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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
"stellern der Wissenschaft so beliebt c), auch die
"Mythologie der Alten (ohne weitere Gründe,) bei-
"zubehalten:" als daß sie "auf dem Jrrthum und
"dem Aberglauben d) der Alten beruhe:" als daß sie
"nichts als ein Namenregister e), Schälle ohne
"Gedanken
enthalte," als daß sie f) "ein bloßer
"Flitterstaat mittelmäßiger Köpfe sey, um ihre
"Gedichte mit hundertmal gebrauchten Gleichnissen
"aufzustützen:" wer die Mythologie in Gedichten
blos als so Etwas kennet, wie ist der eines Bessern
zu belehren? Man müßte von Anfange anfangen,
daß von Homer bis zu Virgil noch etwas anders
in dem Gebrauch ihrer Mythologie liege, als böse
Jrrthümer und unchristlicher Aberglauben -- näm-
lich sehr poetische Jdeen. Und so hätte man erst
eine Voraussetzung!

Darauf wäre zu zeigen, daß von den Wieder-
herstellern der Wissenschaften die Mythologie noch
etwa anders woher habe können beibehalten werden,
nicht als ein beliebiges Gutachten. Vielleicht
nämlich der Sprache, der Kunst, der Poesie, und
alten Einkleidungen der platonischen Weisheit we-
gen. Ob sie sie übel nachgeahmet: davon ist die
Rede nicht, sondern ob sie sie nachahmen dörfen?
Und wer weiß es da nicht, daß wir nothwendig mit
der bösen irrigen Mythologie zugleich alles hätten

ver-
c) p. 125.
d) p. 125.
e) p. 126.
f) p. 127.

Kritiſche Waͤlder.
„ſtellern der Wiſſenſchaft ſo beliebt c), auch die
„Mythologie der Alten (ohne weitere Gruͤnde,) bei-
„zubehalten:„ als daß ſie „auf dem Jrrthum und
„dem Aberglauben d) der Alten beruhe:„ als daß ſie
„nichts als ein Namenregiſter e), Schaͤlle ohne
„Gedanken
enthalte,„ als daß ſie f) „ein bloßer
„Flitterſtaat mittelmaͤßiger Koͤpfe ſey, um ihre
„Gedichte mit hundertmal gebrauchten Gleichniſſen
„aufzuſtuͤtzen:„ wer die Mythologie in Gedichten
blos als ſo Etwas kennet, wie iſt der eines Beſſern
zu belehren? Man muͤßte von Anfange anfangen,
daß von Homer bis zu Virgil noch etwas anders
in dem Gebrauch ihrer Mythologie liege, als boͤſe
Jrrthuͤmer und unchriſtlicher Aberglauben — naͤm-
lich ſehr poetiſche Jdeen. Und ſo haͤtte man erſt
eine Vorausſetzung!

Darauf waͤre zu zeigen, daß von den Wieder-
herſtellern der Wiſſenſchaften die Mythologie noch
etwa anders woher habe koͤnnen beibehalten werden,
nicht als ein beliebiges Gutachten. Vielleicht
naͤmlich der Sprache, der Kunſt, der Poeſie, und
alten Einkleidungen der platoniſchen Weisheit we-
gen. Ob ſie ſie uͤbel nachgeahmet: davon iſt die
Rede nicht, ſondern ob ſie ſie nachahmen doͤrfen?
Und wer weiß es da nicht, daß wir nothwendig mit
der boͤſen irrigen Mythologie zugleich alles haͤtten

ver-
c) p. 125.
d) p. 125.
e) p. 126.
f) p. 127.
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[102/0108] Kritiſche Waͤlder. „ſtellern der Wiſſenſchaft ſo beliebt c), auch die „Mythologie der Alten (ohne weitere Gruͤnde,) bei- „zubehalten:„ als daß ſie „auf dem Jrrthum und „dem Aberglauben d) der Alten beruhe:„ als daß ſie „nichts als ein Namenregiſter e), Schaͤlle ohne „Gedanken enthalte,„ als daß ſie f) „ein bloßer „Flitterſtaat mittelmaͤßiger Koͤpfe ſey, um ihre „Gedichte mit hundertmal gebrauchten Gleichniſſen „aufzuſtuͤtzen:„ wer die Mythologie in Gedichten blos als ſo Etwas kennet, wie iſt der eines Beſſern zu belehren? Man muͤßte von Anfange anfangen, daß von Homer bis zu Virgil noch etwas anders in dem Gebrauch ihrer Mythologie liege, als boͤſe Jrrthuͤmer und unchriſtlicher Aberglauben — naͤm- lich ſehr poetiſche Jdeen. Und ſo haͤtte man erſt eine Vorausſetzung! Darauf waͤre zu zeigen, daß von den Wieder- herſtellern der Wiſſenſchaften die Mythologie noch etwa anders woher habe koͤnnen beibehalten werden, nicht als ein beliebiges Gutachten. Vielleicht naͤmlich der Sprache, der Kunſt, der Poeſie, und alten Einkleidungen der platoniſchen Weisheit we- gen. Ob ſie ſie uͤbel nachgeahmet: davon iſt die Rede nicht, ſondern ob ſie ſie nachahmen doͤrfen? Und wer weiß es da nicht, daß wir nothwendig mit der boͤſen irrigen Mythologie zugleich alles haͤtten ver- c) p. 125. d) p. 125. e) p. 126. f) p. 127.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/108>, abgerufen am 25.04.2024.