Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Schicksale kamen hinzu, den Saft desselben höher zu trei-
ben und ihm die Krone zu geben, die noch jedermann in je-
nen Jdealen griechischer Kunst und Weisheit mit Freuden
anstaunet. Hier wurden Gestalten gedacht und geschaffen,
wie sie kein Liebhaber Tsirkaßischer Schönen, kein Künstler
aus Jndien oder Kaschmire entwerfen können. Die mensch-
liche Gestalt gieng in den Olympus und bekleidete sich mit
göttlicher Schönheit.

Weiterhin nach Europa verirre ich mich nicht. Es ist
so Formenreich und gemischt: es hat durch seine Kunst und
Cultur so vielfach die Natur verändert, daß ich über seine
durch einander gemengte, feine Nationen nichts Allgemei-
nes zu sagen wage. Vielmehr sehe ich vom letzten Ufer des
Erdstrichs den wir durchgangen sind, nochmals zurück und
nach Einer oder zwo Bemerkungen gehen wir in das schwar-
ze Afrika über.

Zuerst fällt jedermann ins Auge, daß der Strich der
wohlgebildetsten Völker ein Mittelstrich der Erde sei, der
wie die Schönheit selbst, zwischen zweien Aeußersten lieget.
Er hat nicht die zusammendrückende Kälte der Samojeden,
noch die dörrenden Salzwinde der Mogolen; und auf der
andern Seite ist ihm die brennende Hitze der Afrikanischen

Sand-

Schickſale kamen hinzu, den Saft deſſelben hoͤher zu trei-
ben und ihm die Krone zu geben, die noch jedermann in je-
nen Jdealen griechiſcher Kunſt und Weisheit mit Freuden
anſtaunet. Hier wurden Geſtalten gedacht und geſchaffen,
wie ſie kein Liebhaber Tſirkaßiſcher Schoͤnen, kein Kuͤnſtler
aus Jndien oder Kaſchmire entwerfen koͤnnen. Die menſch-
liche Geſtalt gieng in den Olympus und bekleidete ſich mit
goͤttlicher Schoͤnheit.

Weiterhin nach Europa verirre ich mich nicht. Es iſt
ſo Formenreich und gemiſcht: es hat durch ſeine Kunſt und
Cultur ſo vielfach die Natur veraͤndert, daß ich uͤber ſeine
durch einander gemengte, feine Nationen nichts Allgemei-
nes zu ſagen wage. Vielmehr ſehe ich vom letzten Ufer des
Erdſtrichs den wir durchgangen ſind, nochmals zuruͤck und
nach Einer oder zwo Bemerkungen gehen wir in das ſchwar-
ze Afrika uͤber.

Zuerſt faͤllt jedermann ins Auge, daß der Strich der
wohlgebildetſten Voͤlker ein Mittelſtrich der Erde ſei, der
wie die Schoͤnheit ſelbſt, zwiſchen zweien Aeußerſten lieget.
Er hat nicht die zuſammendruͤckende Kaͤlte der Samojeden,
noch die doͤrrenden Salzwinde der Mogolen; und auf der
andern Seite iſt ihm die brennende Hitze der Afrikaniſchen

Sand-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="31"/>
Schick&#x017F;ale kamen hinzu, den Saft de&#x017F;&#x017F;elben ho&#x0364;her zu trei-<lb/>
ben und ihm die Krone zu geben, die noch jedermann in je-<lb/>
nen Jdealen griechi&#x017F;cher Kun&#x017F;t und Weisheit mit Freuden<lb/>
an&#x017F;taunet. Hier wurden Ge&#x017F;talten gedacht und ge&#x017F;chaffen,<lb/>
wie &#x017F;ie kein Liebhaber T&#x017F;irkaßi&#x017F;cher Scho&#x0364;nen, kein Ku&#x0364;n&#x017F;tler<lb/>
aus Jndien oder Ka&#x017F;chmire entwerfen ko&#x0364;nnen. Die men&#x017F;ch-<lb/>
liche Ge&#x017F;talt gieng in den Olympus und bekleidete &#x017F;ich mit<lb/>
go&#x0364;ttlicher Scho&#x0364;nheit.</p><lb/>
          <p>Weiterhin nach Europa verirre ich mich nicht. Es i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;o Formenreich und gemi&#x017F;cht: es hat durch &#x017F;eine Kun&#x017F;t und<lb/>
Cultur &#x017F;o vielfach die Natur vera&#x0364;ndert, daß ich u&#x0364;ber &#x017F;eine<lb/>
durch einander gemengte, feine Nationen nichts Allgemei-<lb/>
nes zu &#x017F;agen wage. Vielmehr &#x017F;ehe ich vom letzten Ufer des<lb/>
Erd&#x017F;trichs den wir durchgangen &#x017F;ind, nochmals zuru&#x0364;ck und<lb/>
nach Einer oder zwo Bemerkungen gehen wir in <hi rendition="#g">das</hi> &#x017F;chwar-<lb/>
ze Afrika u&#x0364;ber.</p><lb/>
          <p>Zuer&#x017F;t fa&#x0364;llt jedermann ins Auge, daß der Strich der<lb/>
wohlgebildet&#x017F;ten Vo&#x0364;lker ein Mittel&#x017F;trich der Erde &#x017F;ei, der<lb/>
wie die Scho&#x0364;nheit &#x017F;elb&#x017F;t, zwi&#x017F;chen zweien Aeußer&#x017F;ten lieget.<lb/>
Er hat nicht die zu&#x017F;ammendru&#x0364;ckende Ka&#x0364;lte der Samojeden,<lb/>
noch die do&#x0364;rrenden Salzwinde der Mogolen; und auf der<lb/>
andern Seite i&#x017F;t ihm die brennende Hitze der Afrikani&#x017F;chen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sand-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0043] Schickſale kamen hinzu, den Saft deſſelben hoͤher zu trei- ben und ihm die Krone zu geben, die noch jedermann in je- nen Jdealen griechiſcher Kunſt und Weisheit mit Freuden anſtaunet. Hier wurden Geſtalten gedacht und geſchaffen, wie ſie kein Liebhaber Tſirkaßiſcher Schoͤnen, kein Kuͤnſtler aus Jndien oder Kaſchmire entwerfen koͤnnen. Die menſch- liche Geſtalt gieng in den Olympus und bekleidete ſich mit goͤttlicher Schoͤnheit. Weiterhin nach Europa verirre ich mich nicht. Es iſt ſo Formenreich und gemiſcht: es hat durch ſeine Kunſt und Cultur ſo vielfach die Natur veraͤndert, daß ich uͤber ſeine durch einander gemengte, feine Nationen nichts Allgemei- nes zu ſagen wage. Vielmehr ſehe ich vom letzten Ufer des Erdſtrichs den wir durchgangen ſind, nochmals zuruͤck und nach Einer oder zwo Bemerkungen gehen wir in das ſchwar- ze Afrika uͤber. Zuerſt faͤllt jedermann ins Auge, daß der Strich der wohlgebildetſten Voͤlker ein Mittelſtrich der Erde ſei, der wie die Schoͤnheit ſelbſt, zwiſchen zweien Aeußerſten lieget. Er hat nicht die zuſammendruͤckende Kaͤlte der Samojeden, noch die doͤrrenden Salzwinde der Mogolen; und auf der andern Seite iſt ihm die brennende Hitze der Afrikaniſchen Sand-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/43
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/43>, abgerufen am 29.03.2024.