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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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"dung stehen, annehmen wolle. Hier ist das
"Hauptgesezz; man lasse sie in der Ordnung
"folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken
"und dem jedesmaligen Zweck des Redenden
"gemäß ist. Nun kann der Zweck des Re-
"denden in tausend Fällen nur einerlei [sey]n;
"also wird es eine gewisse allgemeine Con-
"struktionsordnung geben; hundertmal aber
"gibt es einen besondern Zweck des Redners,
"und denn ist diejenige Sprache die beste,
"welche räumig genug geschürzt ist, um ihre
"Ordnung nach diesem Zweck wenden zu kön-
"nen. Ein geringes Nachdenken überzeugt
"uns, daß wir in unsern jezzigen Sprachen
"eine Menge besondrer Zwecke gar nicht durch
"die Wortfügung anzuzeigen vermögend sind,
"sondern sie nur aus dem Zusammenhange
"unsrer Gedanken müssen errathen lassen.
"Unvollkommenheit der Sprache!" Ueber
diesen Philosophischen Artikel kann das 11-
13te Fragment ein Commentar seyn, der un-
sern Nachtheil nach der Griechischen und La-
teinischen, aber Vortheil vor der Französi-
schen Sprache zeigt.

Man
L 5

„dung ſtehen, annehmen wolle. Hier iſt das
„Hauptgeſezz; man laſſe ſie in der Ordnung
„folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken
„und dem jedesmaligen Zweck des Redenden
„gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Re-
„denden in tauſend Faͤllen nur einerlei [ſey]n;
„alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Con-
„ſtruktionsordnung geben; hundertmal aber
„gibt es einen beſondern Zweck des Redners,
„und denn iſt diejenige Sprache die beſte,
„welche raͤumig genug geſchuͤrzt iſt, um ihre
„Ordnung nach dieſem Zweck wenden zu koͤn-
„nen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt
„uns, daß wir in unſern jezzigen Sprachen
„eine Menge beſondrer Zwecke gar nicht durch
„die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind,
„ſondern ſie nur aus dem Zuſammenhange
„unſrer Gedanken muͤſſen errathen laſſen.
„Unvollkommenheit der Sprache!„ Ueber
dieſen Philoſophiſchen Artikel kann das 11-
13te Fragment ein Commentar ſeyn, der un-
ſern Nachtheil nach der Griechiſchen und La-
teiniſchen, aber Vortheil vor der Franzoͤſi-
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[169/0173] „dung ſtehen, annehmen wolle. Hier iſt das „Hauptgeſezz; man laſſe ſie in der Ordnung „folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken „und dem jedesmaligen Zweck des Redenden „gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Re- „denden in tauſend Faͤllen nur einerlei ſeyn; „alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Con- „ſtruktionsordnung geben; hundertmal aber „gibt es einen beſondern Zweck des Redners, „und denn iſt diejenige Sprache die beſte, „welche raͤumig genug geſchuͤrzt iſt, um ihre „Ordnung nach dieſem Zweck wenden zu koͤn- „nen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt „uns, daß wir in unſern jezzigen Sprachen „eine Menge beſondrer Zwecke gar nicht durch „die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind, „ſondern ſie nur aus dem Zuſammenhange „unſrer Gedanken muͤſſen errathen laſſen. „Unvollkommenheit der Sprache!„ Ueber dieſen Philoſophiſchen Artikel kann das 11- 13te Fragment ein Commentar ſeyn, der un- ſern Nachtheil nach der Griechiſchen und La- teiniſchen, aber Vortheil vor der Franzoͤſi- ſchen Sprache zeigt. Man L 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/173>, abgerufen am 30.04.2024.