Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Und weil wir so spät kamen, ahmten
wir nach
: denn wir fanden viel Vortref-
liches nachzuahmen. Franzosen, Spaniern,
Italiänern, Britten, selbst Holländern ahm-
ten wir nach; und wußten nie recht, wozu
und weßwegen? Unser verdiente Opitz war
mehr Uebersetzer, als Dichter. In Weck-
herlin u. a. ist der größeste Theil fremdes
Gut. So sind wir fortgeschritten; und
wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die
Muse singend conversirt, wenn sie in Frank-
reich artig erzählt und vernünftelt, wenn
sie in Spanien ritterlich imaginirt, in Eng-
land scharf- oder tiefsinnig denket; was thut
sie in Deutschland? Sie ahmt nach.
Nachahmung wäre also ihr Charakter,
eben weil sie zu spät kam. Die Originalfor-
men waren alle verbraucht und vergeben.


Und weil wir ſo ſpaͤt kamen, ahmten
wir nach
: denn wir fanden viel Vortref-
liches nachzuahmen. Franzoſen, Spaniern,
Italiaͤnern, Britten, ſelbſt Hollaͤndern ahm-
ten wir nach; und wußten nie recht, wozu
und weßwegen? Unſer verdiente Opitz war
mehr Ueberſetzer, als Dichter. In Weck-
herlin u. a. iſt der groͤßeſte Theil fremdes
Gut. So ſind wir fortgeſchritten; und
wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die
Muſe ſingend converſirt, wenn ſie in Frank-
reich artig erzaͤhlt und vernuͤnftelt, wenn
ſie in Spanien ritterlich imaginirt, in Eng-
land ſcharf- oder tiefſinnig denket; was thut
ſie in Deutſchland? Sie ahmt nach.
Nachahmung waͤre alſo ihr Charakter,
eben weil ſie zu ſpaͤt kam. Die Originalfor-
men waren alle verbraucht und vergeben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0127" n="108"/>
        <p>Und weil wir &#x017F;o &#x017F;pa&#x0364;t kamen, <hi rendition="#g">ahmten<lb/>
wir nach</hi>: denn wir fanden viel Vortref-<lb/>
liches nachzuahmen. Franzo&#x017F;en, Spaniern,<lb/>
Italia&#x0364;nern, Britten, &#x017F;elb&#x017F;t Holla&#x0364;ndern ahm-<lb/>
ten wir nach; und wußten nie recht, wozu<lb/>
und weßwegen? Un&#x017F;er verdiente <hi rendition="#g">Opitz</hi> war<lb/>
mehr Ueber&#x017F;etzer, als Dichter. In <hi rendition="#g">Weck</hi>-<lb/><hi rendition="#g">herlin</hi> u. a. i&#x017F;t der gro&#x0364;ße&#x017F;te Theil fremdes<lb/>
Gut. So &#x017F;ind wir fortge&#x017F;chritten; und<lb/>
wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die<lb/>
Mu&#x017F;e &#x017F;ingend conver&#x017F;irt, wenn &#x017F;ie in Frank-<lb/>
reich artig erza&#x0364;hlt und vernu&#x0364;nftelt, wenn<lb/>
&#x017F;ie in Spanien ritterlich imaginirt, in Eng-<lb/>
land &#x017F;charf- oder tief&#x017F;innig denket; was thut<lb/>
&#x017F;ie in Deut&#x017F;chland? <hi rendition="#g">Sie ahmt nach</hi>.<lb/><hi rendition="#g">Nachahmung</hi> wa&#x0364;re al&#x017F;o ihr Charakter,<lb/>
eben weil &#x017F;ie zu &#x017F;pa&#x0364;t kam. Die Originalfor-<lb/>
men waren alle verbraucht und vergeben.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0127] Und weil wir ſo ſpaͤt kamen, ahmten wir nach: denn wir fanden viel Vortref- liches nachzuahmen. Franzoſen, Spaniern, Italiaͤnern, Britten, ſelbſt Hollaͤndern ahm- ten wir nach; und wußten nie recht, wozu und weßwegen? Unſer verdiente Opitz war mehr Ueberſetzer, als Dichter. In Weck- herlin u. a. iſt der groͤßeſte Theil fremdes Gut. So ſind wir fortgeſchritten; und wer ahmt uns nach? Wenn in Italien die Muſe ſingend converſirt, wenn ſie in Frank- reich artig erzaͤhlt und vernuͤnftelt, wenn ſie in Spanien ritterlich imaginirt, in Eng- land ſcharf- oder tiefſinnig denket; was thut ſie in Deutſchland? Sie ahmt nach. Nachahmung waͤre alſo ihr Charakter, eben weil ſie zu ſpaͤt kam. Die Originalfor- men waren alle verbraucht und vergeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/127
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/127>, abgerufen am 29.03.2024.