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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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gen, die er überliesere, bestimmt aufzuzählen, noch irgend
einen Schein eines Gesetzes anzuzeigen, nach welchem die
äußerste Unregelmäßigkeit seines Wirkens zu erklären wäre.
Die äußern Sinne leisten ihre Dienste, wenn sie können,
und falls sie dieselben versagen, so weiß man, warum; aber
der innere Sinn, zu Zeiten scharfsichtig, lauernd auf alles,
was in den innersten Falten des Herzens vorgehe (wohl
auch manches hineindichtend), ist zu andern Zeiten so stumpf
und träge, daß man sich zwar bewußt ist, einen Gedanken
gehabt zu haben, aber ihn wiederzufinden sich unfähig fühlt.
Absichtliche Anstrengung hält der innere Sinn nicht lange
aus; was wir in uns recht genau sehen wollen, das ver-
dunkelt sich während der Betrachtung. Uebrigens, wie schlüpf-
rig auch diejenige Materie der Erfahrung ist, welche der
innere Sinn uns liefert, so bewundernswerth zeigt sich zu-
weilen die ihm zugeschriebene geistige Thätigkeit. Nicht sel-
ten greift die Selbst-Auffassung in die heftigsten Affecten
ein und bändigt sie. Manchmal, bey der angestrengtesten
Arbeit in der Außenwelt, regiert der Mensch mitten im Ge-
dränge sich selbst, um das Werk richtig zu vollenden. Der
Schauspieler, der einen schlauen Betrüger darstellt, ist sich
erstens seiner eigenen Person bewußt, zweytens des Charak-
ters, der in seiner Rolle liegt, drittens der Verstellungs-
künste und des angenommenen Scheins, welche diesem Cha-
rakter als die Mittel des Betruges beygelegt sind. -- Jn der innere Sinn steigt auf höhere Potenzen ins unbestimmte;
wir können unsre Selbstbeobachtung wieder beobachten, und
so fort.

Anmerkung. Schon in den Streitigkeiten zwischen
den Cartesianern, Locken und Leibnitzen kommt die Streit-
frage vor, ob es Vorstellungen gebe ohne Bewußtseyn?
Die leichteste und kürzeste Antwort ist, daß, wenn alles Vor-
stellen wiederum ein Vorgestelltes würde, dann der innere

gen, die er überliesere, bestimmt aufzuzählen, noch irgend
einen Schein eines Gesetzes anzuzeigen, nach welchem die
äußerste Unregelmäßigkeit seines Wirkens zu erklären wäre.
Die äußern Sinne leisten ihre Dienste, wenn sie können,
und falls sie dieselben versagen, so weiß man, warum; aber
der innere Sinn, zu Zeiten scharfsichtig, lauernd auf alles,
was in den innersten Falten des Herzens vorgehe (wohl
auch manches hineindichtend), ist zu andern Zeiten so stumpf
und träge, daß man sich zwar bewußt ist, einen Gedanken
gehabt zu haben, aber ihn wiederzufinden sich unfähig fühlt.
Absichtliche Anstrengung hält der innere Sinn nicht lange
aus; was wir in uns recht genau sehen wollen, das ver-
dunkelt sich während der Betrachtung. Uebrigens, wie schlüpf-
rig auch diejenige Materie der Erfahrung ist, welche der
innere Sinn uns liefert, so bewundernswerth zeigt sich zu-
weilen die ihm zugeschriebene geistige Thätigkeit. Nicht sel-
ten greift die Selbst-Auffassung in die heftigsten Affecten
ein und bändigt sie. Manchmal, bey der angestrengtesten
Arbeit in der Außenwelt, regiert der Mensch mitten im Ge-
dränge sich selbst, um das Werk richtig zu vollenden. Der
Schauspieler, der einen schlauen Betrüger darstellt, ist sich
erstens seiner eigenen Person bewußt, zweytens des Charak-
ters, der in seiner Rolle liegt, drittens der Verstellungs-
künste und des angenommenen Scheins, welche diesem Cha-
rakter als die Mittel des Betruges beygelegt sind. — Jn der innere Sinn steigt auf höhere Potenzen ins unbestimmte;
wir können unsre Selbstbeobachtung wieder beobachten, und
so fort.

Anmerkung. Schon in den Streitigkeiten zwischen
den Cartesianern, Locken und Leibnitzen kommt die Streit-
frage vor, ob es Vorstellungen gebe ohne Bewußtseyn?
Die leichteste und kürzeste Antwort ist, daß, wenn alles Vor-
stellen wiederum ein Vorgestelltes würde, dann der innere

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[58/0066] gen, die er überliesere, bestimmt aufzuzählen, noch irgend einen Schein eines Gesetzes anzuzeigen, nach welchem die äußerste Unregelmäßigkeit seines Wirkens zu erklären wäre. Die äußern Sinne leisten ihre Dienste, wenn sie können, und falls sie dieselben versagen, so weiß man, warum; aber der innere Sinn, zu Zeiten scharfsichtig, lauernd auf alles, was in den innersten Falten des Herzens vorgehe (wohl auch manches hineindichtend), ist zu andern Zeiten so stumpf und träge, daß man sich zwar bewußt ist, einen Gedanken gehabt zu haben, aber ihn wiederzufinden sich unfähig fühlt. Absichtliche Anstrengung hält der innere Sinn nicht lange aus; was wir in uns recht genau sehen wollen, das ver- dunkelt sich während der Betrachtung. Uebrigens, wie schlüpf- rig auch diejenige Materie der Erfahrung ist, welche der innere Sinn uns liefert, so bewundernswerth zeigt sich zu- weilen die ihm zugeschriebene geistige Thätigkeit. Nicht sel- ten greift die Selbst-Auffassung in die heftigsten Affecten ein und bändigt sie. Manchmal, bey der angestrengtesten Arbeit in der Außenwelt, regiert der Mensch mitten im Ge- dränge sich selbst, um das Werk richtig zu vollenden. Der Schauspieler, der einen schlauen Betrüger darstellt, ist sich erstens seiner eigenen Person bewußt, zweytens des Charak- ters, der in seiner Rolle liegt, drittens der Verstellungs- künste und des angenommenen Scheins, welche diesem Cha- rakter als die Mittel des Betruges beygelegt sind. — Jn der innere Sinn steigt auf höhere Potenzen ins unbestimmte; wir können unsre Selbstbeobachtung wieder beobachten, und so fort. Anmerkung. Schon in den Streitigkeiten zwischen den Cartesianern, Locken und Leibnitzen kommt die Streit- frage vor, ob es Vorstellungen gebe ohne Bewußtseyn? Die leichteste und kürzeste Antwort ist, daß, wenn alles Vor- stellen wiederum ein Vorgestelltes würde, dann der innere

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/66>, abgerufen am 18.04.2024.