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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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sche Verstand, der Nachdruck liebet, damit
zufrieden ist. Seine ungemein glückliche Leich-
tigkeit in der Versifikation verführt ihn so
sehr, daß er vergißt, ob seine Wiederholun-
gen auch der Deutschen Sprache angemessen
seyn. Seine Oden -- und sie waren vor
Klopstock und Ramler das Muster der
Deutschen Oden -- sind ja oft ein Geklin-
gel von Reimen, und ich zweifle, ob ein Da-
vid
und Assaph, zu unserer Zeit, in unsrer
Sprache Cramersche Psalmen geschrieben hät-
te? "Er hat sie ja aber übersezzen, nicht
"umbilden wollen?" Gut! so übersezze er
sie als Orientalische Psalmen, mit allem ih-
rem Licht und Schatten; nur umschreiben
muß er nichts; alsdenn ists weit natürlicher
für unser Genie und Sprache, sie zusammen
zu ziehen. Jch urtheile frei, weil ich glaube
so urtheilen zu können und dörfen: Hätte
Michaelis Cramers Versifikation, oder
Cramer Michaelis Geschmack des Orients:
so würden wir erst die Morgenländischen Ge-
dichte nach dem Genie unsrer Sprache, als
einen Deutschen Schatz bewahren können;
jetzt fehlt beiden was.

Aber

ſche Verſtand, der Nachdruck liebet, damit
zufrieden iſt. Seine ungemein gluͤckliche Leich-
tigkeit in der Verſifikation verfuͤhrt ihn ſo
ſehr, daß er vergißt, ob ſeine Wiederholun-
gen auch der Deutſchen Sprache angemeſſen
ſeyn. Seine Oden — und ſie waren vor
Klopſtock und Ramler das Muſter der
Deutſchen Oden — ſind ja oft ein Geklin-
gel von Reimen, und ich zweifle, ob ein Da-
vid
und Aſſaph, zu unſerer Zeit, in unſrer
Sprache Cramerſche Pſalmen geſchrieben haͤt-
te? „Er hat ſie ja aber uͤberſezzen, nicht
umbilden wollen?„ Gut! ſo uͤberſezze er
ſie als Orientaliſche Pſalmen, mit allem ih-
rem Licht und Schatten; nur umſchreiben
muß er nichts; alsdenn iſts weit natuͤrlicher
fuͤr unſer Genie und Sprache, ſie zuſammen
zu ziehen. Jch urtheile frei, weil ich glaube
ſo urtheilen zu koͤnnen und doͤrfen: Haͤtte
Michaelis Cramers Verſifikation, oder
Cramer Michaelis Geſchmack des Orients:
ſo wuͤrden wir erſt die Morgenlaͤndiſchen Ge-
dichte nach dem Genie unſrer Sprache, als
einen Deutſchen Schatz bewahren koͤnnen;
jetzt fehlt beiden was.

Aber
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[58/0062] ſche Verſtand, der Nachdruck liebet, damit zufrieden iſt. Seine ungemein gluͤckliche Leich- tigkeit in der Verſifikation verfuͤhrt ihn ſo ſehr, daß er vergißt, ob ſeine Wiederholun- gen auch der Deutſchen Sprache angemeſſen ſeyn. Seine Oden — und ſie waren vor Klopſtock und Ramler das Muſter der Deutſchen Oden — ſind ja oft ein Geklin- gel von Reimen, und ich zweifle, ob ein Da- vid und Aſſaph, zu unſerer Zeit, in unſrer Sprache Cramerſche Pſalmen geſchrieben haͤt- te? „Er hat ſie ja aber uͤberſezzen, nicht „umbilden wollen?„ Gut! ſo uͤberſezze er ſie als Orientaliſche Pſalmen, mit allem ih- rem Licht und Schatten; nur umſchreiben muß er nichts; alsdenn iſts weit natuͤrlicher fuͤr unſer Genie und Sprache, ſie zuſammen zu ziehen. Jch urtheile frei, weil ich glaube ſo urtheilen zu koͤnnen und doͤrfen: Haͤtte Michaelis Cramers Verſifikation, oder Cramer Michaelis Geſchmack des Orients: ſo wuͤrden wir erſt die Morgenlaͤndiſchen Ge- dichte nach dem Genie unſrer Sprache, als einen Deutſchen Schatz bewahren koͤnnen; jetzt fehlt beiden was. Aber

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/62>, abgerufen am 29.04.2024.