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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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Rom allein wurden dämonische, gött-
liche Männer gebohren; sie bedorften auch
von dorther keiner Beurkundung, daß sie
solche waren. Die Gabe der Muse ist
eine angebohrne Himmelsgabe, die kaum
mit Mühe vergraben werden kann. Großer
Leidenschaften und Vorstellungen fähig, sehen
Einige nichts als diese Bilder, sprechen in
Leidenschaft, laben sich in Tönen des Wohl-
lauts und fühlen sich geschaffen, die Ge-
müther andrer mit dem, was sie erfreuet
und anregt, auch zu erfreuen und anzu-
regen. Wenn Poesie noch nicht erfunden
wäre, würden solche Menschen sie erfin-
den, und erfinden sie täglich.

Aber wie sehr Talente dieser Art unter
dem Druck einer schlechten Sprache und
einer sinnlosen Mitwelt leiden, zeigt eben
ja die Geschichte sowohl der rohen,
als der mittleren dunkeln Zeiten.

Rom allein wurden daͤmoniſche, goͤtt-
liche Maͤnner gebohren; ſie bedorften auch
von dorther keiner Beurkundung, daß ſie
ſolche waren. Die Gabe der Muſe iſt
eine angebohrne Himmelsgabe, die kaum
mit Muͤhe vergraben werden kann. Großer
Leidenſchaften und Vorſtellungen faͤhig, ſehen
Einige nichts als dieſe Bilder, ſprechen in
Leidenſchaft, laben ſich in Toͤnen des Wohl-
lauts und fuͤhlen ſich geſchaffen, die Ge-
muͤther andrer mit dem, was ſie erfreuet
und anregt, auch zu erfreuen und anzu-
regen. Wenn Poeſie noch nicht erfunden
waͤre, wuͤrden ſolche Menſchen ſie erfin-
den, und erfinden ſie taͤglich.

Aber wie ſehr Talente dieſer Art unter
dem Druck einer ſchlechten Sprache und
einer ſinnloſen Mitwelt leiden, zeigt eben
ja die Geſchichte ſowohl der rohen,
als der mittleren dunkeln Zeiten.

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[25/0044] Rom allein wurden daͤmoniſche, goͤtt- liche Maͤnner gebohren; ſie bedorften auch von dorther keiner Beurkundung, daß ſie ſolche waren. Die Gabe der Muſe iſt eine angebohrne Himmelsgabe, die kaum mit Muͤhe vergraben werden kann. Großer Leidenſchaften und Vorſtellungen faͤhig, ſehen Einige nichts als dieſe Bilder, ſprechen in Leidenſchaft, laben ſich in Toͤnen des Wohl- lauts und fuͤhlen ſich geſchaffen, die Ge- muͤther andrer mit dem, was ſie erfreuet und anregt, auch zu erfreuen und anzu- regen. Wenn Poeſie noch nicht erfunden waͤre, wuͤrden ſolche Menſchen ſie erfin- den, und erfinden ſie taͤglich. Aber wie ſehr Talente dieſer Art unter dem Druck einer ſchlechten Sprache und einer ſinnloſen Mitwelt leiden, zeigt eben ja die Geſchichte ſowohl der rohen, als der mittleren dunkeln Zeiten.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/44>, abgerufen am 29.03.2024.