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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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Schon im Anfange der Logik (Lehrb. z. Einleitung
in d. Philos. §. 34) ist gesagt, daß unsere sämmtlichen
Vorstellungen Begriffe sind in Hinsicht dessen, was
durch sie vorgestellt wird. Demnach existiren die
Begriffe, als solche, nur in unserer Abstraction
;
sie sind in der Wirklichkeit eben so wenig eine besondere Art
von Vorstellungen, als der Verstand ein besonderes Vermö-
gen ist, außer und neben der Einbildungskraft, dem Ge-
dächtnisse, u. s. w. Wobey noch zu merken, daß eben da-
rum, weil alle Vorstellungen ohne Ausnahme sich als Be-
gierden und Gefühle äußern können, die Verbindung des
sogenannten praktischen Verstandes mit dem theoretischen
kein Räthsel ist, sondern sich ganz von selbst versteht; indem
hier gar nicht zweyerley vorhanden ist, das man erst noch
verbinden müßte, vielmehr der praktische sowohl als der the-
oretische Verstand ein paar Gedankendinge sind, die wir
durch unsre Abstractionen erst erschaffen und dann für etwas
wirkliches gehalten haben.

180. Die Täuschung aber, als wären die Begriffe
eine eigene Klasse von Vorstellungen, hat hauptsächlich in
den allgemeinen Begriffen ihren Sitz. (Kant, in der
Logik, setzt geradezu das Wesen der Begriffe in ihre Allge-
meinheit.) Man könnte nun auf den Gedanken gerathen,
daß vielleicht unter gewissen Umstanden die Hemmungsgesetze
der Vorstellungen eine solche Absonderung des Ungleicharti-
gen vom Gemeinschaftlichen bewirken könnten, dergleichen
die Logiker dem Abstractions-Vermögen ganz unbe-
denklich beylegen. Allein die Untersuchung lehrt, das ein
solches Vermögen nicht bloß zu den Hirngespinnsten, son-
dern zu den Unmöglichkeiten gehört. Aus einmal gebil-
deten Complexionen und Verschmelzungen kann
sich nichts ablösen
; die Theilvorstellungen in denselben
tragen jede Hemmung gemeinschaftlich, und bleiben daher


Schon im Anfange der Logik (Lehrb. z. Einleitung
in d. Philos. §. 34) ist gesagt, daß unsere sämmtlichen
Vorstellungen Begriffe sind in Hinsicht dessen, was
durch sie vorgestellt wird. Demnach existiren die
Begriffe, als solche, nur in unserer Abstraction
;
sie sind in der Wirklichkeit eben so wenig eine besondere Art
von Vorstellungen, als der Verstand ein besonderes Vermö-
gen ist, außer und neben der Einbildungskraft, dem Ge-
dächtnisse, u. s. w. Wobey noch zu merken, daß eben da-
rum, weil alle Vorstellungen ohne Ausnahme sich als Be-
gierden und Gefühle äußern können, die Verbindung des
sogenannten praktischen Verstandes mit dem theoretischen
kein Räthsel ist, sondern sich ganz von selbst versteht; indem
hier gar nicht zweyerley vorhanden ist, das man erst noch
verbinden müßte, vielmehr der praktische sowohl als der the-
oretische Verstand ein paar Gedankendinge sind, die wir
durch unsre Abstractionen erst erschaffen und dann für etwas
wirkliches gehalten haben.

180. Die Täuschung aber, als wären die Begriffe
eine eigene Klasse von Vorstellungen, hat hauptsächlich in
den allgemeinen Begriffen ihren Sitz. (Kant, in der
Logik, setzt geradezu das Wesen der Begriffe in ihre Allge-
meinheit.) Man könnte nun auf den Gedanken gerathen,
daß vielleicht unter gewissen Umstanden die Hemmungsgesetze
der Vorstellungen eine solche Absonderung des Ungleicharti-
gen vom Gemeinschaftlichen bewirken könnten, dergleichen
die Logiker dem Abstractions-Vermögen ganz unbe-
denklich beylegen. Allein die Untersuchung lehrt, das ein
solches Vermögen nicht bloß zu den Hirngespinnsten, son-
dern zu den Unmöglichkeiten gehört. Aus einmal gebil-
deten Complexionen und Verschmelzungen kann
sich nichts ablösen
; die Theilvorstellungen in denselben
tragen jede Hemmung gemeinschaftlich, und bleiben daher


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[144/0152] Schon im Anfange der Logik (Lehrb. z. Einleitung in d. Philos. §. 34) ist gesagt, daß unsere sämmtlichen Vorstellungen Begriffe sind in Hinsicht dessen, was durch sie vorgestellt wird. Demnach existiren die Begriffe, als solche, nur in unserer Abstraction; sie sind in der Wirklichkeit eben so wenig eine besondere Art von Vorstellungen, als der Verstand ein besonderes Vermö- gen ist, außer und neben der Einbildungskraft, dem Ge- dächtnisse, u. s. w. Wobey noch zu merken, daß eben da- rum, weil alle Vorstellungen ohne Ausnahme sich als Be- gierden und Gefühle äußern können, die Verbindung des sogenannten praktischen Verstandes mit dem theoretischen kein Räthsel ist, sondern sich ganz von selbst versteht; indem hier gar nicht zweyerley vorhanden ist, das man erst noch verbinden müßte, vielmehr der praktische sowohl als der the- oretische Verstand ein paar Gedankendinge sind, die wir durch unsre Abstractionen erst erschaffen und dann für etwas wirkliches gehalten haben. 180. Die Täuschung aber, als wären die Begriffe eine eigene Klasse von Vorstellungen, hat hauptsächlich in den allgemeinen Begriffen ihren Sitz. (Kant, in der Logik, setzt geradezu das Wesen der Begriffe in ihre Allge- meinheit.) Man könnte nun auf den Gedanken gerathen, daß vielleicht unter gewissen Umstanden die Hemmungsgesetze der Vorstellungen eine solche Absonderung des Ungleicharti- gen vom Gemeinschaftlichen bewirken könnten, dergleichen die Logiker dem Abstractions-Vermögen ganz unbe- denklich beylegen. Allein die Untersuchung lehrt, das ein solches Vermögen nicht bloß zu den Hirngespinnsten, son- dern zu den Unmöglichkeiten gehört. Aus einmal gebil- deten Complexionen und Verschmelzungen kann sich nichts ablösen; die Theilvorstellungen in denselben tragen jede Hemmung gemeinschaftlich, und bleiben daher

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/152>, abgerufen am 28.03.2024.