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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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so kann Moser den Geist der Deutschen ma-
len, wie er war, und seyn sollte. Alsdenn
aber muß auch in dem Geschmack der Er-
findung keine fromme Misanthropie, in der
Zusammensezzung kein ungesunder Ueberfluß,
in der Zeichnung kein schiefer Geschmack herr-
schen, der halb Französisch und halb Brittisch
ist. Er liefere sein Werk auch der Form
nach mit allen Deutschen Vollkommenheiten
geschmückt: tiefsinnig, reich, und wahr in
der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu-
sammensezzung, männlich in der Zeichnung,
und in der Ausführung vollendet. Jetzo
muß der ehrliche Deutsche Leser bei allen Mo-
serischen Schriften sämtlich und sonders be-
dauren: daß Moses keinen Aaron hat: daß
der Minister zu sichtbar diktire, der Welt-
weise nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der
Schriftsteller nicht Muße gnug, selbst zu schrei-
ben, und anzuordnen habe. Hätte der Ver-
fasser irgend in Deutschland einen andern
Amphitruon, der die Macht und Geschick-
lichkeit besäße, seine zerstreute Gedanken zu
verbinden; und die Wassersüchtige Fülle in
einen Körper zu verwandeln, wo volle gesun-

de
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ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen ma-
len, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn
aber muß auch in dem Geſchmack der Er-
findung keine fromme Miſanthropie, in der
Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß,
in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herr-
ſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch
iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form
nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten
geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in
der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu-
ſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung,
und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo
muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Mo-
ſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders be-
dauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß
der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Welt-
weiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der
Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchrei-
ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver-
faſſer irgend in Deutſchland einen andern
Amphitruon, der die Macht und Geſchick-
lichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu
verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in
einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſun-

de
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[149/0153] ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen ma- len, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geſchmack der Er- findung keine fromme Miſanthropie, in der Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herr- ſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zu- ſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Mo- ſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders be- dauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Welt- weiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchrei- ben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Ver- faſſer irgend in Deutſchland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geſchick- lichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſun- de K 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/153>, abgerufen am 30.04.2024.