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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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Oden des Pindars, und in die Aeolische
Schriftsteller hat einweben können: so woll-
ten wir zu den Franzosen laut sagen, was
wir seit kurzem haben anfangen können zu
sagen: Jhr sagt! meine Sprache schände
mich! sehet zu, daß ihr nicht die eurige schän-
det: wie einst der Königl. Scythe Anachar-
sis, gegen die Griechen sein Vaterland ver-
theidigte.

Zweitens: wir haben mehr Hauche in un-
serer Sprache, als sie: und die Aspiration
gehört so sehr zum Lieblichen der Rede, als
der Seufzer zu den zärtlichen Worten des
Liebhabers, als der schmeichelnde West, zum
Ergötzen des Frühlings: denn mit diesen hat
sie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen,
zärtlichen, angenehmen
Wörter durch: sie
empfehlen sich alle durch ein sanftes h oder ch,
das uns die rauhern Völker so übel nachspre-
chen können, die das H, wie z. E. die Rus-
sen, in ein scharfes G, das weiche ch, in ein
rauhes cch, fast wie das Ain der Hebräer aus-
stoßen müssen: daher das H bei einigen Völ-
kern das Schibolet ist, woran man kennen
kann, daß sie gebohrne Gergesener sind: da

die

Oden des Pindars, und in die Aeoliſche
Schriftſteller hat einweben koͤnnen: ſo woll-
ten wir zu den Franzoſen laut ſagen, was
wir ſeit kurzem haben anfangen koͤnnen zu
ſagen: Jhr ſagt! meine Sprache ſchaͤnde
mich! ſehet zu, daß ihr nicht die eurige ſchaͤn-
det: wie einſt der Koͤnigl. Scythe Anachar-
ſis, gegen die Griechen ſein Vaterland ver-
theidigte.

Zweitens: wir haben mehr Hauche in un-
ſerer Sprache, als ſie: und die Aſpiration
gehoͤrt ſo ſehr zum Lieblichen der Rede, als
der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des
Liebhabers, als der ſchmeichelnde Weſt, zum
Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit dieſen hat
ſie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen,
zaͤrtlichen, angenehmen
Woͤrter durch: ſie
empfehlen ſich alle durch ein ſanftes h oder ch,
das uns die rauhern Voͤlker ſo uͤbel nachſpre-
chen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Ruſ-
ſen, in ein ſcharfes G, das weiche ch, in ein
rauhes cch, faſt wie das Ain der Hebraͤer aus-
ſtoßen muͤſſen: daher das H bei einigen Voͤl-
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kann, daß ſie gebohrne Gergeſener ſind: da

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[90/0094] Oden des Pindars, und in die Aeoliſche Schriftſteller hat einweben koͤnnen: ſo woll- ten wir zu den Franzoſen laut ſagen, was wir ſeit kurzem haben anfangen koͤnnen zu ſagen: Jhr ſagt! meine Sprache ſchaͤnde mich! ſehet zu, daß ihr nicht die eurige ſchaͤn- det: wie einſt der Koͤnigl. Scythe Anachar- ſis, gegen die Griechen ſein Vaterland ver- theidigte. Zweitens: wir haben mehr Hauche in un- ſerer Sprache, als ſie: und die Aſpiration gehoͤrt ſo ſehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des Liebhabers, als der ſchmeichelnde Weſt, zum Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit dieſen hat ſie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen, zaͤrtlichen, angenehmen Woͤrter durch: ſie empfehlen ſich alle durch ein ſanftes h oder ch, das uns die rauhern Voͤlker ſo uͤbel nachſpre- chen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Ruſ- ſen, in ein ſcharfes G, das weiche ch, in ein rauhes cch, faſt wie das Ain der Hebraͤer aus- ſtoßen muͤſſen: daher das H bei einigen Voͤl- kern das Schibolet iſt, woran man kennen kann, daß ſie gebohrne Gergeſener ſind: da die

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/94>, abgerufen am 29.04.2024.