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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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"Adel im Ausdruck. Er fasset jene kurz und
"bündig, und in diesem sucht er sich bestän-
"dig von dem gemeinen zu entfernen. Er
"hatte in seiner Jugend ohnfehlbar die Grund-
"säzze der Beredsamkeit gefasset; allein er be-
"hielt sie hernach, um sie zu brauchen, und
"nicht sich daran zu binden. -- Er ist ein
"Schriftsteller, der aus den Gedanken alles,
"und aus dem Ausdruck nur so viel macht,
"als zu jenen nöthig ist; der seine Jdeen ge-
"nau und bündig fasset und sie durchaus so, wie
"er sie gefasset, ausdrucken will: und hiernach
"müssen sich Ausdruck, Sätze, und deren Ver-
"bindungen, Perioden und deren Beziehungen
"und alles richten. -- Seine Schreib- und
"Denkungsart ist im höchsten Grade Pathetisch.
"Er ist seiner Sprache vollkommen kundig,
"das Blühende, das er durch den Reichthum
"des Ausdrucks, welcher ihm völlig fehlet,
"hätte erhalten können, durch die Wahl der
"nachdrücklichsten Wörter, und durch die Ener-
"gische Beugung und Verbindung derselben
"zu erhalten; und er ist dreust genug, der-
"gleichen zu machen, wo er es nicht vor sich
"findet. Aus diesen Stücken zusammenge-

"nom-

„Adel im Ausdruck. Er faſſet jene kurz und
„buͤndig, und in dieſem ſucht er ſich beſtaͤn-
„dig von dem gemeinen zu entfernen. Er
„hatte in ſeiner Jugend ohnfehlbar die Grund-
„ſaͤzze der Beredſamkeit gefaſſet; allein er be-
„hielt ſie hernach, um ſie zu brauchen, und
„nicht ſich daran zu binden. — Er iſt ein
„Schriftſteller, der aus den Gedanken alles,
„und aus dem Ausdruck nur ſo viel macht,
„als zu jenen noͤthig iſt; der ſeine Jdeen ge-
„nau und buͤndig faſſet und ſie durchaus ſo, wie
„er ſie gefaſſet, ausdrucken will: und hiernach
„muͤſſen ſich Ausdruck, Saͤtze, und deren Ver-
„bindungen, Perioden und deren Beziehungen
„und alles richten. — Seine Schreib- und
„Denkungsart iſt im hoͤchſten Grade Pathetiſch.
„Er iſt ſeiner Sprache vollkommen kundig,
„das Bluͤhende, das er durch den Reichthum
„des Ausdrucks, welcher ihm voͤllig fehlet,
„haͤtte erhalten koͤnnen, durch die Wahl der
„nachdruͤcklichſten Woͤrter, und durch die Ener-
„giſche Beugung und Verbindung derſelben
„zu erhalten; und er iſt dreuſt genug, der-
„gleichen zu machen, wo er es nicht vor ſich
„findet. Aus dieſen Stuͤcken zuſammenge-

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[76/0080] „Adel im Ausdruck. Er faſſet jene kurz und „buͤndig, und in dieſem ſucht er ſich beſtaͤn- „dig von dem gemeinen zu entfernen. Er „hatte in ſeiner Jugend ohnfehlbar die Grund- „ſaͤzze der Beredſamkeit gefaſſet; allein er be- „hielt ſie hernach, um ſie zu brauchen, und „nicht ſich daran zu binden. — Er iſt ein „Schriftſteller, der aus den Gedanken alles, „und aus dem Ausdruck nur ſo viel macht, „als zu jenen noͤthig iſt; der ſeine Jdeen ge- „nau und buͤndig faſſet und ſie durchaus ſo, wie „er ſie gefaſſet, ausdrucken will: und hiernach „muͤſſen ſich Ausdruck, Saͤtze, und deren Ver- „bindungen, Perioden und deren Beziehungen „und alles richten. — Seine Schreib- und „Denkungsart iſt im hoͤchſten Grade Pathetiſch. „Er iſt ſeiner Sprache vollkommen kundig, „das Bluͤhende, das er durch den Reichthum „des Ausdrucks, welcher ihm voͤllig fehlet, „haͤtte erhalten koͤnnen, durch die Wahl der „nachdruͤcklichſten Woͤrter, und durch die Ener- „giſche Beugung und Verbindung derſelben „zu erhalten; und er iſt dreuſt genug, der- „gleichen zu machen, wo er es nicht vor ſich „findet. Aus dieſen Stuͤcken zuſammenge- „nom-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/80>, abgerufen am 29.04.2024.