begriffe der Geometrie hergeben, ist so viel unnöthiger, weil man auf den
ersten Blick sehen kann, daß dieselben, bey vorausgesetzter Production der
Reihenformen, sich werden aus der Erfahrung erhalten lassen, wofern es möglich
ist, zu scheiden, was die Sinne vermischt darbieten; eine Ope- ration,
welche der Erzeugung wissenschaftlicher Allgemein- Begriffe nicht unähnlich
seyn wird.
F. Reproduction.
89. Bey der Reproduction, welche sich ganz auf das zeitliche Leben des
Menschen, nämlich auf die Fortdauer einmal erzeugter Vorstellungen bezieht,
treffen wir wiederum auf eine Sorglosigkeit der Psychologen in Ansehung
dessen, wornach zu fragen ist. Unsre Vorstellungen nämlich wei- chen aus
dem Bewußtseyn zurück, und kehren wieder; wo- von nun soll erst der Grund
gesucht werden, von dem Zu- rückweichen, oder vom Wiederkehren? Auf jenes muß
zuerst die Frage gerichtet werden, während gewöhnlich nur vom letztern
geredet wird.
90. Zweyerley kann vorzüglich seyn an der Repro- duction: ihre Lebhaftigkeit und ihre Treue. Jene
schreibt man der Einbildungskraft, diese dem Ge- dächtnisse zu. So sind zwey Seelenvermögen erdichtet
für einerley Sache, die von verschiedenen Seiten betrachtet wird. Dafür
giebt es jedoch eine Entschuldigung, die in dem gleich Folgenden leicht zu
erkennen ist.
91. Die Treue und die Lebhaftigkeit der Reproduction finden sich sehr selten
in einem hohen Grade gleichmäßig beysammen. Es beruht nämlich die Treue
darauf, daß eine Vorstellung sich in demselben Zusammenhange mit andern erneuere, worin sie zuerst vorkam. (Mit denselben Merk- malen Eines Dinges,
denselben Umständen Einer Begeben- heit, derselben Zeitbestimmung und örtlichen
Verknüpfung
begriffe der Geometrie hergeben, ist so viel unnöthiger, weil man auf den
ersten Blick sehen kann, daß dieselben, bey vorausgesetzter Production der
Reihenformen, sich werden aus der Erfahrung erhalten lassen, wofern es möglich
ist, zu scheiden, was die Sinne vermischt darbieten; eine Ope- ration,
welche der Erzeugung wissenschaftlicher Allgemein- Begriffe nicht unähnlich
seyn wird.
F. Reproduction.
89. Bey der Reproduction, welche sich ganz auf das zeitliche Leben des
Menschen, nämlich auf die Fortdauer einmal erzeugter Vorstellungen bezieht,
treffen wir wiederum auf eine Sorglosigkeit der Psychologen in Ansehung
dessen, wornach zu fragen ist. Unsre Vorstellungen nämlich wei- chen aus
dem Bewußtseyn zurück, und kehren wieder; wo- von nun soll erst der Grund
gesucht werden, von dem Zu- rückweichen, oder vom Wiederkehren? Auf jenes muß
zuerst die Frage gerichtet werden, während gewöhnlich nur vom letztern
geredet wird.
90. Zweyerley kann vorzüglich seyn an der Repro- duction: ihre Lebhaftigkeit und ihre Treue. Jene
schreibt man der Einbildungskraft, diese dem Ge- dächtnisse zu. So sind zwey Seelenvermögen erdichtet
für einerley Sache, die von verschiedenen Seiten betrachtet wird. Dafür
giebt es jedoch eine Entschuldigung, die in dem gleich Folgenden leicht zu
erkennen ist.
