Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Geist der Philosophie war weg. Nun versu-
che man gar die Uebersezzung in eine andere
Sprache: und es wird immer noch mehr ver-
lieren. Die Ursache davon liegt in dem
Karakter der Sprache, die zu dieser Materie
gleichsam die Fugen ihrer Gelenkigkeit ge-
bildet hat, und an dem geschickten Schrift-
steller, der sich in diese Fugen zu schicken
weiß. "Das also Dinge in der einen
"Sprache sich besser ausdrücken lassen, als
"in der andern, kann eines Theils von der
"Subtilität der Gedanken herkommen; zwei-
"tens, daß man an ihre trockne Bezeichnung
"bei dem einen Volk mehr gewöhnt ist,
"als bei dem andern." Theils von dem
Schriftsteller selbst, der als Erfinder der
Gedanken, auch zugleich ein gewisses Haus-
und Herrnrecht über den Ausdruck hat, in
dem selten ein Uebersezzer ihm nachfolgen kann
und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer
des Schriftstellers selbst denkt, theils lieber
aus Furcht den Gedanken dem Worte auf-
opfert. Nach diesen drei Ursachen muß sich
so ziemlich eine Landkarte entwerfen lassen,
wiefern gewisse Materien in gewissen

Sprachen

Geiſt der Philoſophie war weg. Nun verſu-
che man gar die Ueberſezzung in eine andere
Sprache: und es wird immer noch mehr ver-
lieren. Die Urſache davon liegt in dem
Karakter der Sprache, die zu dieſer Materie
gleichſam die Fugen ihrer Gelenkigkeit ge-
bildet hat, und an dem geſchickten Schrift-
ſteller, der ſich in dieſe Fugen zu ſchicken
weiß. „Das alſo Dinge in der einen
„Sprache ſich beſſer ausdruͤcken laſſen, als
„in der andern, kann eines Theils von der
„Subtilitaͤt der Gedanken herkommen; zwei-
„tens, daß man an ihre trockne Bezeichnung
„bei dem einen Volk mehr gewoͤhnt iſt,
„als bei dem andern.„ Theils von dem
Schriftſteller ſelbſt, der als Erfinder der
Gedanken, auch zugleich ein gewiſſes Haus-
und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in
dem ſelten ein Ueberſezzer ihm nachfolgen kann
und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer
des Schriftſtellers ſelbſt denkt, theils lieber
aus Furcht den Gedanken dem Worte auf-
opfert. Nach dieſen drei Urſachen muß ſich
ſo ziemlich eine Landkarte entwerfen laſſen,
wiefern gewiſſe Materien in gewiſſen

Sprachen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0180" n="176"/>
Gei&#x017F;t der Philo&#x017F;ophie war weg. Nun ver&#x017F;u-<lb/>
che man gar die Ueber&#x017F;ezzung in eine andere<lb/>
Sprache: und es wird immer noch mehr ver-<lb/>
lieren. Die Ur&#x017F;ache davon liegt in dem<lb/>
Karakter der Sprache, die zu die&#x017F;er Materie<lb/>
gleich&#x017F;am die Fugen ihrer Gelenkigkeit ge-<lb/>
bildet hat, und an dem ge&#x017F;chickten Schrift-<lb/>
&#x017F;teller, der &#x017F;ich in die&#x017F;e Fugen zu &#x017F;chicken<lb/>
weiß. &#x201E;Das al&#x017F;o Dinge in der einen<lb/>
&#x201E;Sprache &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er ausdru&#x0364;cken la&#x017F;&#x017F;en, als<lb/>
&#x201E;in der andern, kann eines Theils von der<lb/>
&#x201E;Subtilita&#x0364;t der Gedanken herkommen; zwei-<lb/>
&#x201E;tens, daß man an ihre trockne Bezeichnung<lb/>
&#x201E;bei dem einen Volk mehr <hi rendition="#fr">gewo&#x0364;hnt</hi> i&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;als bei dem andern.&#x201E; Theils von dem<lb/>
Schrift&#x017F;teller &#x017F;elb&#x017F;t, der als Erfinder der<lb/>
Gedanken, auch zugleich ein gewi&#x017F;&#x017F;es Haus-<lb/>
und Herrnrecht u&#x0364;ber den Ausdruck hat, in<lb/>
dem &#x017F;elten ein Ueber&#x017F;ezzer ihm nachfolgen kann<lb/>
und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer<lb/>
des Schrift&#x017F;tellers &#x017F;elb&#x017F;t denkt, theils lieber<lb/>
aus Furcht den Gedanken dem Worte auf-<lb/>
opfert. Nach die&#x017F;en drei Ur&#x017F;achen muß &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o ziemlich eine Landkarte entwerfen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wiefern <hi rendition="#fr">gewi&#x017F;&#x017F;e Materien</hi> in <hi rendition="#fr">gewi&#x017F;&#x017F;en</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Sprachen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0180] Geiſt der Philoſophie war weg. Nun verſu- che man gar die Ueberſezzung in eine andere Sprache: und es wird immer noch mehr ver- lieren. Die Urſache davon liegt in dem Karakter der Sprache, die zu dieſer Materie gleichſam die Fugen ihrer Gelenkigkeit ge- bildet hat, und an dem geſchickten Schrift- ſteller, der ſich in dieſe Fugen zu ſchicken weiß. „Das alſo Dinge in der einen „Sprache ſich beſſer ausdruͤcken laſſen, als „in der andern, kann eines Theils von der „Subtilitaͤt der Gedanken herkommen; zwei- „tens, daß man an ihre trockne Bezeichnung „bei dem einen Volk mehr gewoͤhnt iſt, „als bei dem andern.„ Theils von dem Schriftſteller ſelbſt, der als Erfinder der Gedanken, auch zugleich ein gewiſſes Haus- und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in dem ſelten ein Ueberſezzer ihm nachfolgen kann und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer des Schriftſtellers ſelbſt denkt, theils lieber aus Furcht den Gedanken dem Worte auf- opfert. Nach dieſen drei Urſachen muß ſich ſo ziemlich eine Landkarte entwerfen laſſen, wiefern gewiſſe Materien in gewiſſen Sprachen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/180
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/180>, abgerufen am 30.04.2024.