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Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896.

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auf die moralische Autorität und Unterstützung der Society
angewiesen sein und bleiben, gleichwie die Society die materielle
Hilfe der Company nicht entbehren kann. In der planvollen
Leitung der Bekleidungsindustrie z. B. ist der schwache Anfang
des Versuches enthalten, die Productionskrisen zu vermeiden.
Auf allen Gebieten, wo die Company als Industrieller auftritt,
soll so vorgegangen werden.

Keineswegs darf sie aber die freien Unternehmungen mit
ihrer Uebermacht erdrücken. Wir sind nur dort Collectivisten,
wo es die ungeheuren Schwierigkeiten der Aufgabe erfordern.
Im übrigen wollen wir das Individuum mit seinen Rechten hegen
und pflegen. Das Privateigenthum als die wirthschaftliche Grundlage
der Unabhängigkeit, soll sich bei uns frei und geachtet
entwickeln. Wir lassen ja gleich unsere ersten Unskilleds ins
Privateigenthum aufsteigen.

Der Unternehmungsgeist soll auf jede Weise gefördert
werden. Die Einrichtung von Industrien wird durch eine vernünftige
Zollpolitik, Zuwendung billigen Rohmaterials und durch
ein Amt für Industrie-Statistik mit öffentlichen Verlautbarungen
begünstigt.

Der Unternehmungsgeist kann auf gesunde Weise angeregt
werden. Die speculative Planlosigkeit wird vermieden. Die Etablirung
neuer Industrien wird rechtzeitig bekanntgemacht, so dass
die Unternehmer, die ein halbes Jahr später auf den Einfall
kommen, sich einer Industrie zuzuwenden, nicht in die Krise,
in's Elend hineinbauen. Da der Zweck einer neuen Anlage der
Society angemeldet werden soll, können die Unternehmungsverhältnisse
jederzeit Jedermann bekannt sein.

Ferner werden den Unternehmern die centralisirten Arbeitskräfte
gewährt. Der Unternehmer wendet sich an die Dienstvermittlungs-Centrale,
die dafür von ihm nur eine zur Selbsterhaltung
erforderliche Gebühr einhebt. Der Unternehmer telegraphirt:
Ich brauche morgen für drei Tage, drei Wochen oder
drei Monate fünfhundert Unskilleds. Morgen treffen bei seiner
landwirthschaftlichen oder industriellen Unternehmung die gewünschten
Fünfhundert ein, welche die Arbeitscentrale von da
und dort, wo sie eben verfügbar werden, zusammenzieht. Die
Sachsengängerei wird da aus dem Plumpen in eine sinnvolle
Institution heeresmässig verfeinert. Selbstverständlich werden
keine Arbeitssclaven geliefert, sondern nur Siebenstundentägler,
die ihre Organisation beibehalten, denen auch beim Ortswechsel
die Dienstzeit mit Chargen, Avanciren und Pensionirung fortläuft.
Der freie Unternehmer kann sich auch anderwärts seine
Arbeitskräfte verschaffen, wenn er will. Aber er wird es schwerlich
können. Die Hereinziehung nichtjüdischer Arbeitssclaven

auf die moralische Autorität und Unterstützung der Society
angewiesen sein und bleiben, gleichwie die Society die materielle
Hilfe der Company nicht entbehren kann. In der planvollen
Leitung der Bekleidungsindustrie z. B. ist der schwache Anfang
des Versuches enthalten, die Productionskrisen zu vermeiden.
Auf allen Gebieten, wo die Company als Industrieller auftritt,
soll so vorgegangen werden.

Keineswegs darf sie aber die freien Unternehmungen mit
ihrer Uebermacht erdrücken. Wir sind nur dort Collectivisten,
wo es die ungeheuren Schwierigkeiten der Aufgabe erfordern.
Im übrigen wollen wir das Individuum mit seinen Rechten hegen
und pflegen. Das Privateigenthum als die wirthschaftliche Grundlage
der Unabhängigkeit, soll sich bei uns frei und geachtet
entwickeln. Wir lassen ja gleich unsere ersten Unskilleds ins
Privateigenthum aufsteigen.

Der Unternehmungsgeist soll auf jede Weise gefördert
werden. Die Einrichtung von Industrien wird durch eine vernünftige
Zollpolitik, Zuwendung billigen Rohmaterials und durch
ein Amt für Industrie-Statistik mit öffentlichen Verlautbarungen
begünstigt.

Der Unternehmungsgeist kann auf gesunde Weise angeregt
werden. Die speculative Planlosigkeit wird vermieden. Die Etablirung
neuer Industrien wird rechtzeitig bekanntgemacht, so dass
die Unternehmer, die ein halbes Jahr später auf den Einfall
kommen, sich einer Industrie zuzuwenden, nicht in die Krise,
in's Elend hineinbauen. Da der Zweck einer neuen Anlage der
Society angemeldet werden soll, können die Unternehmungsverhältnisse
jederzeit Jedermann bekannt sein.

Ferner werden den Unternehmern die centralisirten Arbeitskräfte
gewährt. Der Unternehmer wendet sich an die Dienstvermittlungs-Centrale,
die dafür von ihm nur eine zur Selbsterhaltung
erforderliche Gebühr einhebt. Der Unternehmer telegraphirt:
Ich brauche morgen für drei Tage, drei Wochen oder
drei Monate fünfhundert Unskilleds. Morgen treffen bei seiner
landwirthschaftlichen oder industriellen Unternehmung die gewünschten
Fünfhundert ein, welche die Arbeitscentrale von da
und dort, wo sie eben verfügbar werden, zusammenzieht. Die
Sachsengängerei wird da aus dem Plumpen in eine sinnvolle
Institution heeresmässig verfeinert. Selbstverständlich werden
keine Arbeitssclaven geliefert, sondern nur Siebenstundentägler,
die ihre Organisation beibehalten, denen auch beim Ortswechsel
die Dienstzeit mit Chargen, Avanciren und Pensionirung fortläuft.
Der freie Unternehmer kann sich auch anderwärts seine
Arbeitskräfte verschaffen, wenn er will. Aber er wird es schwerlich
können. Die Hereinziehung nichtjüdischer Arbeitssclaven

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Zitationshilfe: Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig u. a., 1896, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herzl_judenstaat_1896/48>, abgerufen am 25.04.2024.