Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

u. s. w.) Diese Foderung wird selten da sehr vollständig
erfüllt werden, wo die Lebhaftigkeit der Reproduction viele,
unter einander nicht zusammenhängende Vorstellungen, bey-
nahe zugleich ins Bewußtseyn wiederkehren läßt, die sich in
ihren Nebenbestimmungen mannigfaltig durchkreuzen. So
nun findet man auch, daß Menschen von viel Phantasie
wenig Treue des Gedächtnisses zu besitzen pflegen, wiewohl
es in dieser Hinsicht Ausnahmen giebt.

Anmerkung. Mehrere Psychologen erfodern zum
Gedächtniß, Reproduction mit Erinnerung. Die letztere soll
das Urtheil seyn, man habe die nämliche Vorstellung schon
ehemals gehabt. (Hieraus wird zuweilen sehr überflüssig
noch ein eigenes Vermögen gemacht, das Erinnerungsver-
mögen.) Allein das erwähnte Urtheil kann als ein solches,
wobey sich Subject und Prädicat wirklich scheiden, nur sel-
ten nachgewiesen werden, und die ganze Bestimmung ist
dem Sprachgebrauche keinesweges angemessen. Man sagt
von demjenigen, er habe ein gutes Gedächtniß, der eine
Rede leicht auswendig lernt, und sie, ohne ihren Zu-
sammenhang zu zerreißen
, mit Sicherheit hersagen
kann, wenn er schon sich während des Hersagens nicht
erinnert, es sey das dieselbe Rede, die auf dem oder
jenem Papier gedruckt oder geschrieben stehe und die er zu
der oder jener Stunde memorirt habe.

92. Ueber die Association der Vorstellungen, oder über
die Art und Weise, wie dieselben einander nicht bloß nach
einmal wahrgenommenen Verbindungen der Zeit und des
Raumes, sondern auch nach Aehnlichkeiten, ja sogar (schein-
bar) nach Contrasten hervorrufen, sind die psychologischen
Schriften voll von Bemerkungen, welche hieher zu setzen
nicht nöthig ist. Eher mag hier an den mannigfaltig ver-
schlungenen Gang zu erinnern seyn, den oft genug die Re-
production zu nehmen pflegt. Wer z. B. Kohlen und Asche

u. s. w.) Diese Foderung wird selten da sehr vollständig
erfüllt werden, wo die Lebhaftigkeit der Reproduction viele,
unter einander nicht zusammenhängende Vorstellungen, bey-
nahe zugleich ins Bewußtseyn wiederkehren läßt, die sich in
ihren Nebenbestimmungen mannigfaltig durchkreuzen. So
nun findet man auch, daß Menschen von viel Phantasie
wenig Treue des Gedächtnisses zu besitzen pflegen, wiewohl
es in dieser Hinsicht Ausnahmen giebt.

Anmerkung. Mehrere Psychologen erfodern zum
Gedächtniß, Reproduction mit Erinnerung. Die letztere soll
das Urtheil seyn, man habe die nämliche Vorstellung schon
ehemals gehabt. (Hieraus wird zuweilen sehr überflüssig
noch ein eigenes Vermögen gemacht, das Erinnerungsver-
mögen.) Allein das erwähnte Urtheil kann als ein solches,
wobey sich Subject und Prädicat wirklich scheiden, nur sel-
ten nachgewiesen werden, und die ganze Bestimmung ist
dem Sprachgebrauche keinesweges angemessen. Man sagt
von demjenigen, er habe ein gutes Gedächtniß, der eine
Rede leicht auswendig lernt, und sie, ohne ihren Zu-
sammenhang zu zerreißen
, mit Sicherheit hersagen
kann, wenn er schon sich während des Hersagens nicht
erinnert, es sey das dieselbe Rede, die auf dem oder
jenem Papier gedruckt oder geschrieben stehe und die er zu
der oder jener Stunde memorirt habe.

