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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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Auf dem Gipfel jener Riesenmaschine war lei-
der! die Aufopferung oft Kleinigkeit, oft
Noth, oft (arme Menschheit, welcher Zu-
stände bist du fähig!) oft Wohlthat. Eben
die Maschine, die weitreichende Laster möglich
machte, wars, die auch Tugenden so hoch
hob, Würksamkeit
so weit ausbreitete: ist
die Menschheit überhaupt in Einem jetzigen
Zustande reiner Vollkommenheit fähig?
Gipfel gränzt an Thal. Um edle Spartaner
wohnen unmenschlich behandelte Heloten. Der
römische Triumphator mit Götterröthe ge-
färbt ist unsichtbar auch mit Blute getüncht:
Raub, Frevel
und Wollüste sind um seinen
Wagen: vor ihm her Unterdrückung: Elend
und Armuth zieht ihm nach. -- Mangel
und Tugend wohnen also auch in diesem Ver-
stande in einer menschlichen Hütte immer bey-
sammen.

Schöne Dichtkunst, ein Lieblingsvolk der
Erde, in übermenschlichem Glanze zu zaubern --
auch ist die Dichtkunst nützlich, denn der
Mensch wird auch durch schöne Vorurtheile
veredelt -- aber wenn der Dichter ein Ge-
schichtschreiber,
ein Philosoph ist, wie es
die meisten zu seyn vorgeben, und die denn

nach



Auf dem Gipfel jener Rieſenmaſchine war lei-
der! die Aufopferung oft Kleinigkeit, oft
Noth, oft (arme Menſchheit, welcher Zu-
ſtaͤnde biſt du faͤhig!) oft Wohlthat. Eben
die Maſchine, die weitreichende Laſter moͤglich
machte, wars, die auch Tugenden ſo hoch
hob, Wuͤrkſamkeit
ſo weit ausbreitete: iſt
die Menſchheit uͤberhaupt in Einem jetzigen
Zuſtande reiner Vollkommenheit faͤhig?
Gipfel graͤnzt an Thal. Um edle Spartaner
wohnen unmenſchlich behandelte Heloten. Der
roͤmiſche Triumphator mit Goͤtterroͤthe ge-
faͤrbt iſt unſichtbar auch mit Blute getuͤncht:
Raub, Frevel
und Wolluͤſte ſind um ſeinen
Wagen: vor ihm her Unterdruͤckung: Elend
und Armuth zieht ihm nach. — Mangel
und Tugend wohnen alſo auch in dieſem Ver-
ſtande in einer menſchlichen Huͤtte immer bey-
ſammen.

Schoͤne Dichtkunſt, ein Lieblingsvolk der
Erde, in uͤbermenſchlichem Glanze zu zaubern —
auch iſt die Dichtkunſt nuͤtzlich, denn der
Menſch wird auch durch ſchoͤne Vorurtheile
veredelt — aber wenn der Dichter ein Ge-
ſchichtſchreiber,
ein Philoſoph iſt, wie es
die meiſten zu ſeyn vorgeben, und die denn

nach
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[54/0058] Auf dem Gipfel jener Rieſenmaſchine war lei- der! die Aufopferung oft Kleinigkeit, oft Noth, oft (arme Menſchheit, welcher Zu- ſtaͤnde biſt du faͤhig!) oft Wohlthat. Eben die Maſchine, die weitreichende Laſter moͤglich machte, wars, die auch Tugenden ſo hoch hob, Wuͤrkſamkeit ſo weit ausbreitete: iſt die Menſchheit uͤberhaupt in Einem jetzigen Zuſtande reiner Vollkommenheit faͤhig? Gipfel graͤnzt an Thal. Um edle Spartaner wohnen unmenſchlich behandelte Heloten. Der roͤmiſche Triumphator mit Goͤtterroͤthe ge- faͤrbt iſt unſichtbar auch mit Blute getuͤncht: Raub, Frevel und Wolluͤſte ſind um ſeinen Wagen: vor ihm her Unterdruͤckung: Elend und Armuth zieht ihm nach. — Mangel und Tugend wohnen alſo auch in dieſem Ver- ſtande in einer menſchlichen Huͤtte immer bey- ſammen. Schoͤne Dichtkunſt, ein Lieblingsvolk der Erde, in uͤbermenſchlichem Glanze zu zaubern — auch iſt die Dichtkunſt nuͤtzlich, denn der Menſch wird auch durch ſchoͤne Vorurtheile veredelt — aber wenn der Dichter ein Ge- ſchichtſchreiber, ein Philoſoph iſt, wie es die meiſten zu ſeyn vorgeben, und die denn nach

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/58>, abgerufen am 19.04.2024.