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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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und Reihen zugleich eingreift und ihnen einen Anstoß giebt,
der sie unter einander in neue Verhältnisse der Hemmung
oder Verschmelzung versetzt. Dabei wird die neue Wahr-
nehmung den älteren Vorstellungen angeeignet, und zwar
auf eine Weise, wobei sie, nachdem der erste Reiz gewirkt
hat was er konnte, sich ziemlich leidend verhalten muß, weil
die älteren Vorstellungen schon wegen ihrer Verbindungen
unter einander bey weitem stärker sind, als die einzelne,
die eben hinzukommt.

40. Wenn aber schon sehr starke, sehr vielgliedrige
Complexionen und Verschmelzungen sich gebildet haben, so
kann dasselbe Verhältniß, welches so eben zwischen älteren
Vorstellungen und neuen Wahrnehmungen angenommen wur-
de, sich im Jnnern wiederhohlen. Schwächere Vorstellun-
gen, die nach irgend welchem Gesetze im Bewußtseyn her-
vortreten, wirken als Reize auf jene Massen, und werden
von ihnen eben so aufgenommen und angeeignet (apperci-
pirt), wie es bey neuen Sinnes-Eindrücken geschieht; da-
her die innere Wahrnehmung, analog der äußern.
Vom Selbstbewußtseyn ist hier noch nicht die Rede, ob-
gleich es sich sehr häufig damit verbindet.

41. Jn dem Gesagten liegt schon, was die Erfahrung
bestätigt, daß die innere Wahrnehmung niemals ein leident-
liches Auffassen, sondern allemal (wenn auch wider Willen)
ein thätiges Eingreifen ist. Anstatt daß die appercipirten
Vorstellungen sich nach ihren eignen Gesetzen zu heben und
zu senken im Begriff sind, werden sie in ihren Bewegungen
durch die mächtigern Massen unterbrochen, welche das ihnen
Entgegengesetzte zurücktreiben, obschon es steigen mochte,
und das ihnen Gleichartige, wenn gleich es sinken sollte,
anhalten und mit sich verschmelzen.

42. Es ist der Mühe werth, zu zeigen, wie weit die-

und Reihen zugleich eingreift und ihnen einen Anstoß giebt,
der sie unter einander in neue Verhältnisse der Hemmung
oder Verschmelzung versetzt. Dabei wird die neue Wahr-
nehmung den älteren Vorstellungen angeeignet, und zwar
auf eine Weise, wobei sie, nachdem der erste Reiz gewirkt
hat was er konnte, sich ziemlich leidend verhalten muß, weil
die älteren Vorstellungen schon wegen ihrer Verbindungen
unter einander bey weitem stärker sind, als die einzelne,
die eben hinzukommt.

40. Wenn aber schon sehr starke, sehr vielgliedrige
Complexionen und Verschmelzungen sich gebildet haben, so
kann dasselbe Verhältniß, welches so eben zwischen älteren
Vorstellungen und neuen Wahrnehmungen angenommen wur-
de, sich im Jnnern wiederhohlen. Schwächere Vorstellun-
gen, die nach irgend welchem Gesetze im Bewußtseyn her-
vortreten, wirken als Reize auf jene Massen, und werden
von ihnen eben so aufgenommen und angeeignet (apperci-
pirt), wie es bey neuen Sinnes-Eindrücken geschieht; da-
her die innere Wahrnehmung, analog der äußern.
Vom Selbstbewußtseyn ist hier noch nicht die Rede, ob-
gleich es sich sehr häufig damit verbindet.

41. Jn dem Gesagten liegt schon, was die Erfahrung
bestätigt, daß die innere Wahrnehmung niemals ein leident-
liches Auffassen, sondern allemal (wenn auch wider Willen)
ein thätiges Eingreifen ist. Anstatt daß die appercipirten
Vorstellungen sich nach ihren eignen Gesetzen zu heben und
zu senken im Begriff sind, werden sie in ihren Bewegungen
durch die mächtigern Massen unterbrochen, welche das ihnen
Entgegengesetzte zurücktreiben, obschon es steigen mochte,
und das ihnen Gleichartige, wenn gleich es sinken sollte,
anhalten und mit sich verschmelzen.

42. Es ist der Mühe werth, zu zeigen, wie weit die-

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[31/0039] und Reihen zugleich eingreift und ihnen einen Anstoß giebt, der sie unter einander in neue Verhältnisse der Hemmung oder Verschmelzung versetzt. Dabei wird die neue Wahr- nehmung den älteren Vorstellungen angeeignet, und zwar auf eine Weise, wobei sie, nachdem der erste Reiz gewirkt hat was er konnte, sich ziemlich leidend verhalten muß, weil die älteren Vorstellungen schon wegen ihrer Verbindungen unter einander bey weitem stärker sind, als die einzelne, die eben hinzukommt. 40. Wenn aber schon sehr starke, sehr vielgliedrige Complexionen und Verschmelzungen sich gebildet haben, so kann dasselbe Verhältniß, welches so eben zwischen älteren Vorstellungen und neuen Wahrnehmungen angenommen wur- de, sich im Jnnern wiederhohlen. Schwächere Vorstellun- gen, die nach irgend welchem Gesetze im Bewußtseyn her- vortreten, wirken als Reize auf jene Massen, und werden von ihnen eben so aufgenommen und angeeignet (apperci- pirt), wie es bey neuen Sinnes-Eindrücken geschieht; da- her die innere Wahrnehmung, analog der äußern. Vom Selbstbewußtseyn ist hier noch nicht die Rede, ob- gleich es sich sehr häufig damit verbindet. 41. Jn dem Gesagten liegt schon, was die Erfahrung bestätigt, daß die innere Wahrnehmung niemals ein leident- liches Auffassen, sondern allemal (wenn auch wider Willen) ein thätiges Eingreifen ist. Anstatt daß die appercipirten Vorstellungen sich nach ihren eignen Gesetzen zu heben und zu senken im Begriff sind, werden sie in ihren Bewegungen durch die mächtigern Massen unterbrochen, welche das ihnen Entgegengesetzte zurücktreiben, obschon es steigen mochte, und das ihnen Gleichartige, wenn gleich es sinken sollte, anhalten und mit sich verschmelzen. 42. Es ist der Mühe werth, zu zeigen, wie weit die-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/39>, abgerufen am 16.04.2024.