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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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Hause, mächtig ist. Jch betrachte hier die
Sache blos aus dem Gesichtspunkt der Phi-
losophie, zu der doch auch unsre Sprache
vorzüglich sich gebildet hat.

"Eine Sprache, die wenig Unterschied in
"den Zeiten angeben, wenig ohne Hülfs-
"wörter thun, nicht leicht einen Modus für
"den andern sezzen kann, ist nicht sonderlich
"zur Geschichte geschickt, wie z. E. die
"Deutsche. Wir haben gar keinen Begrif
"von den temporibus der Griechischen
"Sprache. Der Deutsche hat selten das
"Gefühl von dem Unterschiede der beiden tem-
"porum praeteritorum
der Franzosen, daß
"aus der Verwechselung oft lächerliche Miß-
"verständnisse entstehen." Jndessen ist diese
Ungemächlichkeit nicht ohne Hülfe, und unbe-
trächtlich so gar. Sie ist nur in einzelnen
Theilen des Perioden: in ganzen Jnversio-
nen haben wir sogar vor dem Franzosen vie-
le Vortheile, und wenn einige große Männer
bei uns die historische Periode in Gang brin-
gen, und selbst als Originale vorleuchten
und locken werden; wenn man statt der Aus-

züge

Hauſe, maͤchtig iſt. Jch betrachte hier die
Sache blos aus dem Geſichtspunkt der Phi-
loſophie, zu der doch auch unſre Sprache
vorzuͤglich ſich gebildet hat.

„Eine Sprache, die wenig Unterſchied in
„den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfs-
„woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr
„den andern ſezzen kann, iſt nicht ſonderlich
„zur Geſchichte geſchickt, wie z. E. die
„Deutſche. Wir haben gar keinen Begrif
„von den temporibus der Griechiſchen
„Sprache. Der Deutſche hat ſelten das
„Gefuͤhl von dem Unterſchiede der beiden tem-
„porum praeteritorum
der Franzoſen, daß
„aus der Verwechſelung oft laͤcherliche Miß-
„verſtaͤndniſſe entſtehen.„ Jndeſſen iſt dieſe
Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbe-
traͤchtlich ſo gar. Sie iſt nur in einzelnen
Theilen des Perioden: in ganzen Jnverſio-
nen haben wir ſogar vor dem Franzoſen vie-
le Vortheile, und wenn einige große Maͤnner
bei uns die hiſtoriſche Periode in Gang brin-
gen, und ſelbſt als Originale vorleuchten
und locken werden; wenn man ſtatt der Aus-

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[178/0182] Hauſe, maͤchtig iſt. Jch betrachte hier die Sache blos aus dem Geſichtspunkt der Phi- loſophie, zu der doch auch unſre Sprache vorzuͤglich ſich gebildet hat. „Eine Sprache, die wenig Unterſchied in „den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfs- „woͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern ſezzen kann, iſt nicht ſonderlich „zur Geſchichte geſchickt, wie z. E. die „Deutſche. Wir haben gar keinen Begrif „von den temporibus der Griechiſchen „Sprache. Der Deutſche hat ſelten das „Gefuͤhl von dem Unterſchiede der beiden tem- „porum praeteritorum der Franzoſen, daß „aus der Verwechſelung oft laͤcherliche Miß- „verſtaͤndniſſe entſtehen.„ Jndeſſen iſt dieſe Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbe- traͤchtlich ſo gar. Sie iſt nur in einzelnen Theilen des Perioden: in ganzen Jnverſio- nen haben wir ſogar vor dem Franzoſen vie- le Vortheile, und wenn einige große Maͤnner bei uns die hiſtoriſche Periode in Gang brin- gen, und ſelbſt als Originale vorleuchten und locken werden; wenn man ſtatt der Aus- zuͤge

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/182>, abgerufen am 30.04.2024.