Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

bendigen, nur Bewegung und Gefühl ahndenden
Volke. Bei allen Wilden oder Halbwilden sind
daher die Statuen belebt, Dämonisch, voll
Gottheit und Geistes, zumal wenn sie in Stille,
in heiliger Dämmerung angebetet werden, und
man ihre Stimme und Antwort erwartet. Noch
jetzt wandelt uns ein Gefühl der Art an in jedem
stillen Museum oder Coliseum voll Götter und
Helden: unvermerkt, wenn man unter ihnen al-
lein ist und wie voll Andacht an sie gehet, bele-
ben sie sich, und man ist auf ihrem Grunde in
die Zeiten gerückt, da sie noch lebten und das
Alles Wahrheit war, was jetzt als Mythologie
und Statue dastehet. Der Gott Jsraels wußte
sein sinnliches Volk vor Bildern und Statuen
nicht gnug zu bewahren: war das Bild da, so
war auch seinen Sinnen der Dämon da, ders
belebte, und die Abgötterei unvermeidlich. Wir
Vernunftleute lesen jetzt die eifrigen und bewei-
senden Stellen der Propheten gegen die Abgötte-
rei mit Verwunderung und fast mit Befremden;
die Geschichte des Volks aber und aller Völker
beweisets, wie nöthig sie waren. Nichts hält die
Sinnlichkeit stärker an sich, als ein Abgott, er
sei lebendig oder todt, gnug, daß er da ist und
man zu ihm gehen kann und von ihm Glück und
Unglück erwarten. "Er hört ja unsre Gebete, er
"nahm ja unsre Opfer an: warum sollts nicht sein

"gewe-

bendigen, nur Bewegung und Gefuͤhl ahndenden
Volke. Bei allen Wilden oder Halbwilden ſind
daher die Statuen belebt, Daͤmoniſch, voll
Gottheit und Geiſtes, zumal wenn ſie in Stille,
in heiliger Daͤmmerung angebetet werden, und
man ihre Stimme und Antwort erwartet. Noch
jetzt wandelt uns ein Gefuͤhl der Art an in jedem
ſtillen Muſeum oder Coliſeum voll Goͤtter und
Helden: unvermerkt, wenn man unter ihnen al-
lein iſt und wie voll Andacht an ſie gehet, bele-
ben ſie ſich, und man iſt auf ihrem Grunde in
die Zeiten geruͤckt, da ſie noch lebten und das
Alles Wahrheit war, was jetzt als Mythologie
und Statue daſtehet. Der Gott Jſraels wußte
ſein ſinnliches Volk vor Bildern und Statuen
nicht gnug zu bewahren: war das Bild da, ſo
war auch ſeinen Sinnen der Daͤmon da, ders
belebte, und die Abgoͤtterei unvermeidlich. Wir
Vernunftleute leſen jetzt die eifrigen und bewei-
ſenden Stellen der Propheten gegen die Abgoͤtte-
rei mit Verwunderung und faſt mit Befremden;
die Geſchichte des Volks aber und aller Voͤlker
beweiſets, wie noͤthig ſie waren. Nichts haͤlt die
Sinnlichkeit ſtaͤrker an ſich, als ein Abgott, er
ſei lebendig oder todt, gnug, daß er da iſt und
man zu ihm gehen kann und von ihm Gluͤck und
Ungluͤck erwarten. „Er hoͤrt ja unſre Gebete, er
„nahm ja unſre Opfer an: warum ſollts nicht ſein