91. Die Treue und die Lebhaftigkeit der Reproduction finden sich sehr selten
in einem hohen Grade gleichmäßig beysammen. Es beruht nämlich die Treue
darauf, daß eine Vorstellung sich in demselben Zusammenhange mit andern erneuere, worin sie zuerst vorkam. (Mit denselben Merk- malen Eines Dinges,
denselben Umständen Einer Begeben- heit, derselben Zeitbestimmung und örtlichen
Verknüpfung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0080"n="72"/>
begriffe der Geometrie hergeben, ist so viel unnöthiger, weil<lb/>
man auf den
ersten Blick sehen kann, daß dieselben, bey<lb/>
vorausgesetzter Production der
Reihenformen, sich werden<lb/>
aus der Erfahrung erhalten lassen, wofern es möglich
ist,<lb/>
zu scheiden, was die Sinne vermischt darbieten; eine Ope-<lb/>
ration,
welche der Erzeugung wissenschaftlicher Allgemein-<lb/>
Begriffe nicht unähnlich
seyn wird.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#g">F. Reproduction.</hi></head><lb/><p>89. Bey der Reproduction, welche sich ganz auf das<lb/>
zeitliche Leben des
Menschen, nämlich auf die Fortdauer<lb/>
einmal erzeugter Vorstellungen bezieht,
treffen wir wiederum<lb/>
auf eine Sorglosigkeit der Psychologen in Ansehung
dessen,<lb/>
wornach zu fragen ist. Unsre Vorstellungen nämlich wei-<lb/>
chen aus
dem Bewußtseyn zurück, und kehren wieder; wo-<lb/>
von nun soll erst der Grund
gesucht werden, von dem Zu-<lb/>
rückweichen, oder vom Wiederkehren? Auf jenes muß
zuerst<lb/>
die Frage gerichtet werden, während gewöhnlich nur vom<lb/>
letztern
geredet wird.</p><lb/><p>90. Zweyerley kann vorzüglich seyn an der Repro-<lb/>
duction: ihre <hirendition="#g">Lebhaftigkeit</hi> und ihre <hirendition="#g">Treue</hi>. Jene<lb/>
schreibt man der <hirendition="#g">Einbildungskraft</hi>, diese dem <hirendition="#g">Ge-<lb/>
dächtnisse</hi> zu. So sind zwey Seelenvermögen erdichtet<lb/>
für einerley Sache, die von verschiedenen Seiten betrachtet<lb/>
wird. Dafür
giebt es jedoch eine Entschuldigung, die in<lb/>
dem gleich Folgenden leicht zu
erkennen ist.</p><lb/><p>91. Die Treue und die Lebhaftigkeit der Reproduction finden<lb/>
sich sehr selten
in einem hohen Grade gleichmäßig<lb/>
beysammen. Es beruht nämlich die Treue
darauf, daß eine<lb/>
Vorstellung sich in demselben Zusammenhange mit andern<lb/>
erneuere, worin sie zuerst vorkam. (Mit denselben Merk-<lb/>
malen Eines Dinges,
denselben Umständen Einer Begeben-<lb/>
heit, derselben Zeitbestimmung und örtlichen
Verknüpfung<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[72/0080]
begriffe der Geometrie hergeben, ist so viel unnöthiger, weil
man auf den ersten Blick sehen kann, daß dieselben, bey
vorausgesetzter Production der Reihenformen, sich werden
aus der Erfahrung erhalten lassen, wofern es möglich ist,
zu scheiden, was die Sinne vermischt darbieten; eine Ope-
ration, welche der Erzeugung wissenschaftlicher Allgemein-
Begriffe nicht unähnlich seyn wird.
F. Reproduction.
89. Bey der Reproduction, welche sich ganz auf das
zeitliche Leben des Menschen, nämlich auf die Fortdauer
einmal erzeugter Vorstellungen bezieht, treffen wir wiederum
auf eine Sorglosigkeit der Psychologen in Ansehung dessen,
wornach zu fragen ist. Unsre Vorstellungen nämlich wei-
chen aus dem Bewußtseyn zurück, und kehren wieder; wo-
von nun soll erst der Grund gesucht werden, von dem Zu-
rückweichen, oder vom Wiederkehren? Auf jenes muß zuerst
die Frage gerichtet werden, während gewöhnlich nur vom
letztern geredet wird.
90. Zweyerley kann vorzüglich seyn an der Repro-
duction: ihre Lebhaftigkeit und ihre Treue. Jene
schreibt man der Einbildungskraft, diese dem Ge-
dächtnisse zu. So sind zwey Seelenvermögen erdichtet
für einerley Sache, die von verschiedenen Seiten betrachtet
wird. Dafür giebt es jedoch eine Entschuldigung, die in
dem gleich Folgenden leicht zu erkennen ist.
91. Die Treue und die Lebhaftigkeit der Reproduction finden
sich sehr selten in einem hohen Grade gleichmäßig
beysammen. Es beruht nämlich die Treue darauf, daß eine
Vorstellung sich in demselben Zusammenhange mit andern
erneuere, worin sie zuerst vorkam. (Mit denselben Merk-
malen Eines Dinges, denselben Umständen Einer Begeben-
heit, derselben Zeitbestimmung und örtlichen Verknüpfung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup.
(2013-07-05T12:13:38Z)
Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/80>, abgerufen am 13.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.