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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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"er überzeugen wollte, in ihre Elementtheile
"aufzulösen, so wie man die harten Speisen
"zerhackt, um sie für schwächliche Magen
"etwas verdaulicher zu machen. Er fieng
"sodann von dem Bekanntesten an, das
"sein Gegner einzuräumen nicht umhin konn-
"te, lockte ihm ein Geständniß nach dem an-
"dern ab, und ganz unvermerkt befand er
"sich am Ziele. Es gehört freilich kein ge-
"meines Talent dazu, sich diese Manier ei-
"gen zu machen, und selbst einem Cicero ist
"sie nicht sonderlich gelungen." Freilich ge-
hört zu ihr kein gemeines Talent, und unter
den Neuern weiß ich vorzüglich nur einen
Shaftesburi, der sie vom Plato ziemlich
abgelernet, so wie er selbst wieder der Lehrer
des Diderot zu seyn scheint. Warum wol-
len wir aber nicht aus der Quelle selbst schö-
pfen, da diese Art zu dialogiren der Sprache
selbst viele Biegsamkeit, Abwechselung und
Munterkeit ertheilt? Unter den Deutschen
bat sie Leßing vorzüglich in seiner Gewalt:
sowohl in den Lustspielen, als der Fabel.



10. Und

„er uͤberzeugen wollte, in ihre Elementtheile
„aufzuloͤſen, ſo wie man die harten Speiſen
„zerhackt, um ſie fuͤr ſchwaͤchliche Magen
„etwas verdaulicher zu machen. Er fieng
„ſodann von dem Bekannteſten an, das
„ſein Gegner einzuraͤumen nicht umhin konn-
„te, lockte ihm ein Geſtaͤndniß nach dem an-
„dern ab, und ganz unvermerkt befand er
„ſich am Ziele. Es gehoͤrt freilich kein ge-
„meines Talent dazu, ſich dieſe Manier ei-
„gen zu machen, und ſelbſt einem Cicero iſt
„ſie nicht ſonderlich gelungen.„ Freilich ge-
hoͤrt zu ihr kein gemeines Talent, und unter
den Neuern weiß ich vorzuͤglich nur einen
Shaftesburi, der ſie vom Plato ziemlich
abgelernet, ſo wie er ſelbſt wieder der Lehrer
des Diderot zu ſeyn ſcheint. Warum wol-
len wir aber nicht aus der Quelle ſelbſt ſchoͤ-
pfen, da dieſe Art zu dialogiren der Sprache
ſelbſt viele Biegſamkeit, Abwechſelung und
Munterkeit ertheilt? Unter den Deutſchen
bat ſie Leßing vorzuͤglich in ſeiner Gewalt:
ſowohl in den Luſtſpielen, als der Fabel.



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[80/0084] „er uͤberzeugen wollte, in ihre Elementtheile „aufzuloͤſen, ſo wie man die harten Speiſen „zerhackt, um ſie fuͤr ſchwaͤchliche Magen „etwas verdaulicher zu machen. Er fieng „ſodann von dem Bekannteſten an, das „ſein Gegner einzuraͤumen nicht umhin konn- „te, lockte ihm ein Geſtaͤndniß nach dem an- „dern ab, und ganz unvermerkt befand er „ſich am Ziele. Es gehoͤrt freilich kein ge- „meines Talent dazu, ſich dieſe Manier ei- „gen zu machen, und ſelbſt einem Cicero iſt „ſie nicht ſonderlich gelungen.„ Freilich ge- hoͤrt zu ihr kein gemeines Talent, und unter den Neuern weiß ich vorzuͤglich nur einen Shaftesburi, der ſie vom Plato ziemlich abgelernet, ſo wie er ſelbſt wieder der Lehrer des Diderot zu ſeyn ſcheint. Warum wol- len wir aber nicht aus der Quelle ſelbſt ſchoͤ- pfen, da dieſe Art zu dialogiren der Sprache ſelbſt viele Biegſamkeit, Abwechſelung und Munterkeit ertheilt? Unter den Deutſchen bat ſie Leßing vorzuͤglich in ſeiner Gewalt: ſowohl in den Luſtſpielen, als der Fabel. 10. Und

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/84>, abgerufen am 29.04.2024.