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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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bebaute Flächen steigen im Werthe durch den Kranz von Cultur,
der um sie gelegt wird. Eine in ihrer Einfachheit geniale
Bodenspeculation war die der Pariser Stadterweiterer, welche
die Neubauten nicht an die letzten Häuser der Stadt unmittelbar
anschlossen, sondern die angrenzenden Grundstücke aufkauften
und am äusseren Rande zu bauen anfingen. Durch diesen
umgekehrten Baugang wuchs der Werth der Hausparzellen
ungemein rasch und statt immer wieder die letzten Häuser der
Stadt zu errichten, bauten sie, nachdem der Rand fertig war,
nur noch mitten in der Stadt, also auf werthvolleren Parzellen.

Wird die Company selbst bauen oder freien Architekten
ihre Aufträge geben? Sie kann beides, sie wird beides thun.
Sie hat, wie sich bald zeigen wird, einen gewaltigen Vorrath
an Arbeitskräften, die durchaus nicht capitalsmässig bewuchert
werden sollen, die in glückliche und heitere Bedingungen
des Lebens gebracht und doch nicht theuer sein werden. Für
Baumaterial haben unsere Geologen gesorgt, als sie die Bauplätze
für die Städte suchten.

Welches wird nun das Bauprincip sein?



Arbeiterwohnungen.

Die Arbeiterwohnungen (worunter die Wohnungen aller
Handarbeiter begriffen sind) sollen in eigener Regie hergestellt
werden. Ich denke keineswegs an die traurigen Arbeiterkasernen
der europäischen Städte und nicht an die kümmerlichen Hütten,
die um Fabriken herum in Reih' und Glied stehen. Unsere
Arbeiterhäuser müssen zwar auch einförmig aussehen - weil
die Company nur billig bauen kann, wenn sie die Baubestandtheile
in grossen Massen herstellt - aber diese einzelnen
Häuser mit ihren Gärtchen sollen an jedem Orte zu schönen
Gesammtkörpern vereinigt werden. Die natürliche Beschaffenheit
der Gegend wird das frohe Genie unserer jungen, nicht in der
Routine befangenen Architekten anregen, und wenn das Volk
auch nicht den grossen Zug des Ganzen verstehen wird, so wird
es sich doch wohlfühlen in dieser leichten Gruppirung. Der
Tempel wird weithin sichtbar darin stehen, weil uns ja nur der
alte Glaube zusammengehalten hat. Und freundliche, helle, gesunde
Schulen für Kinder mit allen modernen Lehrmitteln. Ferner
Handwerker-Fortbildungsschulen, die aufsteigend nach höheren

bebaute Flächen steigen im Werthe durch den Kranz von Cultur,
der um sie gelegt wird. Eine in ihrer Einfachheit geniale
Bodenspeculation war die der Pariser Stadterweiterer, welche
die Neubauten nicht an die letzten Häuser der Stadt unmittelbar
anschlossen, sondern die angrenzenden Grundstücke aufkauften
und am äusseren Rande zu bauen anfingen. Durch diesen
umgekehrten Baugang wuchs der Werth der Hausparzellen
ungemein rasch und statt immer wieder die letzten Häuser der
Stadt zu errichten, bauten sie, nachdem der Rand fertig war,
nur noch mitten in der Stadt, also auf werthvolleren Parzellen.

Wird die Company selbst bauen oder freien Architekten
ihre Aufträge geben? Sie kann beides, sie wird beides thun.
Sie hat, wie sich bald zeigen wird, einen gewaltigen Vorrath
an Arbeitskräften, die durchaus nicht capitalsmässig bewuchert
werden sollen, die in glückliche und heitere Bedingungen
des Lebens gebracht und doch nicht theuer sein werden. Für
Baumaterial haben unsere Geologen gesorgt, als sie die Bauplätze
für die Städte suchten.

Welches wird nun das Bauprincip sein?



