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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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das wußt' ich wohl. Sie sprachen oft Dinge, die ich
nicht verstand und die doch lieblich sein müssen.
Nun wir's auch wissen sollen, läßt mich die Neugier
nicht los Tag und Nacht."

"Mir war's wohl, so wie es war," sagte Marlene
traurig. "Ich war so fröhlich und hätte all mein
Lebtag so fröhlich sein mögen. Nun kommt es wohl
anders. Hast du nicht die Leute klagen hören, die
Welt sei voll Noth und Sorgen? Und kannten wir
die Sorge?"

"Weil wir die Welt nicht kannten; und ich will
sie kennen, auf alle Gefahr. Ich ließ mir das auch
gefallen, so mit dir hinzudämmern und faul sein zu
dürfen. Aber nicht immer; und ich will nichts vor¬
aus haben vor denen, die es sich sauer werden lassen.
Manchesmal, wenn mein Vater uns Geschichte lehrte
und von Helden und wackern Thaten erzählte, fragt'
ich ihn, ob der und der auch blind gewesen. Aber
wer was Rechtes gethan hatte, der konnte sehen. Da
hab' ich mich oft tagelang mit Gedanken geplagt.
Dann, wenn ich wieder Musik machte und gar Orgel
spielen durfte -- an deines Vaters Stelle, vergaß
ich meinen Unmuth. Aber wenn er wiederkam,
dacht' ich: Sollst du immer Orgel spielen und die
tausend Schritt weit im Dorf umher gehn, und
außer dem Dorf kennt dich kein Mensch und nennt
dich Keiner, wenn du gestorben bist? Siehst du, seit

das wußt' ich wohl. Sie ſprachen oft Dinge, die ich
nicht verſtand und die doch lieblich ſein müſſen.
Nun wir's auch wiſſen ſollen, läßt mich die Neugier
nicht los Tag und Nacht.“

„Mir war's wohl, ſo wie es war,“ ſagte Marlene
traurig. „Ich war ſo fröhlich und hätte all mein
Lebtag ſo fröhlich ſein mögen. Nun kommt es wohl
anders. Haſt du nicht die Leute klagen hören, die
Welt ſei voll Noth und Sorgen? Und kannten wir
die Sorge?“

„Weil wir die Welt nicht kannten; und ich will
ſie kennen, auf alle Gefahr. Ich ließ mir das auch
gefallen, ſo mit dir hinzudämmern und faul ſein zu
dürfen. Aber nicht immer; und ich will nichts vor¬
aus haben vor denen, die es ſich ſauer werden laſſen.
Manchesmal, wenn mein Vater uns Geſchichte lehrte
und von Helden und wackern Thaten erzählte, fragt'
ich ihn, ob der und der auch blind geweſen. Aber
wer was Rechtes gethan hatte, der konnte ſehen. Da
hab' ich mich oft tagelang mit Gedanken geplagt.
Dann, wenn ich wieder Muſik machte und gar Orgel
ſpielen durfte — an deines Vaters Stelle, vergaß
ich meinen Unmuth. Aber wenn er wiederkam,
dacht' ich: Sollſt du immer Orgel ſpielen und die
tauſend Schritt weit im Dorf umher gehn, und
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dich Keiner, wenn du geſtorben biſt? Siehſt du, ſeit

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[6/0018] das wußt' ich wohl. Sie ſprachen oft Dinge, die ich nicht verſtand und die doch lieblich ſein müſſen. Nun wir's auch wiſſen ſollen, läßt mich die Neugier nicht los Tag und Nacht.“ „Mir war's wohl, ſo wie es war,“ ſagte Marlene traurig. „Ich war ſo fröhlich und hätte all mein Lebtag ſo fröhlich ſein mögen. Nun kommt es wohl anders. Haſt du nicht die Leute klagen hören, die Welt ſei voll Noth und Sorgen? Und kannten wir die Sorge?“ „Weil wir die Welt nicht kannten; und ich will ſie kennen, auf alle Gefahr. Ich ließ mir das auch gefallen, ſo mit dir hinzudämmern und faul ſein zu dürfen. Aber nicht immer; und ich will nichts vor¬ aus haben vor denen, die es ſich ſauer werden laſſen. Manchesmal, wenn mein Vater uns Geſchichte lehrte und von Helden und wackern Thaten erzählte, fragt' ich ihn, ob der und der auch blind geweſen. Aber wer was Rechtes gethan hatte, der konnte ſehen. Da hab' ich mich oft tagelang mit Gedanken geplagt. Dann, wenn ich wieder Muſik machte und gar Orgel ſpielen durfte — an deines Vaters Stelle, vergaß ich meinen Unmuth. Aber wenn er wiederkam, dacht' ich: Sollſt du immer Orgel ſpielen und die tauſend Schritt weit im Dorf umher gehn, und außer dem Dorf kennt dich kein Menſch und nennt dich Keiner, wenn du geſtorben biſt? Siehſt du, ſeit

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/18>, abgerufen am 18.04.2024.