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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Zweites Wäldchen.
druß und Verachtung, alles kann nach einander, an
seinem Orte, erreget werden, wenn sich nur jede
Empfindung so aus einer andern, in eine dritte
ergießet und verlieret, daß zu letzt ein Echo, wie die
Stimme der Musen in meiner Seele, bleibe, das
Bewunderung sey. Diesen Hauptunterschied hat
Hr. Kl. nicht beobachtet: ob ich lache, oder mich
über ein Lachen ärgere; freudig oder hönisch lache
-- ob ich etwas lächerlich oder belachenswerth füh-
le -- alles ist ihm einerlei, wenn nur vom Lachen
die Rede ist.

Und wer ists wohl, der die Empfindungen der
Seele besser und natürlicher auf einander folgen
lasse, als Homer? Kann denn ein Leser von griechi-
schem Gefühle, der Musik der Seele hat, es bei
Homer unempfunden gelassen haben, wie er einen
Ton der Seele aus dem andern entwickelt, und in
einen andern auflöset -- wie keine Stimmung bei
ihm über die andern vorschreien, mehr als sie zum
Ganzen Eindruck nachlassen soll. -- Wer dies em-
pfunden, wer dies als eine stetige Kraft der homeri-
schen Muse gefühlt: wie sollte der nicht zittern, den
Tadel nieder zu schreiben; "Homer weicht oft aus
"der Gravität und Dignität des epischen Gesanges:
"Homer wirds schwer, zurück zu halten, was Lachen
"erregen könnte, und bringts am ungeschicktesten
"Orte an: Homer hat, durch solche Unartigkeit,
"sein Gedicht nicht wenig entstellt: er macht den

"Leser
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Zweites Waͤldchen.
druß und Verachtung, alles kann nach einander, an
ſeinem Orte, erreget werden, wenn ſich nur jede
Empfindung ſo aus einer andern, in eine dritte
ergießet und verlieret, daß zu letzt ein Echo, wie die
Stimme der Muſen in meiner Seele, bleibe, das
Bewunderung ſey. Dieſen Hauptunterſchied hat
Hr. Kl. nicht beobachtet: ob ich lache, oder mich
uͤber ein Lachen aͤrgere; freudig oder hoͤniſch lache
— ob ich etwas laͤcherlich oder belachenswerth fuͤh-
le — alles iſt ihm einerlei, wenn nur vom Lachen
die Rede iſt.

Und wer iſts wohl, der die Empfindungen der
Seele beſſer und natuͤrlicher auf einander folgen
laſſe, als Homer? Kann denn ein Leſer von griechi-
ſchem Gefuͤhle, der Muſik der Seele hat, es bei
Homer unempfunden gelaſſen haben, wie er einen
Ton der Seele aus dem andern entwickelt, und in
einen andern aufloͤſet — wie keine Stimmung bei
ihm uͤber die andern vorſchreien, mehr als ſie zum
Ganzen Eindruck nachlaſſen ſoll. — Wer dies em-
pfunden, wer dies als eine ſtetige Kraft der homeri-
ſchen Muſe gefuͤhlt: wie ſollte der nicht zittern, den
Tadel nieder zu ſchreiben; „Homer weicht oft aus
„der Gravitaͤt und Dignitaͤt des epiſchen Geſanges:
„Homer wirds ſchwer, zuruͤck zu halten, was Lachen
„erregen koͤnnte, und bringts am ungeſchickteſten
„Orte an: Homer hat, durch ſolche Unartigkeit,
„ſein Gedicht nicht wenig entſtellt: er macht den

„Leſer
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[53/0059] Zweites Waͤldchen. druß und Verachtung, alles kann nach einander, an ſeinem Orte, erreget werden, wenn ſich nur jede Empfindung ſo aus einer andern, in eine dritte ergießet und verlieret, daß zu letzt ein Echo, wie die Stimme der Muſen in meiner Seele, bleibe, das Bewunderung ſey. Dieſen Hauptunterſchied hat Hr. Kl. nicht beobachtet: ob ich lache, oder mich uͤber ein Lachen aͤrgere; freudig oder hoͤniſch lache — ob ich etwas laͤcherlich oder belachenswerth fuͤh- le — alles iſt ihm einerlei, wenn nur vom Lachen die Rede iſt. Und wer iſts wohl, der die Empfindungen der Seele beſſer und natuͤrlicher auf einander folgen laſſe, als Homer? Kann denn ein Leſer von griechi- ſchem Gefuͤhle, der Muſik der Seele hat, es bei Homer unempfunden gelaſſen haben, wie er einen Ton der Seele aus dem andern entwickelt, und in einen andern aufloͤſet — wie keine Stimmung bei ihm uͤber die andern vorſchreien, mehr als ſie zum Ganzen Eindruck nachlaſſen ſoll. — Wer dies em- pfunden, wer dies als eine ſtetige Kraft der homeri- ſchen Muſe gefuͤhlt: wie ſollte der nicht zittern, den Tadel nieder zu ſchreiben; „Homer weicht oft aus „der Gravitaͤt und Dignitaͤt des epiſchen Geſanges: „Homer wirds ſchwer, zuruͤck zu halten, was Lachen „erregen koͤnnte, und bringts am ungeſchickteſten „Orte an: Homer hat, durch ſolche Unartigkeit, „ſein Gedicht nicht wenig entſtellt: er macht den „Leſer D 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/59>, abgerufen am 24.04.2024.