Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Löwe etc.
kann durch ein Wort malen, und durch die-
se mit einem Zuge entworfne Bilder vielseiti-
ger
sprechen, wenn er sie gegen einander sezzt;
als wir, die diesen Unterscheid blos durch da-
zu gesezzte Bestimmungen deutlich machen.
Die Chöre der Morgenländer können sich in
ihren beiden Gegensäzzen beinahe wiederho-
len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt
durch eine Wendung, oder ein Wort Neu-
heit. Das Kolorit verändert sich, und diese
Veränderung gefällt dem Ohr der Morgen-
länder; hingegen unsre Sprache, die an die-
sen beinahe- Synonymen gefesselt ist, muß
entweder die Wiederholungen ohne diesen
Nebenzug
ausdrücken; und alsdenn sind sie
für unser Ohr verdrießliche Tavtologien;
oder sie drückt sie gar schielend aus, und ver-
irrt sich, wie sehr oft in der Deutschen Bibel-
übersezzung, von der Hauptidee des Gemäl-
des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver-
schiedenheit unsrer Sprachen, und ist schwer
zu vermeiden.

Hieraus erklärt sich, glaube ich, die Be-
merkung unsers Philologischen Sehers in den

Orien-

ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Loͤwe ꝛc.
kann durch ein Wort malen, und durch die-
ſe mit einem Zuge entworfne Bilder vielſeiti-
ger
ſprechen, wenn er ſie gegen einander ſezzt;
als wir, die dieſen Unterſcheid blos durch da-
zu geſezzte Beſtimmungen deutlich machen.
Die Choͤre der Morgenlaͤnder koͤnnen ſich in
ihren beiden Gegenſaͤzzen beinahe wiederho-
len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt
durch eine Wendung, oder ein Wort Neu-
heit. Das Kolorit veraͤndert ſich, und dieſe
Veraͤnderung gefaͤllt dem Ohr der Morgen-
laͤnder; hingegen unſre Sprache, die an die-
ſen beinahe- Synonymen gefeſſelt iſt, muß
entweder die Wiederholungen ohne dieſen
Nebenzug
ausdruͤcken; und alsdenn ſind ſie
fuͤr unſer Ohr verdrießliche Tavtologien;
oder ſie druͤckt ſie gar ſchielend aus, und ver-
irrt ſich, wie ſehr oft in der Deutſchen Bibel-
uͤberſezzung, von der Hauptidee des Gemaͤl-
des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver-
ſchiedenheit unſrer Sprachen, und iſt ſchwer
zu vermeiden.

Hieraus erklaͤrt ſich, glaube ich, die Be-
merkung unſers Philologiſchen Sehers in den

Orien-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0060" n="56"/>
ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Lo&#x0364;we &#xA75B;c.<lb/>
kann durch ein Wort malen, und durch die-<lb/>
&#x017F;e mit einem Zuge entworfne Bilder <hi rendition="#fr">viel&#x017F;eiti-<lb/>
ger</hi> &#x017F;prechen, wenn er &#x017F;ie gegen einander &#x017F;ezzt;<lb/>
als wir, die die&#x017F;en Unter&#x017F;cheid blos durch da-<lb/>
zu ge&#x017F;ezzte Be&#x017F;timmungen deutlich machen.<lb/>
Die Cho&#x0364;re der Morgenla&#x0364;nder ko&#x0364;nnen &#x017F;ich in<lb/>
ihren beiden Gegen&#x017F;a&#x0364;zzen <hi rendition="#fr">beinahe</hi> wiederho-<lb/>
len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt<lb/>
durch eine Wendung, oder ein Wort Neu-<lb/>
heit. Das Kolorit vera&#x0364;ndert &#x017F;ich, und die&#x017F;e<lb/>
Vera&#x0364;nderung gefa&#x0364;llt dem Ohr der Morgen-<lb/>
la&#x0364;nder; hingegen un&#x017F;re Sprache, die an die-<lb/>
&#x017F;en <hi rendition="#fr">beinahe- Synonymen</hi> gefe&#x017F;&#x017F;elt i&#x017F;t, muß<lb/>
entweder die Wiederholungen <hi rendition="#fr">ohne die&#x017F;en<lb/>
Nebenzug</hi> ausdru&#x0364;cken; und alsdenn &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/>
fu&#x0364;r un&#x017F;er Ohr <hi rendition="#fr">verdrießliche</hi> Tavtologien;<lb/>
oder &#x017F;ie dru&#x0364;ckt &#x017F;ie gar <hi rendition="#fr">&#x017F;chielend</hi> aus, und ver-<lb/>
irrt &#x017F;ich, wie &#x017F;ehr oft in der Deut&#x017F;chen Bibel-<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ezzung, von der Hauptidee des Gema&#x0364;l-<lb/>
des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit un&#x017F;rer Sprachen, und i&#x017F;t &#x017F;chwer<lb/>
zu vermeiden.</p><lb/>
          <p>Hieraus erkla&#x0364;rt &#x017F;ich, glaube ich, die Be-<lb/>
merkung un&#x017F;ers Philologi&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Sehers</hi> in den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Orien-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0060] ben bedeuten, z. E. junger, hungriger Loͤwe ꝛc. kann durch ein Wort malen, und durch die- ſe mit einem Zuge entworfne Bilder vielſeiti- ger ſprechen, wenn er ſie gegen einander ſezzt; als wir, die dieſen Unterſcheid blos durch da- zu geſezzte Beſtimmungen deutlich machen. Die Choͤre der Morgenlaͤnder koͤnnen ſich in ihren beiden Gegenſaͤzzen beinahe wiederho- len; allein das Bild, oder die Sentenz bekommt durch eine Wendung, oder ein Wort Neu- heit. Das Kolorit veraͤndert ſich, und dieſe Veraͤnderung gefaͤllt dem Ohr der Morgen- laͤnder; hingegen unſre Sprache, die an die- ſen beinahe- Synonymen gefeſſelt iſt, muß entweder die Wiederholungen ohne dieſen Nebenzug ausdruͤcken; und alsdenn ſind ſie fuͤr unſer Ohr verdrießliche Tavtologien; oder ſie druͤckt ſie gar ſchielend aus, und ver- irrt ſich, wie ſehr oft in der Deutſchen Bibel- uͤberſezzung, von der Hauptidee des Gemaͤl- des. Der Fehler liegt wirklich in der Ver- ſchiedenheit unſrer Sprachen, und iſt ſchwer zu vermeiden. Hieraus erklaͤrt ſich, glaube ich, die Be- merkung unſers Philologiſchen Sehers in den Orien-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/60
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/60>, abgerufen am 29.04.2024.