92. Ueber die Association der Vorstellungen, oder über
die Art und Weise, wie dieselben einander nicht bloß nach
einmal wahrgenommenen Verbindungen der Zeit und des
Raumes, sondern auch nach Aehnlichkeiten, ja sogar (schein-
bar) nach Contrasten hervorrufen, sind die psychologischen
Schriften voll von Bemerkungen, welche hieher zu setzen
nicht nöthig ist. Eher mag hier an den mannigfaltig ver-
schlungenen Gang zu erinnern seyn, den oft genug die Re-
production zu nehmen pflegt. Wer z. B. Kohlen und Asche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0081" n="73"/><hi rendition="#g">u. s. w.</hi>) Diese Foderung wird selten da sehr vollständig<lb/>
erfüllt werden, wo die Lebhaftigkeit der Reproduction viele,<lb/>
unter
                 einander nicht zusammenhängende Vorstellungen, bey-<lb/>
nahe zugleich ins
                 Bewußtseyn wiederkehren läßt, die sich in<lb/>
ihren Nebenbestimmungen mannigfaltig
                 durchkreuzen. So<lb/>
nun findet man auch, daß Menschen von viel Phantasie<lb/>
wenig Treue des Gedächtnisses zu besitzen pflegen, wiewohl<lb/>
es in dieser
                 Hinsicht Ausnahmen giebt.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Anmerkung</hi>. Mehrere Psychologen erfodern zum<lb/>
Gedächtniß, Reproduction mit Erinnerung. Die letztere soll<lb/>
das Urtheil seyn,
                 man habe die nämliche Vorstellung schon<lb/>
ehemals gehabt. (Hieraus wird zuweilen
                 sehr überflüssig<lb/>
noch ein eigenes Vermögen gemacht, das Erinnerungsver-<lb/>
mögen.) Allein das erwähnte Urtheil kann als ein solches,<lb/>
wobey sich Subject
                 und Prädicat wirklich scheiden, nur sel-<lb/>
ten nachgewiesen werden, und die ganze
                 Bestimmung ist<lb/>
dem Sprachgebrauche keinesweges angemessen. Man sagt<lb/>
von
                 demjenigen, er habe ein gutes Gedächtniß, der eine<lb/>
Rede leicht auswendig
                 lernt, und sie, <hi rendition="#g">ohne ihren Zu-<lb/>
sammenhang zu zerreißen</hi>,
                 mit Sicherheit hersagen<lb/>
kann, wenn er schon sich während des Hersagens nicht<lb/>
erinnert, es sey das <hi rendition="#g">dieselbe</hi> Rede, die auf dem oder<lb/>
jenem Papier gedruckt oder geschrieben stehe und die er zu<lb/>
der oder
                 jener Stunde memorirt habe.</p><lb/>
              <p>92. Ueber die Association der Vorstellungen, oder über<lb/>
die Art und Weise, wie
                 dieselben einander nicht bloß nach<lb/>
einmal wahrgenommenen Verbindungen der Zeit
                 und des<lb/>
Raumes, sondern auch nach Aehnlichkeiten, ja sogar (schein-<lb/>
bar)
                 nach Contrasten hervorrufen, sind die psychologischen<lb/>
Schriften voll von
                 Bemerkungen, welche hieher zu setzen<lb/>
nicht nöthig ist. Eher mag hier an den
                 mannigfaltig ver-<lb/>
schlungenen Gang zu erinnern seyn, den oft genug die Re-<lb/>
production zu nehmen pflegt. Wer z. B. Kohlen und Asche<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0081] u. s. w.) Diese Foderung wird selten da sehr vollständig erfüllt werden, wo die Lebhaftigkeit der Reproduction viele, unter einander nicht zusammenhängende Vorstellungen, bey- nahe zugleich ins Bewußtseyn wiederkehren läßt, die sich in ihren Nebenbestimmungen mannigfaltig durchkreuzen. So nun findet man auch, daß Menschen von viel Phantasie wenig Treue des Gedächtnisses zu besitzen pflegen, wiewohl es in dieser Hinsicht Ausnahmen giebt. Anmerkung. Mehrere Psychologen erfodern zum Gedächtniß, Reproduction mit Erinnerung. Die letztere soll das Urtheil seyn, man habe die nämliche Vorstellung schon ehemals gehabt. (Hieraus wird zuweilen sehr überflüssig noch ein eigenes Vermögen gemacht, das Erinnerungsver- mögen.) Allein das erwähnte Urtheil kann als ein solches, wobey sich Subject und Prädicat wirklich scheiden, nur sel- ten nachgewiesen werden, und die ganze Bestimmung ist dem Sprachgebrauche keinesweges angemessen. Man sagt von demjenigen, er habe ein gutes Gedächtniß, der eine Rede leicht auswendig lernt, und sie, ohne ihren Zu- sammenhang zu zerreißen, mit Sicherheit hersagen kann, wenn er schon sich während des Hersagens nicht erinnert, es sey das dieselbe Rede, die auf dem oder jenem Papier gedruckt oder geschrieben stehe und die er zu der oder jener Stunde memorirt habe. 92. Ueber die Association der Vorstellungen, oder über die Art und Weise, wie dieselben einander nicht bloß nach einmal wahrgenommenen Verbindungen der Zeit und des Raumes, sondern auch nach Aehnlichkeiten, ja sogar (schein- bar) nach Contrasten hervorrufen, sind die psychologischen Schriften voll von Bemerkungen, welche hieher zu setzen nicht nöthig ist. Eher mag hier an den mannigfaltig ver- schlungenen Gang zu erinnern seyn, den oft genug die Re- production zu nehmen pflegt. Wer z. B. Kohlen und Asche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-05T12:13:38Z)
Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-05T12:13:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Hannah Sophia Glaum: Umwandlung in DTABf-konformes Markup. (2013-07-05T12:13:38Z)
Stefanie Seim: Nachkorrekturen. (2013-07-05T12:13:38Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/81
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/81>, abgerufen am 23.04.2024.