Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

Wohllauts ab, wo er ihr eine schwere
Rüstung dünkte; sie warf Buchstaben, Syl-
ben, ganze Worte hinweg, und flog leicht
in die Lüfte. Man erzählte, sang, sprach,
lachte, gesticulirte. Als die Scholastik auf-
kam, disputirte man; die Abstractionen des
lateinischen Schulgeistes gingen in die ver-
wandte Sprache des Landes und Volks
unvermerkt über. Einer Sprache, die
Zweideutigkeiten unabläßig ausgesetzt ist,
mußte man, als sie sich regelte, durch eine
desto genauere Construction und Wortord-
nung helfen. Keinem Volk wäre dies ein-
gefallen, dem nicht schon eine Art spre-
chender Vernunft zur Regel geworden
war; und so wurde die Französische Spra-
che was sie ist, eine an leichten Abstrac-
tionen reiche Sprache, die sich durch Ord-
nung, durch Wendungen helfen mußte, und
zur Ehre des Geistes der Nation tausend-

Wohllauts ab, wo er ihr eine ſchwere
Ruͤſtung duͤnkte; ſie warf Buchſtaben, Syl-
ben, ganze Worte hinweg, und flog leicht
in die Luͤfte. Man erzaͤhlte, ſang, ſprach,
lachte, geſticulirte. Als die Scholaſtik auf-
kam, diſputirte man; die Abſtractionen des
lateiniſchen Schulgeiſtes gingen in die ver-
wandte Sprache des Landes und Volks
unvermerkt uͤber. Einer Sprache, die
Zweideutigkeiten unablaͤßig ausgeſetzt iſt,
mußte man, als ſie ſich regelte, durch eine
deſto genauere Conſtruction und Wortord-
nung helfen. Keinem Volk waͤre dies ein-
gefallen, dem nicht ſchon eine Art ſpre-
chender Vernunft zur Regel geworden
war; und ſo wurde die Franzoͤſiſche Spra-
che was ſie iſt, eine an leichten Abſtrac-
tionen reiche Sprache, die ſich durch Ord-
nung, durch Wendungen helfen mußte, und
zur Ehre des Geiſtes der Nation tauſend-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0020" n="13"/>
Wohllauts ab, wo er ihr eine &#x017F;chwere<lb/>
Ru&#x0364;&#x017F;tung du&#x0364;nkte; &#x017F;ie warf Buch&#x017F;taben, Syl-<lb/>
ben, ganze Worte hinweg, und flog leicht<lb/>
in die Lu&#x0364;fte. Man erza&#x0364;hlte, &#x017F;ang, &#x017F;prach,<lb/>
lachte, ge&#x017F;ticulirte. Als die Schola&#x017F;tik auf-<lb/>
kam, di&#x017F;putirte man; die Ab&#x017F;tractionen des<lb/>
lateini&#x017F;chen Schulgei&#x017F;tes gingen in die ver-<lb/>
wandte Sprache des Landes und Volks<lb/>
unvermerkt u&#x0364;ber. Einer Sprache, die<lb/>
Zweideutigkeiten unabla&#x0364;ßig ausge&#x017F;etzt i&#x017F;t,<lb/>
mußte man, als &#x017F;ie &#x017F;ich regelte, durch eine<lb/>
de&#x017F;to genauere Con&#x017F;truction und Wortord-<lb/>
nung helfen. Keinem Volk wa&#x0364;re dies ein-<lb/>
gefallen, dem nicht &#x017F;chon eine Art <hi rendition="#g">&#x017F;pre</hi>-<lb/><hi rendition="#g">chender Vernunft</hi> zur Regel geworden<lb/>
war; und &#x017F;o wurde die Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Spra-<lb/>
che was &#x017F;ie i&#x017F;t, eine an leichten Ab&#x017F;trac-<lb/>
tionen reiche Sprache, die &#x017F;ich durch Ord-<lb/>
nung, durch Wendungen helfen mußte, und<lb/>
zur Ehre des Gei&#x017F;tes der Nation tau&#x017F;end-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0020] Wohllauts ab, wo er ihr eine ſchwere Ruͤſtung duͤnkte; ſie warf Buchſtaben, Syl- ben, ganze Worte hinweg, und flog leicht in die Luͤfte. Man erzaͤhlte, ſang, ſprach, lachte, geſticulirte. Als die Scholaſtik auf- kam, diſputirte man; die Abſtractionen des lateiniſchen Schulgeiſtes gingen in die ver- wandte Sprache des Landes und Volks unvermerkt uͤber. Einer Sprache, die Zweideutigkeiten unablaͤßig ausgeſetzt iſt, mußte man, als ſie ſich regelte, durch eine deſto genauere Conſtruction und Wortord- nung helfen. Keinem Volk waͤre dies ein- gefallen, dem nicht ſchon eine Art ſpre- chender Vernunft zur Regel geworden war; und ſo wurde die Franzoͤſiſche Spra- che was ſie iſt, eine an leichten Abſtrac- tionen reiche Sprache, die ſich durch Ord- nung, durch Wendungen helfen mußte, und zur Ehre des Geiſtes der Nation tauſend-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/20
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/20>, abgerufen am 25.04.2024.