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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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darauf einrichten. Zeigen wir das an einem Beispiel. Die
Firma X hat ein grosses Modewaarengeschäft. Der Inhaber
will auswandern. Er etablirt zunächst an seinem künftigen
Wohnort eine Filiale, an die er seine ausgemusterte Waare
abgibt. Die armen ersten Auswanderer sind drüben seine Kundschaft.
Allmälig ziehen Leute hinüber, die höhere Modebedürfnisse
haben. Nun schickt X neuere Sachen, und endlich die
neuesten. Die Filiale wird selbst schon einträglich, während
das Hauptgeschäft noch besteht. Endlich hat X zwei Geschäfte.
Das alte verkauft er, oder gibt er seinem christlichen Vertreter
zur Führung; er selbst begibt sich hinüber in sein neues.

Ein grösseres Beispiel: Y & Sohn haben ein ausgedehntes
Kohlengeschäft mit Bergwerken und Fabriken. Wie ist solch
ein riesiger Vermögenscomplex zu liquidiren? Das Kohlenbergwerk
mit allem was drum und dran, kann erstens vom Staat,
in dem es liegt, eingelöst werden. Zweitens kann es die Jewish
Company erwerben, und den Kaufpreis theils in Ländereien
drüben, theils in Baargeld bezahlen. Eine dritte Möglichkeit
wäre die Gründung einer eigenen Actiengesellschaft "Y & Sohn".
Eine vierte, der Weiterbetrieb in der bisherigen Weise, nur
wären die ausgewanderten Eigenthümer, auch wenn sie gelegentlich
zur Inspection ihrer Güter zurückkehren, Ausländer, als
die sie ja in civilisirten Staaten auch den vollen Rechtsschutz
geniessen. Dies Alles sieht man ja täglich im Leben. Eine
fünfte, besonders fruchtbare und grossartige Möglichkeit deute
ich nur an, weil es dafür im Leben erst wenige, schwache
Beispiele gibt, wie nahe das unserem modernen Bewusstsein
auch schon liege. Y & Sohn können ihr Unternehmen ihren
sämmtlichen jetzigen Angestellten gegen Entgelt übergeben. Die
Angestellten treten zu einer Genossenschaft mit beschränkter
Haftung zusammen und können vielleicht mit Hilfe der Landescasse,
die keine Wucherzinsen nimmt, die Ablösungssumme an
Y & Sohn auszahlen. Die Angestellten amortisiren dann das
Darlehen, welches ihnen von ihrer Landescasse, von der Jewish
Company oder von Y & Sohn selbst gewährt wurde.

Die Jewish Company liquidirt die Kleinsten wie die Grössten.
Und während die Juden ruhig wandern, sich die neue Heimat
gründen, steht die Company als die grosse juristische Person
da, welche den Abzug leitet, die verlassenen Güter hütet, für
die gute Ordnung des Abwickelns mit ihrem sichtbaren, greifbaren
Vermögen haftet und für die schon Ausgewanderten
dauernd bürgt.



darauf einrichten. Zeigen wir das an einem Beispiel. Die
Firma X hat ein grosses Modewaarengeschäft. Der Inhaber
will auswandern. Er etablirt zunächst an seinem künftigen
Wohnort eine Filiale, an die er seine ausgemusterte Waare
abgibt. Die armen ersten Auswanderer sind drüben seine Kundschaft.
Allmälig ziehen Leute hinüber, die höhere Modebedürfnisse
haben. Nun schickt X neuere Sachen, und endlich die
neuesten. Die Filiale wird selbst schon einträglich, während
das Hauptgeschäft noch besteht. Endlich hat X zwei Geschäfte.
Das alte verkauft er, oder gibt er seinem christlichen Vertreter
zur Führung; er selbst begibt sich hinüber in sein neues.

Ein grösseres Beispiel: Y & Sohn haben ein ausgedehntes
Kohlengeschäft mit Bergwerken und Fabriken. Wie ist solch
ein riesiger Vermögenscomplex zu liquidiren? Das Kohlenbergwerk
mit allem was drum und dran, kann erstens vom Staat,
in dem es liegt, eingelöst werden. Zweitens kann es die Jewish
Company erwerben, und den Kaufpreis theils in Ländereien
drüben, theils in Baargeld bezahlen. Eine dritte Möglichkeit
wäre die Gründung einer eigenen Actiengesellschaft „Y & Sohn“.
Eine vierte, der Weiterbetrieb in der bisherigen Weise, nur
wären die ausgewanderten Eigenthümer, auch wenn sie gelegentlich
zur Inspection ihrer Güter zurückkehren, Ausländer, als
die sie ja in civilisirten Staaten auch den vollen Rechtsschutz
geniessen. Dies Alles sieht man ja täglich im Leben. Eine
fünfte, besonders fruchtbare und grossartige Möglichkeit deute
ich nur an, weil es dafür im Leben erst wenige, schwache
Beispiele gibt, wie nahe das unserem modernen Bewusstsein
auch schon liege. Y & Sohn können ihr Unternehmen ihren
sämmtlichen jetzigen Angestellten gegen Entgelt übergeben. Die
Angestellten treten zu einer Genossenschaft mit beschränkter
Haftung zusammen und können vielleicht mit Hilfe der Landescasse,
die keine Wucherzinsen nimmt, die Ablösungssumme an
Y & Sohn auszahlen. Die Angestellten amortisiren dann das
Darlehen, welches ihnen von ihrer Landescasse, von der Jewish
Company oder von Y & Sohn selbst gewährt wurde.

Die Jewish Company liquidirt die Kleinsten wie die Grössten.
Und während die Juden ruhig wandern, sich die neue Heimat
gründen, steht die Company als die grosse juristische Person
da, welche den Abzug leitet, die verlassenen Güter hütet, für
die gute Ordnung des Abwickelns mit ihrem sichtbaren, greifbaren
Vermögen haftet und für die schon Ausgewanderten
dauernd bürgt.



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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/44>, abgerufen am 25.04.2024.