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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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wie die nassen Gewänder der Alten den Kör-
per durchschimmern ließen. Dies geht so
weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfasser
bisweilen mühsam gewordene Denkart im-
mer durchblickt; er mag sie so sehr mit Blu-
men bestreuen, als er will. Aber eben dies
verbürgt auch die Treue, mit der er seine
Seele entdeckt: und die in den Materien,
worinn er schreibt, und in unserer Zeit ein
seltenes Muster ist. Vielleicht gelingt es
Spalding, gesunden Menschenverstand in den
Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit-
tel zwischen gelehrter Weisheit und unver-
ständlicher Wortkrämerei hält, der den Jü-
dischen und gelehrten Griechischen Ton mit ei-
nerlei Vorsicht vermeidet, der die Kanzel er-
niedrigt, aber weder zum Mosaischen Stuhl
eines Rabbi, noch zu einem Philosophischen
Catheder -- zu dem Rednersorte eines
Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen-
sorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen,
in die Theologie ein Denken einzuführen, das
eben so wenig Deismus und Freigeisterei,
als nachgebetete Formel ist. -- Welch ein
Unterschied, wenn ich Spalding mit einem

eben-
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wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤr-
per durchſchimmern ließen. Dies geht ſo
weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer
bisweilen muͤhſam gewordene Denkart im-
mer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blu-
men beſtreuen, als er will. Aber eben dies
verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine
Seele entdeckt: und die in den Materien,
worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein
ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es
Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den
Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit-
tel zwiſchen gelehrter Weisheit und unver-
ſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤ-
diſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit ei-
nerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel er-
niedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl
eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen
Catheder — zu dem Rednersorte eines
Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen-
ſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen,
in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das
eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei,
als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein
Unterſchied, wenn ich Spalding mit einem

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[153/0157] wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤr- per durchſchimmern ließen. Dies geht ſo weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer bisweilen muͤhſam gewordene Denkart im- mer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blu- men beſtreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit- tel zwiſchen gelehrter Weisheit und unver- ſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤ- diſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit ei- nerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel er- niedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen Catheder — zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen- ſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei, als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein Unterſchied, wenn ich Spalding mit einem eben- K 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/157>, abgerufen am 30.04.2024.