„gewe-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0121" n="118"/>
bendigen, nur Bewegung und Gefu&#x0364;hl ahndenden<lb/>
Volke. Bei allen Wilden oder Halbwilden &#x017F;ind<lb/>
daher die Statuen <hi rendition="#fr">belebt, Da&#x0364;moni&#x017F;ch</hi>, voll<lb/>
Gottheit und Gei&#x017F;tes, zumal wenn &#x017F;ie in Stille,<lb/>
in heiliger Da&#x0364;mmerung angebetet werden, und<lb/>
man ihre Stimme und Antwort erwartet. Noch<lb/>
jetzt wandelt uns ein Gefu&#x0364;hl der Art an in jedem<lb/>
&#x017F;tillen Mu&#x017F;eum oder Coli&#x017F;eum voll Go&#x0364;tter und<lb/>
Helden: unvermerkt, wenn man unter ihnen al-<lb/>
lein i&#x017F;t und wie voll Andacht an &#x017F;ie gehet, bele-<lb/>
ben &#x017F;ie &#x017F;ich, und man i&#x017F;t auf ihrem Grunde in<lb/>
die Zeiten geru&#x0364;ckt, da &#x017F;ie noch lebten und das<lb/>
Alles Wahrheit war, was jetzt als Mythologie<lb/>
und Statue da&#x017F;tehet. Der Gott J&#x017F;raels wußte<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;innliches Volk vor Bildern und Statuen<lb/>
nicht gnug zu bewahren: war das Bild da, &#x017F;o<lb/>
war auch &#x017F;einen Sinnen der Da&#x0364;mon da, ders<lb/>
belebte, und die Abgo&#x0364;tterei unvermeidlich. Wir<lb/>
Vernunftleute le&#x017F;en jetzt die eifrigen und bewei-<lb/>
&#x017F;enden Stellen der Propheten gegen die Abgo&#x0364;tte-<lb/>
rei mit Verwunderung und fa&#x017F;t mit Befremden;<lb/>
die Ge&#x017F;chichte des Volks aber und aller Vo&#x0364;lker<lb/>
bewei&#x017F;ets, wie no&#x0364;thig &#x017F;ie waren. Nichts ha&#x0364;lt die<lb/>
Sinnlichkeit &#x017F;ta&#x0364;rker an &#x017F;ich, als ein Abgott, er<lb/>
&#x017F;ei lebendig oder todt, gnug, daß er da i&#x017F;t und<lb/>
man zu ihm gehen kann und von ihm Glu&#x0364;ck und<lb/>
Unglu&#x0364;ck erwarten. &#x201E;Er ho&#x0364;rt ja un&#x017F;re Gebete, er<lb/>
&#x201E;nahm ja un&#x017F;re Opfer an: warum &#x017F;ollts nicht <hi rendition="#fr">&#x017F;ein</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;gewe-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0121] bendigen, nur Bewegung und Gefuͤhl ahndenden Volke. Bei allen Wilden oder Halbwilden ſind daher die Statuen belebt, Daͤmoniſch, voll Gottheit und Geiſtes, zumal wenn ſie in Stille, in heiliger Daͤmmerung angebetet werden, und man ihre Stimme und Antwort erwartet. Noch jetzt wandelt uns ein Gefuͤhl der Art an in jedem ſtillen Muſeum oder Coliſeum voll Goͤtter und Helden: unvermerkt, wenn man unter ihnen al- lein iſt und wie voll Andacht an ſie gehet, bele- ben ſie ſich, und man iſt auf ihrem Grunde in die Zeiten geruͤckt, da ſie noch lebten und das Alles Wahrheit war, was jetzt als Mythologie und Statue daſtehet. Der Gott Jſraels wußte ſein ſinnliches Volk vor Bildern und Statuen nicht gnug zu bewahren: war das Bild da, ſo war auch ſeinen Sinnen der Daͤmon da, ders belebte, und die Abgoͤtterei unvermeidlich. Wir Vernunftleute leſen jetzt die eifrigen und bewei- ſenden Stellen der Propheten gegen die Abgoͤtte- rei mit Verwunderung und faſt mit Befremden; die Geſchichte des Volks aber und aller Voͤlker beweiſets, wie noͤthig ſie waren. Nichts haͤlt die Sinnlichkeit ſtaͤrker an ſich, als ein Abgott, er ſei lebendig oder todt, gnug, daß er da iſt und man zu ihm gehen kann und von ihm Gluͤck und Ungluͤck erwarten. „Er hoͤrt ja unſre Gebete, er „nahm ja unſre Opfer an: warum ſollts nicht ſein „gewe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/121
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Plastik. Riga u. a., 1778, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_plastik_1778/121>, abgerufen am 29.03.2024.