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Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855.

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Alles gering zu achten scheint von ihr gewichen.
Aber sie kommt zurück, wenn wir zu Gott zurück¬
kommen. Wie sie jetzt ist, verlangt sie nicht nach
ihm. Sie hat ihren Mißmuth und ihren Groll noch
zu lieb. Aber ihr Herz ist zu kräftig, um diese trau¬
rige Gesellschaft lange dulden zu können. Dann, wenn
es leer in ihr geworden von Unzufriedenheit, wird
Gott wieder einziehen und die Liebe im Herzen die
alte Stätte finden. Und dann wird es licht in ihr
aussehen, ob es auch Nacht bleibt vor ihren Augen."

"Gott gebe das! Und dennoch betrübt mich der
Gedanke an ihre Zukunft."

"Sie wird nicht verloren sein, wenn sie sich nicht
selber verlieren will. Würden auch Alle, die sie jetzt
hüten und hegen, vor ihr abgerufen, Menschenliebe
stirbt nicht aus. Und wenn sie recht auf Gottes
Hand achtet und auf die Wege, die sie geführt wird,
wird sie noch einmal ihre Blindheit segnen, die sie
von Kindesbeinen an dem Schein fern gerückt und
dem wahren Wesen genähert hat."

Clemens unterbrach das Gespräch. "Ihr denkt
nicht," rief er schon auf der Schwelle, "wie wunder¬
voll die Nacht ist. Ich gäbe eins meiner Augen
darum, wenn ich's Marlenen schenken könnte, um
diese Pracht der Sterne zu sehen. Wenn sie nur der
Lärm des Wasserfalls schlafen läßt! Ich kann mir's

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Alles gering zu achten ſcheint von ihr gewichen.
Aber ſie kommt zurück, wenn wir zu Gott zurück¬
kommen. Wie ſie jetzt iſt, verlangt ſie nicht nach
ihm. Sie hat ihren Mißmuth und ihren Groll noch
zu lieb. Aber ihr Herz iſt zu kräftig, um dieſe trau¬
rige Geſellſchaft lange dulden zu können. Dann, wenn
es leer in ihr geworden von Unzufriedenheit, wird
Gott wieder einziehen und die Liebe im Herzen die
alte Stätte finden. Und dann wird es licht in ihr
ausſehen, ob es auch Nacht bleibt vor ihren Augen.“

„Gott gebe das! Und dennoch betrübt mich der
Gedanke an ihre Zukunft.“

„Sie wird nicht verloren ſein, wenn ſie ſich nicht
ſelber verlieren will. Würden auch Alle, die ſie jetzt
hüten und hegen, vor ihr abgerufen, Menſchenliebe
ſtirbt nicht aus. Und wenn ſie recht auf Gottes
Hand achtet und auf die Wege, die ſie geführt wird,
wird ſie noch einmal ihre Blindheit ſegnen, die ſie
von Kindesbeinen an dem Schein fern gerückt und
dem wahren Weſen genähert hat.“

Clemens unterbrach das Geſpräch. „Ihr denkt
nicht,“ rief er ſchon auf der Schwelle, „wie wunder¬
voll die Nacht iſt. Ich gäbe eins meiner Augen
darum, wenn ich's Marlenen ſchenken könnte, um
dieſe Pracht der Sterne zu ſehen. Wenn ſie nur der
Lärm des Waſſerfalls ſchlafen läßt! Ich kann mir's

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[33/0045] Alles gering zu achten ſcheint von ihr gewichen. Aber ſie kommt zurück, wenn wir zu Gott zurück¬ kommen. Wie ſie jetzt iſt, verlangt ſie nicht nach ihm. Sie hat ihren Mißmuth und ihren Groll noch zu lieb. Aber ihr Herz iſt zu kräftig, um dieſe trau¬ rige Geſellſchaft lange dulden zu können. Dann, wenn es leer in ihr geworden von Unzufriedenheit, wird Gott wieder einziehen und die Liebe im Herzen die alte Stätte finden. Und dann wird es licht in ihr ausſehen, ob es auch Nacht bleibt vor ihren Augen.“ „Gott gebe das! Und dennoch betrübt mich der Gedanke an ihre Zukunft.“ „Sie wird nicht verloren ſein, wenn ſie ſich nicht ſelber verlieren will. Würden auch Alle, die ſie jetzt hüten und hegen, vor ihr abgerufen, Menſchenliebe ſtirbt nicht aus. Und wenn ſie recht auf Gottes Hand achtet und auf die Wege, die ſie geführt wird, wird ſie noch einmal ihre Blindheit ſegnen, die ſie von Kindesbeinen an dem Schein fern gerückt und dem wahren Weſen genähert hat.“ Clemens unterbrach das Geſpräch. „Ihr denkt nicht,“ rief er ſchon auf der Schwelle, „wie wunder¬ voll die Nacht iſt. Ich gäbe eins meiner Augen darum, wenn ich's Marlenen ſchenken könnte, um dieſe Pracht der Sterne zu ſehen. Wenn ſie nur der Lärm des Waſſerfalls ſchlafen läßt! Ich kann mir's 3

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Zitationshilfe: Heyse, Paul: Novellen. Berlin, 1855, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyse_novellen_1855/45>, abgerufen am 28.03.2024.