste nach der Hemmung; gleichsam<lb/>
den über der Oberfläche des Wassers hervorragenden,<lb/>
nicht aber den eingetauchten Theil; und doch richtet sich<lb/>
ihre Wirksamkeit nach ihrer ganzen Stärke, die sogar noch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0062] und so oft dies geschieht, beschleunigt sich die Bewe- gung für jede der übrigen plötzlich. Im Ganzen aber wird die Bewegung stets langsamer, und nä- hert sich ins Unendliche einer Gränze, die nie- mals vollkommen erreicht wird *). — Es wird nicht nöthig seyn, historische Belege anzuführen. So viele Modificationen auch das Gesagte durch hinzukom- mende Umstände leidet, so bin ich doch überzeugt, daſs man es ohne Mühe in der Geschichte wieder erken- nen wird. Anders verhält es sich, wofern das System der Kräfte nicht das Nämliche bleibt. Kommt zu denen, die schon nahe im Gleichgewichte waren, eine neue: so sicht man die Regel der nunmehr entstehenden Bewegung in dem Capitel von den mechanischen Schwellen. (§. 77. bis 80.) Die älteren Kräfte scheinen Anfangs groſsen Verlust zu erleiden, allein sie gerathen in stärkere Span- nung; dadurch erheben sie sich wieder; und oftmals kön- nen sie, nachdem sie schon völlig unterdrückt zu seyn schienen (auf der mechanischen Schwelle waren) sich voll- kommen wieder zu ihrem alten Stande erheben, mit wirk- licher Unterdrückung der neu hinzugekommenen Kraft. Es mag der Mühe werth seyn, ein paar leichte Corolla- rien hier beyzufügen. 1) Man täuscht sich leicht, wenn man politische Kräfte schätzen will, die sich mit andern entgegengesetz- ten schon ins Gleichgewicht gesetzt hatten. Sie sind dann allemal weit stärker als sie scheinen. Man sieht nämlich nur ihre Reste nach der Hemmung; gleichsam den über der Oberfläche des Wassers hervorragenden, nicht aber den eingetauchten Theil; und doch richtet sich ihre Wirksamkeit nach ihrer ganzen Stärke, die sogar noch *) Ich setze Leser voraus, die Mathematik genug verstehn, um sich hier nicht an den Worten zu stoſsen; und die wenigstens die Reihe [FORMEL], [FORMEL], [FORMEL], … in infinit. zu summiren wissen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/62
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/62>, abgerufen am 16.04.2024.