Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

lesenheit: die Schale derselben ist ein müh-
sam geflochtenes Gewebe von Kernausdrü-
cken, Anspielungen und Wortblumen. Der
Philolog hat, damit ich mich seines eigenen
Zeugnisses bediene:

Gelesen:) und allerdings, sehr viel, sehr
weitläuftig und mit Geschmack gelesen (multa
et multum legit
); allein die Balsamdüfte
vom Aetherischen Tisch der Alten, mit eini-
gen Vapeurs der Gallier und dem Brodem
der Brittischen Laune vermischt, sind zu einer
Wolke geworden. Diese umhüllt ihn, er mag
strafen, oder weißagen (die beiden Verrich-
ungen seiner Schriften), wie die Juno, wenn
sie den Ehebrecher belauscht, oder die Pythis-
se, wenn sie Weißagungen in Kabbalistischer
Prose murmelt. Seine Belesenheit ist also
zusammen geflossen, so wie die Königliche
Schrift, auf unzusammenhängend Papier ge-
schrieben, dies zuerst thut. -- Jndessen
würde oft freilich eine kleine nähere Anzeige
der Spruchstelle, worüber er commentirt,
vieles enträzeln, aber auch verrathen; und
da ich selbst unter die stummen Leser seiner
Schriften gehöre; so bin ich nicht in der La-

ge,

leſenheit: die Schale derſelben iſt ein muͤh-
ſam geflochtenes Gewebe von Kernausdruͤ-
cken, Anſpielungen und Wortblumen. Der
Philolog hat, damit ich mich ſeines eigenen
Zeugniſſes bediene:

Geleſen:) und allerdings, ſehr viel, ſehr
weitlaͤuftig und mit Geſchmack geleſen (multa
et multum legit
); allein die Balſamduͤfte
vom Aetheriſchen Tiſch der Alten, mit eini-
gen Vapeurs der Gallier und dem Brodem
der Brittiſchen Laune vermiſcht, ſind zu einer
Wolke geworden. Dieſe umhuͤllt ihn, er mag
ſtrafen, oder weißagen (die beiden Verrich-
ungen ſeiner Schriften), wie die Juno, wenn
ſie den Ehebrecher belauſcht, oder die Pythiſ-
ſe, wenn ſie Weißagungen in Kabbaliſtiſcher
Proſe murmelt. Seine Beleſenheit iſt alſo
zuſammen gefloſſen, ſo wie die Koͤnigliche
Schrift, auf unzuſammenhaͤngend Papier ge-
ſchrieben, dies zuerſt thut. — Jndeſſen
wuͤrde oft freilich eine kleine naͤhere Anzeige
der Spruchſtelle, woruͤber er commentirt,
vieles entraͤzeln, aber auch verrathen; und
da ich ſelbſt unter die ſtummen Leſer ſeiner
Schriften gehoͤre; ſo bin ich nicht in der La-

ge,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="159"/>
le&#x017F;enheit: die Schale der&#x017F;elben i&#x017F;t ein mu&#x0364;h-<lb/>
&#x017F;am geflochtenes Gewebe von Kernausdru&#x0364;-<lb/>
cken, An&#x017F;pielungen und Wortblumen. Der<lb/>
Philolog hat, damit ich mich &#x017F;eines eigenen<lb/>
Zeugni&#x017F;&#x017F;es bediene:</p><lb/>
          <p>Gele&#x017F;en:) und allerdings, &#x017F;ehr viel, &#x017F;ehr<lb/>
weitla&#x0364;uftig und mit Ge&#x017F;chmack gele&#x017F;en (<hi rendition="#aq">multa<lb/>
et multum legit</hi>); allein die Bal&#x017F;amdu&#x0364;fte<lb/>
vom Aetheri&#x017F;chen Ti&#x017F;ch der Alten, mit eini-<lb/>
gen Vapeurs der Gallier und dem Brodem<lb/>
der Britti&#x017F;chen Laune vermi&#x017F;cht, &#x017F;ind zu einer<lb/>
Wolke geworden. Die&#x017F;e umhu&#x0364;llt ihn, er mag<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;trafen,</hi> oder <hi rendition="#fr">weißagen</hi> (die beiden Verrich-<lb/>
ungen &#x017F;einer Schriften), wie die Juno, wenn<lb/>
&#x017F;ie den Ehebrecher belau&#x017F;cht, oder die Pythi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e, wenn &#x017F;ie Weißagungen in Kabbali&#x017F;ti&#x017F;cher<lb/>
Pro&#x017F;e murmelt. Seine Bele&#x017F;enheit i&#x017F;t al&#x017F;o<lb/>
zu&#x017F;ammen geflo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wie die Ko&#x0364;nigliche<lb/>
Schrift, auf unzu&#x017F;ammenha&#x0364;ngend Papier ge-<lb/>
&#x017F;chrieben, dies zuer&#x017F;t thut. &#x2014; Jnde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wu&#x0364;rde oft freilich eine kleine na&#x0364;here Anzeige<lb/>
der Spruch&#x017F;telle, woru&#x0364;ber er commentirt,<lb/>
vieles entra&#x0364;zeln, aber auch verrathen; und<lb/>
da ich &#x017F;elb&#x017F;t unter die &#x017F;tummen Le&#x017F;er &#x017F;einer<lb/>
Schriften geho&#x0364;re; &#x017F;o bin ich nicht in der La-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ge,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0163] leſenheit: die Schale derſelben iſt ein muͤh- ſam geflochtenes Gewebe von Kernausdruͤ- cken, Anſpielungen und Wortblumen. Der Philolog hat, damit ich mich ſeines eigenen Zeugniſſes bediene: Geleſen:) und allerdings, ſehr viel, ſehr weitlaͤuftig und mit Geſchmack geleſen (multa et multum legit); allein die Balſamduͤfte vom Aetheriſchen Tiſch der Alten, mit eini- gen Vapeurs der Gallier und dem Brodem der Brittiſchen Laune vermiſcht, ſind zu einer Wolke geworden. Dieſe umhuͤllt ihn, er mag ſtrafen, oder weißagen (die beiden Verrich- ungen ſeiner Schriften), wie die Juno, wenn ſie den Ehebrecher belauſcht, oder die Pythiſ- ſe, wenn ſie Weißagungen in Kabbaliſtiſcher Proſe murmelt. Seine Beleſenheit iſt alſo zuſammen gefloſſen, ſo wie die Koͤnigliche Schrift, auf unzuſammenhaͤngend Papier ge- ſchrieben, dies zuerſt thut. — Jndeſſen wuͤrde oft freilich eine kleine naͤhere Anzeige der Spruchſtelle, woruͤber er commentirt, vieles entraͤzeln, aber auch verrathen; und da ich ſelbſt unter die ſtummen Leſer ſeiner Schriften gehoͤre; ſo bin ich nicht in der La- ge,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/163
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/163>, abgerufen am 30.04.2024.