Arbeiterwohnungen.

Die Arbeiterwohnungen (worunter die Wohnungen aller
Handarbeiter begriffen sind) sollen in eigener Regie hergestellt
werden. Ich denke keineswegs an die traurigen Arbeiterkasernen
der europäischen Städte und nicht an die kümmerlichen Hütten,
die um Fabriken herum in Reih' und Glied stehen. Unsere
Arbeiterhäuser müssen zwar auch einförmig aussehen – weil
die Company nur billig bauen kann, wenn sie die Baubestandtheile
in grossen Massen herstellt – aber diese einzelnen
Häuser mit ihren Gärtchen sollen an jedem Orte zu schönen
Gesammtkörpern vereinigt werden. Die natürliche Beschaffenheit
der Gegend wird das frohe Genie unserer jungen, nicht in der
Routine befangenen Architekten anregen, und wenn das Volk
auch nicht den grossen Zug des Ganzen verstehen wird, so wird
es sich doch wohlfühlen in dieser leichten Gruppirung. Der
Tempel wird weithin sichtbar darin stehen, weil uns ja nur der
alte Glaube zusammengehalten hat. Und freundliche, helle, gesunde
Schulen für Kinder mit allen modernen Lehrmitteln. Ferner
Handwerker-Fortbildungsschulen, die aufsteigend nach höheren

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[0036] bebaute Flächen steigen im Werthe durch den Kranz von Cultur, der um sie gelegt wird. Eine in ihrer Einfachheit geniale Bodenspeculation war die der Pariser Stadterweiterer, welche die Neubauten nicht an die letzten Häuser der Stadt unmittelbar anschlossen, sondern die angrenzenden Grundstücke aufkauften und am äusseren Rande zu bauen anfingen. Durch diesen umgekehrten Baugang wuchs der Werth der Hausparzellen ungemein rasch und statt immer wieder die letzten Häuser der Stadt zu errichten, bauten sie, nachdem der Rand fertig war, nur noch mitten in der Stadt, also auf werthvolleren Parzellen. Wird die Company selbst bauen oder freien Architekten ihre Aufträge geben? Sie kann beides, sie wird beides thun. Sie hat, wie sich bald zeigen wird, einen gewaltigen Vorrath an Arbeitskräften, die durchaus nicht capitalsmässig bewuchert werden sollen, die in glückliche und heitere Bedingungen des Lebens gebracht und doch nicht theuer sein werden. Für Baumaterial haben unsere Geologen gesorgt, als sie die Bauplätze für die Städte suchten. Welches wird nun das Bauprincip sein? Arbeiterwohnungen. Die Arbeiterwohnungen (worunter die Wohnungen aller Handarbeiter begriffen sind) sollen in eigener Regie hergestellt werden. Ich denke keineswegs an die traurigen Arbeiterkasernen der europäischen Städte und nicht an die kümmerlichen Hütten, die um Fabriken herum in Reih' und Glied stehen. Unsere Arbeiterhäuser müssen zwar auch einförmig aussehen – weil die Company nur billig bauen kann, wenn sie die Baubestandtheile in grossen Massen herstellt – aber diese einzelnen Häuser mit ihren Gärtchen sollen an jedem Orte zu schönen Gesammtkörpern vereinigt werden. Die natürliche Beschaffenheit der Gegend wird das frohe Genie unserer jungen, nicht in der Routine befangenen Architekten anregen, und wenn das Volk auch nicht den grossen Zug des Ganzen verstehen wird, so wird es sich doch wohlfühlen in dieser leichten Gruppirung. Der Tempel wird weithin sichtbar darin stehen, weil uns ja nur der alte Glaube zusammengehalten hat. Und freundliche, helle, gesunde Schulen für Kinder mit allen modernen Lehrmitteln. Ferner Handwerker-Fortbildungsschulen, die aufsteigend nach höheren

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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/36>, abgerufen am 28.03.2024.